Gerrit van Honthorst: Die Befreiung Petri (um 1616); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Gerrit van Honthorst: Dornenkrönung Christi (um 1622); Amsterdam, Rijksmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Honthorst Gemälde bezieht sich auf eine Episode aus der Apostelgeschichte, die sich im Neuen Testament direkt an die Evangelien anschließt. König Herodes Agrippa I. lässt Angehörige der christlichen Gemeinde in Jerusalem verhaften und foltern; der Apostel Jakobus wird enthauptet, Petrus gefangen genommen und scharf bewacht: „So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen“ (Apostelgeschichte 12,5-7; LUT)
Honthorst reduziert die Bilderzählung auf die beiden Hauptfiguren des biblischen Berichts, er verzichtet sowohl auf die Soldaten wie auch auf die Wachen vor dem Kerker. Selbst die Ketten, die von den Händen Petri fallen sollten, hängen nur an der Wand, um die Szene identifizieren zu können. Petrus weicht erschrocken zurück angesichts des Engels eintretenden Engels und des mit ihm unerwartet einfallenden Lichts. Der Apostel wird regelrecht scheinwerferartig angeleuchtet und die Szene damit in ein Helldunkel getaucht, das so viele Werke Caravaggios kennzeichnet. Petrus sitzt am Boden und fasst sich mit der linken Hand an die faltige Stirn, um sich vor dem hereinflutenden Helligkeit zu schützen. Das durch die geöffnete Tür in die dunkle Zelle eindringende Licht ergießt sich am ausgestreckten Arm des Engels entlang über das Antlitz des alten Mannes; dabei scheint der himmlische Bote soeben die Worte „Steh schnell auf!“ zu sprechen.
Caravaggio: Berufung des Matthäus (1599/1600); Rom, San Luigi dei Francesi (für die Großansicht einfach anklicken) |
Caravaggio: Matthäus mit dem Engel (1602); Kriegsverlust |
Caravaggio: Christus im Garten Gethemane (1605); Kriegsverlust |
Auch ter Brugghen hat die Befreiung Petri dargestellt, allerdings in einem hochformatigen Gemälde (1624). Er nutzt ebenfalls das verlorene Altarbild Caravaggios mit dem von einem jugendlich-schönen Engel inspirierten Matthäus als Ausgangspunkt. Dabei drängt sich bei ter Brugghen der jugendliche Engel dem Evangelisten noch näher auf als in Caravaggios Vorlage. Die beiden Gestalten sind als Halbfiguren vor dunklem Hintergrund, das Format fast ausfüllend, nah und groß an den vorderen Bildrand gerückt. Der einfache, alte Fischer ist zutiefst erschrocken über das wundersame Geschehen. Den zahnlosen Mund vor Bestürzung geöffnet, blicken seine weit aufgerissenen Augen verwirrt und fassungslos an dem Engel – nur die Ketten an seinen Handgelenken erinnern daran, dass wir hier den „Apostelfürsten“ vor uns haben. Der Engel berührt Petrus mit seiner Rechten an der Schulter, während die linke Hand nach oben weist – auf Gott, der ihn gesandt hat. Wie Caravaggio betont ter Brugghen die Gegensätzlichkeit der beiden Protagonisten – rechts der greise Apostel mit wettergegerbtem Gesicht und groben Händen, links der knabenhafte Engel mit heller Haut und schmalen Fingern.
Hendrick ter Brugghen: Die Befreiung Petri (1624); Den Haag, Mauritshuis (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hendrick ter Brugghen: Die Befreiung Petri (1629); Schwerin, Staatliches Museum |
Jusepe de Ribera (Befreiung Petri (1613/14); Rom, Galleria Borghese |
1629 hat ter Brugghen dann noch eine Befreiung Petri mit Ganzfiguren geschaffen, die sich heute in Schwerin befindet: Durch die Berührung der Schulter hat der sich von rechts nähernde Engel den am Boden liegenden Petrus aufgeweckt, worauf sich der Apostel erschrocken zu ihm umwendet. An seinen Handgelenken sind die Ketten sichtbar, die Fußfesseln liegen neben ihm. Die beiden Schlüssel links im Vordergrund sind die Attribute Petri und stellen für den Betrachter sicher, um welche Szene es sich handelt. Die verkürzte Wiedergabe des Apostels beschert uns ein lupenreines caravaggeskes Bildmotiv: die nah an uns herangerückten schmutzigen Fußsohlen des alten Mannes. Auch der spanische Maler Jusepe de Ribera (1591–1652) hat in seiner Befreiung Petri den Apostel in Verkürzung dargestellt und legt bei dessen Füßen noch eins drauf: Verdreckter als hier sind sie wohl nirgends mehr gezeigt worden.
Gerrit van Honthorst: Anbetung der Hirten (1622); Greifswald, Pommersches Landesmuseum |
Gerrit van Honthorst: Bei der Kupplerin (1625); Utrecht, Centraal Museum |
Nachdem Honthorst 1620 nach Utrecht zurückgekehrt war, schuf er zunächst noch weitere Gemälde jener Art, mit der er sich in Italien einen Namen gemacht hatte, wie z. B. Anbetung der Hirten (1622) oder Bei der Kupplerin (1625). Er betrieb bald eine große Werkstatt mit zahlreichen Schülern. Honthorsts Figuren sind gegenüber denen Caravaggios erkennbar idealisierter – anders als das große Vorbild verzichtete er auf die Wiedergabe derber Gesichter und schrumpeliger Hautfalten. Sein Bildpersonal ist auch ästhetischer als das von Baburen und ter Brugghen, seine Malweise glatter und feiner, seine Kompositionen weiträumiger angelegt – und das traf den Geschmack der holländischen Aristokratie außergewöhnlich gut. Im Frühjahr 1628 reiste er für einige Monate nach London, wo er Aufträge vom englischen Hof erhielt, und nach 1630 fasste er zudem Fuß am Hof des Statthalters Friedrich Heinrich von Oranien und der Amalie zu Solms-Braunfels in Den Haag. Auch den König von Dänemark und den Kurfürsten von Brandenburg konnte er als Auftraggebern gewinnen. Bei seinem Tod 1656 hinterließ Honthorst mehr als 500 Gemälde, darunter etwa 200 Porträts.
Matthias Stomer: Befreiung Petri (1630/32); Zürich, Kunsthaus (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Dibbits, Taco: Die Utrechter Caravaggisten. In: Ausstellungskatalog Rembrandt – Caravaggio. Rijksmuseum Amsterdam und Van Gogh Museum 24. Februar bis 18. Juni 2006, Belser Verlag, Stuttgart 2006, S. 34-41;
Ebert, Bernd/Helmus, Liesbeth H. (Hrsg.): Utrecht, Caravaggio und Europa. Hirmer Verlag, München 2018, S. 122-129;
Helmus, Liesbeth M.: Die Utrechter Caravaggisten: Eine Frage der Nachfolge und des Verbesserns. In: Bernd Ebert/Liesbeth H. Helmus (Hrsg.), Utrecht, Caravaggio und Europa. Hirmer Verlag, München 2018, S. 51-62;
Neumeister, Mirjam: Das Nachtstück mit Kunstlicht in der niederländischen Malerei und Graphik des 16. und 17. Jahrhunderts. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2003, S. 212-218;
Squarzina, Silvia Danesi: Caravaggio in Preußen. Die Sammlung Giustiniani und die Berliner Gemäldegalerie. Electa; Mailand 2001, S. 312-313;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 8. August 2024)
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