Peter Paul Rubens: Hl. Sebastian (1618), Berlin, Gemäldegalerie |
Das 1618
entstandene Gemälde des flämischen Barockmalers Peter Paul Rubens (1577–1640) zeigt
das Pfeilmartyrium Sebastians. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet, wird er als
lebensgroße (200 x 128 cm) und nahezu die volle Höhe des Bildfeldes einnehmende
Aktfigur gezeigt. Die muskulöse Gestalt ist an einen Baum gefesselt, von dessem Stamm und dunklen Blattwerk sich der helle Körper deutlich abhebt. Der in der rechten Bildhälfte sichtbare Horizont liegt so tief, dass der Betrachter zu dem hoch aufragenden Märtyrer aufschaut.
Rubens
hat in diesem Bild Erfahrungen seines Italien-Aufenthaltes verarbeitet. Im Mai
1600 war er in den Süden aufgebrochen und hatte dort schon bald von sich reden
gemacht. Wenige Monate nach seiner Ankunft in Italien trat er bereits als Maler
in den Dienst Vincenzo I. Gonzagas, des Herzogs von Mantua. Von den zahlreichen
künstlerischen Arbeiten, die Rubens damals ausführte, ist wenig erhalten
geblieben. Doch Rubens war offensichtlich in dieser Zeit nicht nur als Maler für
den Herzog tätig, sondern auch als Kunstagent, der Gemälde begutachtete und
erwarb. In dieser Funktion reiste er im August 1601 nach Rom, um Kunstwerke zu
kaufen und in den vatikanischen Sammlungen Gemälde zu kopieren. Rubens nutzte
diesen Aufenthalt für ein intensives Studium der antiken und zeitgenössischen
Kunst. Er zeichnete nach antiken Werken, aber auch nach Bildern und Skulpturen
der Hochrenaissance, von Raffael und Michelangelo. Besonders intensiv hat sich
Rubens in dieser Zeit mit der Laokoon-Gruppe beschäftigt, der er zahlreiche
Zeichnungen widmete.
Laokoon-Gruppe, Rom, Vatikanische Museen |
Als er nach Rom kam, war diese 1506 entdeckte
Skulpturengruppe das bei weitem berühmteste Zeugnis antiker Bildhauerkunst und seither
künstlerisches Leitbild. Vor allem die eindringliche Schilderung
körperlichen Leidens galt als vorbildlich. Stärker als alle Künstler vor ihm war Rubens bemüht, die
affektstarken Figuren in bewegende Bilder umzusetzen. Vor allem zeichnete
Rubens „die Statuen schon vor Ort mit Blick auf die inhärenten Möglichkeiten
einer Verwendung der gewonnenen Motive in verschiedenen Zusammenhängen“
(Büttner 2007, S. 20).
Eine von Rubens’ Zeichnungen der Laokoon-Gruppe |
Das Bild
des Laokoon ruft Rubens’ Sebastian denn auch nicht nur durch seine
Körperlichkeit wach, sondern vor allem durch das Leidensmotiv des sich aus
leichter Hüftdrehung empordrängenden Oberkörpers.
Sterbender Alexander; Florenz, Uffizien |
Eine Zeichnung Rubens’ nach dem Sterbenden Alexander |
Michelangelo: Sterbender Sklave, unvollendet; Paris, Louvre |
Andrea Mantegna: Hl. Sebastian (1459/60); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Der
Kontrapost von Rubens’ Sebastian (die Balance von tragendem Stand- und
entlastendem Spielbein) verweist wiederum auf den kleinfigurigen Wiener
Sebastian von Andrea Mantegna (1459/60; 68 x 30 cm), und Otto von Simson
scheint „die heroische Auffassung der Gestalt vor der abendlichen Landschaft
kaum denkbar ohne Tizians großes Vorbild in der Eremitage“ (Simson 1996, S. 220). Die Details der Landschaft sind bei Tizian allerdings kaum ausgearbeitet; und im Gegensatz zu Rubens wählt Tizian die Statue des Apoll vom Belvedere als Vorbild für seinen Sebastian (siehe meinen Post „Der Apoll vom Belvedere“), während andererseits die Gesichtszüge an den älteren der Laokoon-Söhne erinnern, vor allem durch den nach hinten gebogenen Kopf, die Augenbrauen, die die Nasenwurzel berühren, und den halbgeöffneten Mund.
Tizian: Hl. Sebastian (um 1570); Eremitage, St. Petersburg |
Die überaus zahlreichen Sebastian-Darstellungen in der abendländischen Kunst verdanken sich vor allem der kontinuierlichen Präsenz der Pest in Europa seit der großen Epidemie von 1348. Denn Sebastian wurde wie Rochus, Cosmas und Damian als Pestheiliger verehrt und angerufen, weil die Pfeile seines Martyriums als Symbole für diese Seuche galten. Oft wird der Heilige auf diesen Gemälden mit einem besonders schönen, erotisch anziehenden Körper präsentiert. Das kann heutige Betrachter regelrecht irritieren: Sollte es sich wirklich um einen Heiligen handeln? Doch Sebastians Sinnlichkeit beweist geradezu, dass er wirklich lebt. Vor allem ist er durch die Makellosigkeit seines Leibes ein Gegenbild zu dem von der Pest befallenen Körper. Sebastian, der das Pfeilmartyrium durch ein Wunder Gottes überlebt hat, wird „zu einem Versprechen, dass die Gläubigen, selbst wenn sie am schwarzen Tod sterben müssen, einen zeitlosen, überirdischen, makellosen Körper bekommen“ (Bohde 2004, S. 92).
Literaturhinweise
Bohde, Daniela: Ein Heiliger der Sodomiten? Das
erotische Bild des Hl. Sebastian im Cinquecento. In: Mechthild Fend/Marianne
Koos (Hrsg.), Männlichkeit im Blick. Visuelle Inszenierungen in der Kunst seit
der Frühen Neuzeit. Böhlau Verlag, Köln 2004, S. 79-98;
Büttner, Nils: Rubens. Verlag C.H. Beck, München
2007;
Marshall, Louise: Manipulating the Sacred: Image and Plague in Renaissance Italy. In: Renaissance Quarterly 47 (1994), S. 485-532;
Prochno, Renate: Die einseitige Konkurrenz: Antonis van Dyck und Peter Paul Rubens. In: Renate Prochno, Konkurrenz und ihre Gesichter in der Kunst. Wettbewerb, Kreativität und ihre Wirkungen. Akademie Verlag, Berlin 2006, S. 127-154;
Prochno, Renate: Die einseitige Konkurrenz: Antonis van Dyck und Peter Paul Rubens. In: Renate Prochno, Konkurrenz und ihre Gesichter in der Kunst. Wettbewerb, Kreativität und ihre Wirkungen. Akademie Verlag, Berlin 2006, S. 127-154;
Simson, Otto von: Peter Paul Rubens (1577–1640).
Humanist, Maler und Diplomat. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1996.
(zuletzt bearbeitet am 30. November 2020)
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