Dienstag, 12. Januar 2021

Die Macht des Körpers – Hans Baldung Griens „Judith“ (1525)

Hans Baldung Grien: Judith (1525);
Nürnberg, Germanisches Nationalmusuem
Mit der Geschichte der Judith, die in einem apokryphen Buch des Alten Testaments erzählt wird, habe ich mich schon mehrfach beschäftigt (siehe meine Posts „Ein äußerst kopfloser Heerführer“ und „Barock-Splatter“). Das hochformatige Gemälde von Hans Baldung Grien (1480–1545) verkürzt – wie bei vielen anderen Künstlern auch – ihre Errettungstat auf die Darstellung der siegreichen Heldin mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes. Seine überlebensgroße Judith ist gänzlich nackt und steht vor einem tiefschwarzen Hintergrund; sie hat ihren Körper leicht nach rechts gedreht, der Kopf jedoch ist frontal zum Betrachter gewandt. Judith schlägt die Augen nieder, ihr Blick richtet sich aber aus den Winkeln auf den abgetrennten Kopf, den sie als Trophäe mit ihrer linken Hand an den Locken gepackt hat. Dabei spiegeln ihre Gesichtszüge kalt lächelnden Triumph. Judith trägt ein perlenbesetztes Stirnband, dem in der Mitte ein blauer Stein in goldener Fassung eingefügt ist; ihr gescheiteltes und gelocktes messingblondes Haar weht ihr um die Schultern und reicht bis zum Rücken herab. Baldung hat es überall mit Glanzlichtern versehen, ebenso das feingelockte Schamhaar.

In der mehrfach beringten Rechten hält Judith den sogenannten Malchus, ein Kurzschwert mit gekrümmter Klinge, die an der Spitze doppelt konkav angeschnitten ist. Die Bezeichnung „Malchus“ leitet sich vom Knecht des Hohepriester her, der Christus am Ölberg gefangennehmen ließ und dem Petrus mit eben dieser Waffe ein Ohr abschlug (Johannes 18,10-11). Der kalte, blutbefleckte Stahl „steht in scharfem Kontrast zum warmen Inkarnat des unverhüllten weiblichen Körpers“ (Hess 2004, S. 146). Der Kopf des Holofernes zeigt einen milden, leidenden, aber keinen schmerzverzerrten Ausdruck. Er ist nicht leichenblass, sondern rotbraun; Blut rinnt noch aus dem Hals. Der frauliche Körper Judiths – sie war ja bereits Witwe (Judith 8,1) – verfügt über „eine besonders fleischliche, vitale Präsenz“ (Bonnet/Kopp-Schmidt, S. 306) und wird über der rechten Hüfte so gut wie gar nicht durch einen transparenten Stoffstreifen bedeckt. Das Tuch folgt der Drehung des Körpers und schlängelt sich hinter ihm neben dem abgeschlagenen Haupt herab zum linken Fuß Judiths.

