|
Hugo van der Goes: Anbetung der Könige, Mitteltafel des Monforte-Altars (1470/72); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
|
Der Monforte-Altar
des Hugo van der Goes (1440–1482) ist nach einem Jesuitenkolleg im
nordspanischen Monforte de Lemos benannt; aus Geldnöten wurde er von dem Kloster zum Verkauf angeboten
und 1910 von dem damaligen Direktor des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums,
Wilhelm von Bode, erworben. Allerdings gelangte der Altar erst 1913 auf dem Seeweg
über Hamburg nach Berlin. Die Anbetung der Könige bildete ursprünglich
die Mitteltafel eines monumentalen Triptychons, das in der Breite über fünfeinhalb
und in der Höhe mehr als zwei Meter maß. Von der Form und den Abmessungen her
ist das Werk Rogier van der Weydens berühmter Kreuzabnahme in Madrid (Museo del Prado, siehe meinen Post „Die Schönheit der Trauer“) von 1430/35 an die Seite zu stellen. Van der Goes’
einstiges Triptychon war allerdings nicht für Monforte bestimmt, da das Kloster
erst 1593 gegründet wurde. Vermutlich ist der Altar während der spanischen
Besetzung der Niederlande in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts geraubt und
nach Spanien gebracht worden.
|
Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme (um 1435/40); Madrid, Museo del Prado (für die Großansicht einfach anklicken)
|
Aufgrund von Kopien wissen wir, dass
sich auf den verlorenen Flügeln einst die Geburt
Christi sowie die Beschneidung
Christi befanden. Die Mitteltafel weist noch Reste eines ursprünglich um
etwa 70 Zentimeter erhöhten Mittelstückes auf, das vermutlich wegen schwerer Beschädigungen
fast vollständig abgesägt wurde; die Stallarchitektur setzte sich dort bis zu
den Sparren des Satteldaches fort, unter dem ein Engelschor schwebte. (Am
oberen Bildrand sind noch Reste zweier Engelsalben erkennbar.) Die Anbetung der Könige besitzt noch seinen
Originalrahmen mit den Scharnieren zur Befestigung der Flügel. Der Altar gilt
als Höhepunkt im Frühwerk van der Goes’ und wird auf 1470/72 datiert.
Allein das Matthäus-Evanglium erwähnt
die „Weisen aus dem Morgenland“, denen der Stern von Bethlehem den Weg zu dem
neugeborenen Jesuskind weist (Matthäus 2,1-12). Dort werden sie aber nicht als
Könige bezeichnet, und es gibt auch keine Auskunft über ihre Anzahl. Diese
Angaben entstammen einer umfangreichen Legendenbildung, die erst im späten 3. Jahrhundert
ihren Anfang nahm: Bereits Tertullian (um 150 – um 225) deutete die „Weisen“
als Könige, deren Zahl Origenes (185–253) nach den drei bei Matthäus genannten
Gaben festlegte.
Der Monforte-Altar
zeigt uns die ans Ziel ihrer Reise angekommenen Könige. Sie repräsentieren nicht
nur drei Lebensalter, sondern auch die damals bekannten Kontinente: Der älteste
König ist der Europäer Melchior, der mittlere der Asiate Kaspar und der jüngste
der Afrikaner Balthasar. Die Ankunft der Könige und die Anbetung des Kindes ereignen
sich in einer romanischen Palastruine – sie symbolisiert die vergangene Epoche
des Alten Bundes vor der Geburt Christi. Balthasar, jung und in
Dreiviertelansicht dargestellt, ist in eine knielange Weste aus rotem
Goldbrokat sowie einen dunkelgrünen Umhang mit goldenen Fransen gekleidet; seine
spitzen Schnabelschuhe sind mit Goldsporen versehen. Das krause Haar des jüngsten
Königs und seine dunkle Hautfarbe sollen auf seine Herkunft verweisen. In der
erhobenen Rechten präsentiert er sein Geschenk: ein schweres goldenes
Weihrauchgefäß mit rundem Deckel aus Bergkristall, bekrönt von einem sitzenden
Wappenlöwen. Hinter ihm steht sein Page, ein blondgelockter Jüngling. Er trägt
einen hölzernen Stab und eine Kappe, die mit einer wertvollen Agraffe
geschmückt ist, beides Insignien der königlichen Würde seines Herrn.
