Edward Hopper: Zimmer in New York (1932; Lincoln (NE), Sheldon Museum of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Gemälde von Edward Hopper (1882–1967) teilen längst das Schicksal von Claude Monets Seerosen, van Goghs Sonnenblumen oder Andy Warhols mehrfarbig gedruckter Marilyn Monroe: Sie hängen in unzähligen Arztpraxen, finden sich immer wieder auf Buchcovern und gehören zum festen Repertoire der alljährlich neu auf den Markt geworfenen Kunstkalender. Hoppers Bilder von der Ostküste, den Strandhäusern, Landtankstellen, Straßenschluchten und vor allem von Innenräumen scheinen vor allem das Alleinsein in den Blick zu rücken. Ob nun düster oder gleißend ausgeleuchtet – sehr oft entsteht dabei eine Atmosphäre der Einsamkeit, der Melancholie, der Monotonie.
Immer wieder stellt Hopper Menschen dar, die allein in der Eisenbahn oder auf dem Sofa sitzen oder in einem Coffee Shop dumpf vor sich hin brüten. In der Großstadt macht sich ihre Isolation vor allem in Bars, Kinos, Büros, Foyers und Hotelzimmern bemerkbar, in denen sich gewöhnlich nur einzelne Personen aufhalten, die gedankenverloren in ein Buch blicken oder aus dem Fenster starren, obwohl es draußen nichts anderes als pechschwarze Nacht oder die klotzige Fassade des gegenüberliegenden Gebäudes zu sehen gibt. Wenn Hopper mehrere Personen ins Bild bringt, scheinen sie nichts miteinander gemein zu haben; das Gespräch stockt, jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Frauen stehen im Morgenlicht auf der Schwelle, blicken aus dem Fenster, nackt oder leicht bekleidet, vorbereitet für den neuen Tag, der kommt und der doch enden wird wie alle Tage zuvor. Hopper zeigt uns Szenarien, in denen sich nichts ändert.Edward Hopper: Intermission (1963); San Francisco, Museum of Modern Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Edward Hopper: Cape Cod Morning (1950); Nashville (TN), Smithsonian American Art Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Zu den Hopper-Gemälde, die mich am meisten faszinieren, gehört das stumme Ehedrama, das uns der Künstler in seinem Zimmer in New York (1932) präsentiert. Es erzählt, wie so viele andere Bilder Hoppers, von der Vereinzelung des Menschen und der Entfremdung der Geschlechter. Unser Blick gleitet von außen, aus der Nacht heraus über die Laibung eines großen Fensters in ein hell erleuchtetes Wohnzimmer, dessen Wände durch das künstliche Licht gelblich-grün getönt werden. Es ist ein voyeuristischer, heimlicher Blick aus der Dunkelheit in die Intimität einer Wohnung, den Hopper in vielen seiner Arbeiten einsetzt. Der Kontrast zwischen dem dunklen Außenbereich des Betrachters und dem hellen, stillen Innenraum lässt diesen beinahe wie eine Theaterbühne wirken. Das Paar, das dort beieinandersitzt, nimmt uns nicht wahr. Auffällig ist die Höhe des Zimmers, die aufgrund des schmalen Grundrisses und der Höhe der Tür gesteigert erscheint. Der Raum wirkt eng und trägt zu der bedrückenden Atmosphäre bei, die von Hoppers Bild ausgeht. Er wird „für die Bildfiguren zur Zelle und vermittelt die dumpfe, unterschwellige Spannung zwischen Mann und Frau“ (Beck 1988, S. 176).
Der Mann hat in einem hellroten Sessel Platz genommen und lesend den Kopf über die Zeitung gebeugt, die er in Händen hält. Die Frau sitzt an der anderen Seite des kleinen Raumes. Sie blickt nach unten auf die Tasten eines vom rechten Bildrand angeschnittenen Klaviers, während sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand einen Ton anschlägt – oder es gerade nicht tut, vielleicht um den Mann bei seiner Lektüre nicht zu stören. Sie hat nicht wirklich vor, auf dem Instrument zu spielen, dazu nimmt sie nicht die passende Haltung ein, sie wirkt viel eher gelangweilt. Hubert Beck sieht die beiden Figuren entsprechend der traditionellen Geschlechtsrollenklischees wiedergegeben: Der Mann wird bei geistiger Tätigkeit gezeigt, die Frau ist „dem musischen, gefühlsbetonten Bereich zugeordnet, seiner Zuwendung harrend“ (Beck 1988, S. 181).
Auffallend geräuschlos geht es zwischen den beiden zu. Sie könnte ihn bitten, ihr etwas vorzulesen aus den Nachrichten, denkt man. Er könnte sie bitten, ihr etwas vorzuspielen. Beides geschieht wohl schon eine ganze Weile nicht mehr. Obwohl sie am selben Tisch sitzen, sind sie voneinander abgewandt. Trotz der warmen Farbe herrscht emotionale Leere. Der Reglosigkeit der beiden Figuren entspricht die strenge Ausstattung des Raumes in geometrischen Formen. Wie eine unüberwindbare Trennline schiebt sich die hohe ockerfarbene Tür mit der Kassettenstruktur zwischen das Paar. Sie scheint ohne Klinke (auch wenn man sie hinter dem Rücken der Frau vermutet) und verweist damit auf das Bild der Ehe als Gefängnis. „Der Mann und die Frau sind gefangen, festgehalten in einem traurigen Gleichgewicht. Unser Blick fällt auf keinen von beiden, sondern genau in die Mitte zwischen ihnen, direkt auf die Tür, die nicht nur für einen von ihnen, sondern für beide gleichermaßen verschlossen ist“ (Strand 2004, S. 86).
Auch der Tisch als Gemeinschaftssymbol verbindet Mann und Frau nicht, er ist vielmehr deutlich zwischen die beiden gesetzt, rückt sie auseinander. Hier sind zwei zusammen, und jeder für sich allein. Hier fällt kein einziges Wort, und es wird auch keine Musik erklingen.
Literaturhinweise
Beck, Hubert: Der melancholische Blick. Die Großstadt im Werk des amerikanischen Malers Edward Hopper. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1988, S. 174-184;
Schulze, Sabine (Hrsg.): Innenleben. Die Kunst des Interieurs. Vermeer bis Kabakov. Verlag Gerd Hatje, Ostfilder-Ruit 1998, S. 380;
Strand, Mark: Über Gemälde von Edward Hopper. Schirmer/Mosel, München 2004, S. 85-86.
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