 |
Rembrandt: Diana im Bade (um 1631); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken)
|
Eine nackte junge Frau sitzt am Ufer
eines Gewässers vor einem Weidenstamm, die Beine eingetaucht. Sie blickt uns
entgegen, während sie ihren Körper nach rechts ins Profil wendet, um ihr Geschlecht und
ihre Brust zu bedecken. Dabei führt Rembrandt den Blick des Betrachters über
die parallel angeordneten Oberschenkel und den Oberarm der Frau von links unten
diagonal ins Bild. Sie muss sich soeben entkleidet haben – sie hat ihren mit
Brokatstickerei reich verzierten Mantel aus Samt abgelegt und sitzt auf ihrem plissierten
Unterkleid. Ihr heller Körper hebt sich deutlich vom dunklen Hintergrund des
Waldes ab; das Wasser im Vordergrund erweckt die Illusion, als spiegele sich
hier das Mondlicht – Rembrandt verleiht seiner Szene auf diese Weise einen
nächtlichen Charakter.
Doch trotz ihrer Nacktheit macht sie
keinen erschrockenen oder gar ängstlichen Eindruck. Die junge Frau wirkt
vielmehr recht gelassen – obwohl sie sich mit schamhafter Gebärde zur Seite
dreht, scheint sie die Anwesenheit des Betrachters nicht zu beunruhigen. Im
Gegenteil: Sie hält seinem Blick stand. Selbstbewusst, wenn nicht gar ein wenig
mitleidig, schaut sie auf ihr Gegenüber. Sie ist es, die uns konzentriert ins
Auge fasst. Ihr Blick dauert an und beginnt auf uns zu lasten – bis wir mittig
am linken Bildrand Köcher und Pfeile entdecken. Erst jetzt wird deutlich, um
wen es sich bei der jungen Frau handelt: Es ist Diana, die griechische Göttin der
Jagd.
Rembrandt spielt mit seiner um 1631
entstandenen Radierung auf den Mythos vom Jäger Actaeon an: Actaeon beobachtete
auf einem seiner Streifzüge, so erzählt es der antike Dichter Ovid in seinen Metamorphosen (3,138–252), die keusche
Göttin mit ihren Gefährtinnen beim Baden. Daraufhin wurde er von Diana in einen
Hirsch verwandelt und von seinen eigenen Hunden gerissen. Diese Geschichte hat
Rembrandt auch in einem Gemälde dargestellt. In seiner Radierung aber nutzt er
das Stilmittel der Ellipse oder Auslassung – er stellt das Geschehen verkürzt
dar. Rembrandt verzichtet auf die Gefährtinnen, den Jäger und die Hunde.
Deswegen entsteht zunächste der Eindruck, es handele sich um eine einfache
Aktszene. Erst wenn man den Köcher entdeckt, wird der mit dem Mythos vertraute Betrachter
die Actaeon-Erzählung ergänzen. Und dann feststellen – dass er es ist, den
Rembrandt in die Rolle des Actaeon versetzt hat.
Im 17. Jahrhundert wurde die Erzählung
vom jungen Jäger Actaeon moralisierend gedeutet: Die Verwandlung in ein Tier charakterisierte
sinnbildlich jene Menschen, die sich von ihren körperlichen Begierden steuern
lassen. Nicht zufällig hat der Künstler in den Baum hinter Diana ein Astloch
eingefügt, dass wie eine Vulva gestaltet ist. Spätestens nach dieser Entdeckung
„sieht sich der Betrachter seines lüsternen Blicks überführt“ (Müller 2017, S.
27). Gleichzeitig muss er dann feststellen, dass er selbst in Gefahr schwebt,
im nächsten Augenblick in einen Hirsch verwandelt und zum Opfer seiner
Augenlust zu werden ...
Beim Blick auf Rembrandts Diana ist sofort offensichtlich,
dass wir hier keinen am klassischen Schönheitsideal der Antike orientierten
Frauenkörper vor uns haben – Rembrandt verweigert bewusst die von der Kunsttheorie
der Renaissance geforderte Nachahmung bewährter Künstler und Kunstwerke
vergangener Zeiten. Rembrandt legt seine Aktdarstellung wesentlich
naturalistischer an: Der Künstler präsentiert uns eine Frau, die der Alltagswelt
seiner Zeitgenossen entnommen ist – und involviert auch auf diese Weise den Betrachter
geschickt in die erzählte Geschichte.
 |
Nackte Frau, auf einem Erdhügel sitzend (um 1631); Radierung
|
Die Diana
im Bade gehört mit der Radierung Nackte
Frau, auf einem Erdhügel sitzend zu Rembrandt frühesten Aktdarstellungen –
die nahezu gleichformatigen Radierungen wurden möglicherweise als Paar konzipiert.
