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Hans Baldung Grien: Judith (1525); Nürnberg, Germanisches Nationalmusuem
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Mit der Geschichte der Judith, die in
einem apokryphen Buch des Alten Testaments erzählt wird, habe ich mich schon
mehrfach beschäftigt (siehe meine Posts „Ein äußerst kopfloser Heerführer“ und
„Barock-Splatter“). Das hochformatige Gemälde von Hans Baldung Grien (1480–1545)
verkürzt – wie bei vielen anderen Künstlern auch – ihre Errettungstat auf die Darstellung
der siegreichen Heldin mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes. Seine überlebensgroße
Judith ist gänzlich nackt und steht vor einem tiefschwarzen Hintergrund; sie
hat ihren Körper leicht nach rechts gedreht, der Kopf jedoch ist frontal zum
Betrachter gewandt. Judith schlägt die Augen nieder, ihr Blick richtet sich aber
aus den Winkeln auf den abgetrennten Kopf, den sie als Trophäe mit ihrer linken
Hand an den Locken gepackt hat. Dabei spiegeln ihre Gesichtszüge kalt
lächelnden Triumph. Judith trägt ein perlenbesetztes Stirnband, dem in der
Mitte ein blauer Stein in goldener Fassung eingefügt ist; ihr gescheiteltes und
gelocktes messingblondes Haar weht ihr um die Schultern und reicht bis zum
Rücken herab. Baldung hat es überall mit Glanzlichtern versehen, ebenso das
feingelockte Schamhaar.
In der mehrfach beringten Rechten hält
Judith den sogenannten Malchus, ein Kurzschwert mit gekrümmter Klinge, die an der
Spitze doppelt konkav angeschnitten ist. Die Bezeichnung „Malchus“ leitet sich
vom Knecht des Hohepriester her, der Christus am Ölberg gefangennehmen ließ und
dem Petrus mit eben dieser Waffe ein Ohr abschlug (Johannes 18,10-11). Der
kalte, blutbefleckte Stahl „steht in scharfem Kontrast zum warmen Inkarnat des
unverhüllten weiblichen Körpers“ (Hess 2004, S. 146). Der Kopf des Holofernes
zeigt einen milden, leidenden, aber keinen schmerzverzerrten Ausdruck. Er ist
nicht leichenblass, sondern rotbraun; Blut rinnt noch aus dem Hals. Der
frauliche Körper Judiths – sie war ja bereits Witwe (Judith 8,1) – verfügt über
„eine besonders fleischliche, vitale Präsenz“ (Bonnet/Kopp-Schmidt, S. 306) und
wird über der rechten Hüfte so gut wie gar nicht durch einen transparenten
Stoffstreifen bedeckt. Das Tuch folgt der Drehung des Körpers und schlängelt
sich hinter ihm neben dem abgeschlagenen Haupt herab zum linken Fuß Judiths.
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Hans Baldung Grien: Zwei Hexen (1523); Frankfurt, Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken)
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Auffallend ist die Beinstellung Judiths:
Der linke, überlängte Oberschenkel ist über das rechte Standbein geschlagen,
der linke, nur mit den Zehen aufgesetzte Fuß hinter die Ferse des rechten Fußes
gestellt – ein instabiler Stand, der die Schamregion zwar ein wenig
verschattet, aber nicht wirklich verbirgt. Verfolgt man die Linie vom linken Fuß
bis zur messerhaltenden Hand, „scheint sich die Figur wie eine Schlange um sich
selbst zu winden und mit dieser Anspielung auf die List und Verführungskunst
Judiths hinzuweisen“ (Hess 2004, S. 147). Der labile Stand, insbesondere aber
die übereinandergeschlagenen Beine verweisen möglicherweise bei weiblichen Aktfiguren
im 16. Jahrhundert auf sexuelle Aktivität, wie verschiedene Darstellungen von „Buhlerinnen“,
Hexen oder Eva nach dem Sündenfall belegen (z. B. in Albrecht Dürers Kleiner Passion oder Baldungs Zwei Hexen). |
Albrecht Dürer: Sündenfall (1511; Kleine Passion); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken)
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Donatello (1386–1466) stellte Judith in
seiner Bronzestatue vor dem Palazzo Vecchio (1453-1457) als Tyrannenmörderin
dar, ein Symbol für die Selbstbehauptung der Stadt Florenz, und verlagerte das
Geschehen damit aus seinem religiösen in einen zeitgeschichtlich-politischen Kontext.