|
Ein Meisterstück naturalistischer Malkunst: die im Gegenlicht erstrahlende rechte Hand des asiatischen Königs Kaspar
|
Der bärtige Kaspar schickt sich zum
Kniefall an; er trägt einen schwarzen Samtmantel, der mit braunem Pelz
gefüttert und gesäumt ist, und lederne Reitstiefel. Die rote, goldbekrönte
Mütze, die ihm in den Nacken gefallen ist, betont seine ausladende Erscheinung.
An seinem Gürtel hängt eine von Leder umhüllte, mit Perlen besetzte
Trinkflasche (die auch als Geldbeutel gedeutet wurde) und ein kurzes Schwert
mit Kristallgriff. Mit der rechten Hand vollzieht er – im Zusammenhang mit dem
Kniefall – eine Geste der Ehrerbietung, während er mit der Linken einen
goldenen Kelch in Empfang nimmt: Auf Knien reicht ihm ein Diener mit langen
Haaren und grüner Mütze das kostbare Gefäß. Hell hebt sich das Inkarnat Kaspars
von dem dunklen Samt ab, wobei die verkürzt wiedergegebene Rechte des Königs im
Gegenlicht erstrahlt und die Finger beinahe transparent wirken.
|
Vorbild für den Betrachter: der europäische König Melchior
|
In der Mittelachse des Bildes kniet der
greise europäische König, ganz ins Profil gewendet und mit seinem langen
scharlachroten Mantel die Aufmerksamkeit des Betrachters sofort auf sich
ziehend. Mit seinen zusammengeführten, übergroßen Händen betet er das auf dem
Schoß seiner Mutter sitzende Kind an. Sein Gewand ist mit Hermelin gefüttert,
ebenso wie der aufgeknöpfte und zur Seite geschlagene Ärmel. Das Untergewand,
das den Arm eng umschließt, besteht aus grüngemustertem Goldbrokat. „Die Würde,
die erhabene Ruhe und der Realismus der Menschenschilderung machen den alten
König zur einrucksvollsten Gestalt im Bilde“ (Grosshans 2003, S. 146). Seine
Haltung, kniend auf gleichem Niveau wie die Gottesmutter und das Jesuskind,
erinnert an die Madonna des Kanzlers
Rolin des Jan van Eyck (1390–1441) im Louvre. Durch den tiefen Blickpunkt
des Betrachters sehen wir den imposanten Melchior wie die meisten Figuren von
unten. Balthasar allerdings blicken wir zum einen von unten ins Gesicht und
gleichzeitig, bedingt durch seine Position sehr nah am vorderen Bildrand, von
oben auf die Füße.
|
Jan van Eyck: Madonna des Kanzlers Rolin (um 1436); Paris, Louvre
|
Maria trägt ein violettes Kleid, einen
blauen Umhang und ein weißes Kopftuch. Würdevoll und anmutig blickt sie mit
niedergeschlagenen Augen auf das unbekleidete Kind herab, das sie behutsam mit
beiden Händen auf dem Schoß hält. Sacht hebt sie die linke Hand ihres Sohnes,
um dessen Aufmerksamkeit auf den hohen Besuch zu lenken. Doch das Jesuskind hat
den Kopf von Melchior abgewendet – und blickt mit seinen blauen Augen den
gläubigen Betrachter an, der sich ebenso wie der alte König anbetend vor dem
Erlöser verneigen soll. Links im Vordergrund ist Joseph auf ein Knie
niedergesunken; seine Mütze hat er abgenommen und hält sie demutsvoll in der
rechten Hand, um die Könige barhäuptig zu begrüßen. Die offene Handfläche
seiner nach vorne weisenden Linken deutet Rainald Grosshahn als Geste, mit der
der Nährvater Jesu nicht nur die Könige, „sondern vielmehr den Betrachter
willkommen heißt und ihn
auffordert näherzutreten“ (Grosshans 2003, S. 149). Wir werden also vom
Künstler einbezogen, allerdings dezenter als in seiner späteren Anbetung der Hirten (um 1480, ebenfalls
in der Berliner Gemäldegalerie; siehe meinen Post „Ein Schauspiel für die ganze Welt“).