Beide Frauen sitzen in spiegelbildlicher Körperwendung auf ihrem Tuch, einen
Arm auf die Bodenerhebung stützend, und blicken direkt zum Betrachter. Bei der nach
rechts gewendeten Frau, die ohne Attribute dargestellt ist, könnte es sich um
eine Nymphe aus dem Gefolge der Diana handeln. Auch bei ihr wird ansatzweise eine
natürliche Umgebung durch einzelne Blattgruppen angedeutet.„Gegenüber der
durch Frisur und Körperhaltung kultiviert wirkenden Göttin, deren Körper
ebenmäßig hell beleuchtet wird, scheint die andere Gestalt den Typus des
unverdorbenen Naturwesens zu vertreten“ (Schröder/Bisanz-Prakken 2004, S. 150).
Bestimmend für diesen Eindruck ist nicht nur die von jeder Idealisierung freie
Darbietung ihres Körpers, sondern ebenso ihre unbefangene Haltung gegenüber dem
Betrachter sowie das offene, in breiten Wellen fallende Haar. Mit großem Realismus
sind ihre weiblichen Körperformen wiedergegeben, etwa die Falten, die sich
durch den nach links gedrehten Oberkörper bilden, oder der erschlaffte Bauch, der sich schwer in den Schoß zu legen scheint. Dabei ist Rembrandts Darstellung
geprägt durch die „subtile Spannung zwischen Beleuchtung und direkter Fixierung
des Betrachters, die auch den frühen Selbstbildnissen Rembrandts eigen ist“
(Bevers 1991, S. 182). Auffallend ist der kostbare Ohrring, der durch die Kopfdrehung nach rechts besonders hervorgehoben wird; dagegen kann der schmale Reif, mit dem die Frau ihr Haar geschmückt hat, leicht übersehen werden.
Vermutlich war es diese Aktfigur, die
den Kunstschriftsteller Andries Pels fünfzig Jahre später zu folgendem kritischen
Kommentar veranlasste: „Malte Rembrandt [...], wie dies zuweilen geschah, eine
nackte Frau, so wählte er keine griechische Venus zu seinem Modell, sondern
eher eine Wäscherin oder eine Torftreterin aus einer Scheuer und nannte seine
Bizarrerie: Nachahmung der Natur; alles Uebrige war ihm eitle Verzierung.
Schlaffe Brüste, unförmliche Hände, ja die Spuren der Gürtelbänder der Röcke am
Bauche und Strumpfbänder an den Beinen mussten sichtbar werden, wenn der Natur Genüge gethan werden
sollte, das heisst seiner Natur, welche keine Regel und keine Grundsätze von
Ebenmaß an dem menschlichen Leibe dulden wollte“ (Schröder/Bisanz-Prakken 2004,
S. 150).
 |
Rembrandt: Diana im Bade (um 1631, Kreidezeichnung); London, Britih Museum
|
Rembrandt hat seine Diana im Bade mit einer
Kreidezeichnung vorbereitet, deren Umrisse dann auf die Kupfertafel
durchgestochen wurden. Das Blatt sich heute im British Museum.
Literaturhinweise
Bevers, Holm u.a. (Hrsg.): Rembrandt. Der Meister und seine
Werkstatt. Zeichnungen und Radierungen.
Schirmer/Mosel, München 1991, S. 182-184;
Lloyd Williams, Julia (Hrsg.):
Rembrandt’s Women. National Gallery of Scotland, Edinburgh 2001, S. 78-79;
Müller, Jürgen: Sex mit dem
Sünder. Überlegungen zu Rembrandts Darstellung von Sexualität am Beispiel
ausgewählter Radierungen. In: Jürgen Müller/Jan-David Mentzel (Hrsg.),
Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael
Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 21-35;
Schröder, Klaus
Albrecht/Bisanz-Prakken, Marian
(Hrsg.): Rembrandt. Edition Minerva, Wolfratshausen 2004, S. 150-151;
Sevcik, Anja K. (Hrsg.): Inside
Rembrandt 1606 – 1669. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S.216-219.
(zuletzt bearbeitet am 14. September 2025)