Hans Baldung Grien: Zwei Hexen (1523); Frankfurt,
Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken)
Auffallend ist die Beinstellung Judiths: Der linke, überlängte Oberschenkel ist über das rechte Standbein geschlagen, der linke, nur mit den Zehen aufgesetzte Fuß hinter die Ferse des rechten Fußes gestellt – ein instabiler Stand, der die Schamregion zwar ein wenig verschattet, aber nicht wirklich verbirgt. Verfolgt man die Linie vom linken Fuß bis zur messerhaltenden Hand, „scheint sich die Figur wie eine Schlange um sich selbst zu winden und mit dieser Anspielung auf die List und Verführungskunst Judiths hinzuweisen“ (Hess 2004, S. 147). Der labile Stand, insbesondere aber die übereinandergeschlagenen Beine verweisen möglicherweise bei weiblichen Aktfiguren im 16. Jahrhundert auf sexuelle Aktivität, wie verschiedene Darstellungen von „Buhlerinnen“, Hexen oder Eva nach dem Sündenfall belegen (z. B. in Albrecht Dürers Kleiner Passion oder Baldungs Zwei Hexen).
Albrecht Dürer: Sündenfall (1511; Kleine Passion);
Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken)
Donatello (1386–1466) stellte Judith in seiner Bronzestatue vor dem Palazzo Vecchio (1453-1457) als Tyrannenmörderin dar, ein Symbol für die Selbstbehauptung der Stadt Florenz, und verlagerte das Geschehen damit aus seinem religiösen in einen zeitgeschichtlich-politischen Kontext. Die Judith von Baldung wird ohne diese theologischen oder politischen Zusammenhänge wiedergegeben. Sie ist keine Tugendheldin – sondern repräsentiert vielmehr wie Eva und Venus, Bathseba, Delila, Phyllis und Salome die weibliche Spezies der Verführerinnen, denen es gelingt, mit Hilfe ihrer körperlichen Reize den Mann um den Verstand oder gar um sein Leben zu bringen. Judith ist damit ein Beispiel für die im Mittelalter und der Frühen Neuzeit oft dargestellte „Weiberlist“. Thema dieser Abbildungen sind Macht und Gefahr weiblicher Sinnlichkeit in ihren unterschiedlichen Formen. Denn Judiths Erscheinung drängt doch die Vorstellung auf, dass sie sich, um ihr Ziel zu erreichen, Holofernes sexuell hingegeben hat. Baldung inszeniert ihre offen zur Schau gestellte Erotik als bedrohlich, indem er sie mit dem blutbeschmierten Mordinstrument kombiniert. Judiths verdrehter, unsicherer Stand betont darüber hinaus die Unberechenbarkeit der Frau.

Hans Baldung Grien: Eva (1525); Budapest,
Szepmüveszeti Muzeum
(für die Großansicht einfach anklicken)

Hans Baldung Grien: Venus und Amor;
(1525); Otterlo, Kröller-Müller-Museum
(für die Großansicht einfach anklicken)
Baldung Griens Judith war Teil eines Zyklus von vier Gemälden, die als Raumausstattung für ein Straßburger Privathaus angefertigt wurden. Die drei anderen Bilder befinden sich in Otterlo (Venus und Amor) und in Budapest (Adam und Eva). Die Darstellung des weiblichen Aktes vor dunklem Grund konnte Baldung bei Dürers Gemälden des ersten Menschenpaares von 1507 (Madrid, Prado) und bei Lucas Cranachs Eva- und Venusbildern finden (siehe meinen Post „,Nicht Adam wurde verführt...‘“). Was er seinen drei Frauengestalten jedoch eigenständig hinzufügt, ist die volle Plastizität ihrer Körper und dessen starke erotische Ausstrahlung, der runde Bauch, die mächtigen Oberschenkel und der kleine Kopf. Wie bei vielen Frauendarstellungen Baldungs mischen sich die künstlerischen Intentionen: Ihre Nacktheit dienen dem Voyeurismus des männlichen Betrachters, der die sinnlichen Reize dieser Akte goutieren soll; gleichzeitig wird er gemahnt, seine Triebe zu zügeln, um nicht der vorgeblich zerstörerischen Macht weiblicher Sexualität zu erliegen.

 

Literaturhinweise

Bonnet, Anne-Marie/Kopp-Schmidt, Gabriele: Die Malerei der deutschen Renaissance. Schirmer/Mosel, München 2010; S. 306;

Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Hrsg.): Die Gemälde des 16. Jahrhunderts. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart 1997, S. 53-55;

Hess, Daniel: Hans Baldung Grien, Judith mit dem Haupt des Holofernes. In: Germanisches Nationalmuseum (Hrsg.), Faszination Meisterwerk. Dürer – Rembrandt – Riemenschneider. Verlag des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 2004, S. 146-148;

von der Osten, Gert: Hans Baldung Grien. Gemälde und Dokumente. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 1983, S. 169-171.


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