|
Hugo van der Goes: Anbetung der Hirten (um 1480); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken)
|
Die zentralperspektivisch angelegte Quaderwand,
vor der Maria sitzt, zieht den Blick des Betrachters geradezu sogartig in die
Tiefe. Dort sind weitere Personen abgebildet, darunter zwei Pagen, die an einem
Holzzaun lehnen und zu Maria blicken. Wie bei dem bärtigen Mann links von ihnen
dürfte es sich vermutlich um Bildnisse von zeitgenössischen Personen handeln,
die wir nicht kennen. Der Ausblick ins Freie am linken Bildrand zeigt eine
heitere, sommerliche Landschaft: Die Bäume sind voll belaubt, die begrünten
Hügel und das vom Wind leicht bewegte Wasser, in dem sich Häuser und Bäume
spiegeln, unterstreichen die friedliche Stimmung. Die Hügelreihe scheint sich
hinter der Stallruine fortzusetzen.
In der Ferne weist ein Schafhirte
seinen Begleiter auf ein Dorf hin, das sich an einem Bach befindet: Mit der
Ansammlung von Häusern, links hinter der Ruine, ist Bethlehem gemeint. Einige
der Bauwerke haben eher städtischen Charakter, darunter eines mit Zinnen und
zierlichen Ecktürmchen. In der Legende des Johannes von Hildesheim aus dem 14.
Jahrhundert wird davon berichtet, dass es die Hirten waren, die den Königen vom
Wunder der Christgeburt erzählt und ihnen den rechten Weg gewiesen hatten.
Von diesem Dorf links oben im
Hintergrund sind die drei Herrscher aufgebrochen, haben die Brücke überquert, sind
hinter dem Bretterzaun um die Ecke der zerfallenen Mauer geschritten und haben dann
das Gebäude von rechts durch die verfallene Tür betreten. Der niedrige Holzzaun
bildet eine Art Grenze zwischen Vorder- und Mittelgrund: Er trennt den sakralen
Bereich von dem profaneren Geschehen, das sich dahinter abspielt. Damit wird
nochmals unterstrichen, dass der Betrachter in die Königsanbetung einbezogen
ist, ohne von dieser Barriere getrennt zu sein.
Die lebensgroßen Figuren im Vordergrund
sind nach hinten nur wenig verkleinert, sodass Maria und der greise König den
Bildrahmen sprengen würden, wenn sie sich aufrichteten. Die nahsichtige Perspektive
führt bei der räumlichen Anordnung der Figuren dazu, dass ihr Hintereinander
„geradezu gewaltsam in ein Übereinander auseinandergezerrt“ (Pächt 1994, S.
164) wird. Deswegen scheint die knapp hinter dem halb knienden Joseph befindliche
Maria hoch über ihm zu thronen. Wenn die Figuren im Vordergrund, vor allem
Joseph und der älteste König, von den Proportionen her ein wenig zu groß und zu
wuchtig erscheinen, dann ist dies auch eine Folge der beschnittenen
Mittelpartie der Tafel, wodurch die gesamte Komposition in Mitleidenschaft
gezogen wird. „Es fehlt ihr die räumliche Tiefe und Weite, die die Tafel vor
der Abtrennung der zinnenförmigen Überhöhung einst besessen haben muss“
(Grosshans 2003, S. 155).
