Hugo van der Goes: Anbetung der Könige, Mitteltafel des Monforte-Altars (1470/72); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme (um 1435/40); Madrid, Museo del Prado (für die Großansicht einfach anklicken) |
Aufgrund von Kopien wissen wir, dass sich auf den verlorenen Flügeln einst die Geburt Christi sowie die Beschneidung Christi befanden. Die Mitteltafel weist noch Reste eines ursprünglich um etwa 70 Zentimeter erhöhten Mittelstückes auf, das vermutlich wegen schwerer Beschädigungen fast vollständig abgesägt wurde; die Stallarchitektur setzte sich dort bis zu den Sparren des Satteldaches fort, unter dem ein Engelschor schwebte. (Am oberen Bildrand sind noch Reste zweier Engelsalben erkennbar.) Die Anbetung der Könige besitzt noch seinen Originalrahmen mit den Scharnieren zur Befestigung der Flügel. Der Altar gilt als Höhepunkt im Frühwerk van der Goes’ und wird auf 1470/72 datiert.
Allein das Matthäus-Evanglium erwähnt die „Weisen aus dem Morgenland“, denen der Stern von Bethlehem den Weg zu dem neugeborenen Jesuskind weist (Matthäus 2,1-12). Dort werden sie aber nicht als Könige bezeichnet, und es gibt auch keine Auskunft über ihre Anzahl. Diese Angaben entstammen einer umfangreichen Legendenbildung, die erst im späten 3. Jahrhundert ihren Anfang nahm: Bereits Tertullian (um 150 – um 225) deutete die „Weisen“ als Könige, deren Zahl Origenes (185–253) nach den drei bei Matthäus genannten Gaben festlegte.Der Monforte-Altar zeigt uns die ans Ziel ihrer Reise angekommenen Könige. Sie repräsentieren nicht nur drei Lebensalter, sondern auch die damals bekannten Kontinente: Der älteste König ist der Europäer Melchior, der mittlere der Asiate Kaspar und der jüngste der Afrikaner Balthasar. Die Ankunft der Könige und die Anbetung des Kindes ereignen sich in einer romanischen Palastruine – sie symbolisiert die vergangene Epoche des Alten Bundes vor der Geburt Christi. Balthasar, jung und in Dreiviertelansicht dargestellt, ist in eine knielange Weste aus rotem Goldbrokat sowie einen dunkelgrünen Umhang mit goldenen Fransen gekleidet; seine spitzen Schnabelschuhe sind mit Goldsporen versehen. Das krause Haar des jüngsten Königs und seine dunkle Hautfarbe sollen auf seine Herkunft verweisen. In der erhobenen Rechten präsentiert er sein Geschenk: ein schweres goldenes Weihrauchgefäß mit rundem Deckel aus Bergkristall, bekrönt von einem sitzenden Wappenlöwen. Hinter ihm steht sein Page, ein blondgelockter Jüngling. Er trägt einen hölzernen Stab und eine Kappe, die mit einer wertvollen Agraffe geschmückt ist, beides Insignien der königlichen Würde seines Herrn.
Ein Meisterstück naturalistischer Malkunst: die im Gegenlicht erstrahlende rechte Hand des asiatischen Königs Kaspar |
Der bärtige Kaspar schickt sich zum Kniefall an; er trägt einen schwarzen Samtmantel, der mit braunem Pelz gefüttert und gesäumt ist, und lederne Reitstiefel. Die rote, goldbekrönte Mütze, die ihm in den Nacken gefallen ist, betont seine ausladende Erscheinung. An seinem Gürtel hängt eine von Leder umhüllte, mit Perlen besetzte Trinkflasche (die auch als Geldbeutel gedeutet wurde) und ein kurzes Schwert mit Kristallgriff. Mit der rechten Hand vollzieht er – im Zusammenhang mit dem Kniefall – eine Geste der Ehrerbietung, während er mit der Linken einen goldenen Kelch in Empfang nimmt: Auf Knien reicht ihm ein Diener mit langen Haaren und grüner Mütze das kostbare Gefäß. Hell hebt sich das Inkarnat Kaspars von dem dunklen Samt ab, wobei die verkürzt wiedergegebene Rechte des Königs im Gegenlicht erstrahlt und die Finger beinahe transparent wirken.