Die Judith von Baldung wird ohne diese theologischen oder politischen
Zusammenhänge wiedergegeben. Sie ist keine Tugendheldin – sondern repräsentiert
vielmehr wie Eva und Venus, Bathseba, Delila, Phyllis und Salome die weibliche
Spezies der Verführerinnen, denen es gelingt, mit Hilfe ihrer körperlichen Reize
den Mann um den Verstand oder gar um sein Leben zu bringen. Judith ist damit
ein Beispiel für die im Mittelalter und der Frühen Neuzeit oft dargestellte „Weiberlist“.
Thema dieser Abbildungen sind Macht und Gefahr weiblicher Sinnlichkeit in ihren
unterschiedlichen Formen. Denn Judiths Erscheinung drängt doch die Vorstellung
auf, dass sie sich, um ihr Ziel zu erreichen, Holofernes sexuell hingegeben hat.
Baldung inszeniert ihre offen zur Schau gestellte Erotik als bedrohlich, indem
er sie mit dem blutbeschmierten Mordinstrument kombiniert. Judiths verdrehter,
unsicherer Stand betont darüber hinaus die Unberechenbarkeit der Frau.
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Hans Baldung Grien: Eva (1525); Budapest, Szepmüveszeti Muzeum (für die Großansicht einfach anklicken)
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Hans Baldung Grien: Venus und Amor; (1525); Otterlo, Kröller-Müller-Museum (für die Großansicht einfach anklicken)
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Baldung Griens Judith war Teil eines Zyklus von vier Gemälden, die als Raumausstattung
für ein Straßburger Privathaus angefertigt wurden. Die drei anderen Bilder
befinden sich in Otterlo (Venus und Amor)
und in Budapest (Adam und Eva). Die
Darstellung des weiblichen Aktes vor dunklem Grund konnte Baldung bei Dürers
Gemälden des ersten Menschenpaares von 1507 (Madrid, Prado) und bei Lucas Cranachs
Eva- und Venusbildern finden (siehe meinen Post „,Nicht Adam wurde verführt...‘“).
Was er seinen drei Frauengestalten jedoch eigenständig hinzufügt, ist die volle
Plastizität ihrer Körper und dessen starke erotische Ausstrahlung, der runde
Bauch, die mächtigen Oberschenkel und der kleine Kopf. Wie bei vielen
Frauendarstellungen Baldungs mischen sich die künstlerischen Intentionen: Ihre
Nacktheit dienen dem Voyeurismus des männlichen Betrachters, der die sinnlichen
Reize dieser Akte goutieren soll; gleichzeitig wird er gemahnt, seine Triebe zu
zügeln, um nicht der vorgeblich zerstörerischen Macht weiblicher Sexualität zu
erliegen.
Literaturhinweise
Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der
deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010; S. 306;
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Hrsg.): Die Gemälde des 16. Jahrhunderts.
Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1997, S. 53-55;
Hess, Daniel: Hans Baldung Grien, Judith mit dem Haupt des
Holofernes. In: Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.), Faszination Meisterwerk.
Dürer – Rembrandt – Riemenschneider. Verlag des Germanischen Nationalmuseums,
Nürnberg 2004, S. 146-148;
von der Osten, Gert: Hans
Baldung Grien. Gemälde und Dokumente. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft,
Berlin 1983, S. 169-171.
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