|
Hugo van der Goes: Anbetung der Hirten, Mitteltafel des Portinari-Altars (1473/77); Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken)
|
Bis heute beeeindruckt, wie
meisterhaft van der Goes Brokatstoffe, Gold, Perlen und wertvolle Pelze in all
ihrer materiellen Kostbarkeit widergibt. Fast alle akribisch genau abgebildeten
Pflanzen besitzen einen mariologischen beziehungsweise christologischen Bezug
oder galten im Mittelalter als altbewährte Heilkräuter. Die Iris oder
Schwertlilie am linken Bildrand verweist symbolisch auf die zukünftigen Schmerzen
der Gottesmutter (Lukas 2,35); der duftende Goldlack, der mit seinen gelben
Blüten rechts im Vordergrund wächst, galt als Sinnbild der Liebe Christi und
seiner Mutter, die den Menschen entgegenströmt. Die Akelei mit ihren blauen Blüten
ist eine der bekanntesten Marienblumen, deren heilende Kraft bei Verletzungen
gerühmt wurde. Die am Boden verstreuten Kornähren sind ein Hinweis auf das Brot, das aus
dem Weizen gebacken wird: Zum einen wird sich Jesus später selbst als „das Brot
des Lebens“ bezeichnen (Johannes 6,35; LUT); zum anderen ist das Brot gemeint,
das sich in der Eucharistiefeier in den Leib Christi verwandelt. Auch in van
der Goes’ Portinari-Altar oder seiner
Anbetung der Hirten haben die
Ährenbündel diese symbolische Bedeutung. Die
beiden schlichten Tongefäße, die oberhalb von Maria in einer Nische (oder einer
Fensterlaibung) zu sehen sind, veranschulichen die Demut der Gottesmutter – sie
kontrastieren mit dem Glanz der kostbaren Geschenke, etwa dem
kleeblattförmigen, mit Goldmünzen gefüllten Behältnis im Vordergrund.
|
Rogier van der Weyden: Anbetung der Könige, Mitteltafel des Columba-Altars (1450/56); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken)
|
Die Anbetung
der Könige ist immer wieder mit dem Columba-Altar
verglichen worden, einem Spätwerk Rogier van der Weydens (um 1450/56; siehe
meinen Post „Kölner Könige an der Krippe“). Van der Goes hat ohne Frage manche
Motive übernommen, so etwa den aus der Hand eines halbverdeckten Pagen in
Empfang genommen Pokal oder die Position Josephs auf der linken Seite – auch
wenn er bei van der Goes nicht aufrecht steht, sondern in einer geradezu
schwebenden Haltung kniet. Andererseits ist der älteste König nicht wie bei Rogier
mit Maria zu einer pyramidalen Gruppe verbunden, dem Jesuskind das Händchen
küssend, sondern bleibt wie ein Stifter mit gefalteten Händen in
ehrfurchtsvoller Distanz. Gegenüber dem Columba-Altar
ist van der Goes’ Bild eher arm an Figurenbewegung: Von den drei Königen zeigt
eigentlich nur der mittlere einen Moment von Vorwärtsbewegung. Die Vertikale
Balthasars „wirkt als Damm einer sich hinter ihm stauenden Bewegung, von der
nur Ansätze ins Bild reichen“ (Pächt 1994, S. 164). Beide Künstler, van der
Weyen wie van der Goes, haben sich bei der Ausstattung ihrer Könige
offensichtlich von der Prachentfaltung der burgundischen Herzöge inspirieren
lassen, deren Hofhaltung in ganz Europa Staunen erregte.
Literaturhinweise
Belting, Hans/Kruse, Christian: Die Erfindung des
Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei. Hirmer Verlag,
München 1994, S. 229-230;
De Vos, Dirk: Flämische
Meister. Jan van Eyck – Rogier van der Weyden – Hans Memling. DuMont Literatur
und Kunst Verlag, Köln 2002, S. 127-134;
Graf, Beatrix: Der
Monforte-Altar von Hugo van der Goes. Bemerkungen zu Erhaltungszustand,
Restaurierung und Maltechnik. In: Jahrbuch der Berliner Museen 45 (2003), S.
255-270;
Grosshans, Rainald:
Die Königsanbetung aus Monforte von Hugo van der Goes in der Berliner
Gemäldegalerie. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 39 (2003), S. 131-164;
Pächt,
Otto: Altniederländische Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Gerard David.
Prestel-Verlag, München 1994, S. 160-165;
LUT
= Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche
Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 29. Januar 2023)