Vorbild für den Betrachter: der europäische König Melchior |
Jan van Eyck: Madonna des Kanzlers Rolin (um 1436); Paris, Louvre |
Hugo van der Goes: Anbetung der Hirten (um 1480); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
In der Ferne weist ein Schafhirte seinen Begleiter auf ein Dorf hin, das sich an einem Bach befindet: Mit der Ansammlung von Häusern, links hinter der Ruine, ist Bethlehem gemeint. Einige der Bauwerke haben eher städtischen Charakter, darunter eines mit Zinnen und zierlichen Ecktürmchen. In der Legende des Johannes von Hildesheim aus dem 14. Jahrhundert wird davon berichtet, dass es die Hirten waren, die den Königen vom Wunder der Christgeburt erzählt und ihnen den rechten Weg gewiesen hatten.
Von diesem Dorf links oben im Hintergrund sind die drei Herrscher aufgebrochen, haben die Brücke überquert, sind hinter dem Bretterzaun um die Ecke der zerfallenen Mauer geschritten und haben dann das Gebäude von rechts durch die verfallene Tür betreten. Der niedrige Holzzaun bildet eine Art Grenze zwischen Vorder- und Mittelgrund: Er trennt den sakralen Bereich von dem profaneren Geschehen, das sich dahinter abspielt. Damit wird nochmals unterstrichen, dass der Betrachter in die Königsanbetung einbezogen ist, ohne von dieser Barriere getrennt zu sein.
Die lebensgroßen Figuren im Vordergrund sind nach hinten nur wenig verkleinert, sodass Maria und der greise König den Bildrahmen sprengen würden, wenn sie sich aufrichteten. Die nahsichtige Perspektive führt bei der räumlichen Anordnung der Figuren dazu, dass ihr Hintereinander „geradezu gewaltsam in ein Übereinander auseinandergezerrt“ (Pächt 1994, S. 164) wird. Deswegen scheint die knapp hinter dem halb knienden Joseph befindliche Maria hoch über ihm zu thronen. Wenn die Figuren im Vordergrund, vor allem Joseph und der älteste König, von den Proportionen her ein wenig zu groß und zu wuchtig erscheinen, dann ist dies auch eine Folge der beschnittenen Mittelpartie der Tafel, wodurch die gesamte Komposition in Mitleidenschaft gezogen wird. „Es fehlt ihr die räumliche Tiefe und Weite, die die Tafel vor der Abtrennung der zinnenförmigen Überhöhung einst besessen haben muss“ (Grosshans 2003, S. 155).
Hugo van der Goes: Anbetung der Hirten, Mitteltafel des Portinari-Altars (1473/77); Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rogier van der Weyden: Anbetung der Könige, Mitteltafel des Columba-Altars (1450/56); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Belting, Hans/Kruse, Christian: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei. Hirmer Verlag, München 1994, S. 229-230;
De Vos, Dirk: Flämische Meister. Jan van Eyck – Rogier van der Weyden – Hans Memling. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2002, S. 127-134;
Graf, Beatrix: Der Monforte-Altar von Hugo van der Goes. Bemerkungen zu Erhaltungszustand, Restaurierung und Maltechnik. In: Jahrbuch der Berliner Museen 45 (2003), S. 255-270;
Grosshans, Rainald: Die Königsanbetung aus Monforte von Hugo van der Goes in der Berliner Gemäldegalerie. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 39 (2003), S. 131-164;
Pächt, Otto: Altniederländische Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Gerard David. Prestel-Verlag, München 1994, S. 160-165;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 29. Januar 2023)
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