Raffael: La Fornarina (um 1518/20); Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica |
Die Kapitolinische Venus mit Venus-pudica-Pose (für die Großansicht einfach anklicken) |
Eine Brust, die mehr präsentiert als bedeckt wird |
Sabine Poeschel ist allerdings der Ansicht, dass es sich gar nicht um ein Porträt handelt, sondern um die Darstellung eines spezifischen Frauentyps – nämlich den der sinnlichen, erotisch anziehenden Frau. Dieser Typus – „eine durchaus irdische Erscheinung von provozierender Nähe“ (Poeschel 2002, S. 291) – sei von Raffael selbst variiert und auch von Künstlern wie Giulio Romano, Sebastiano del Piombo u.a. in einer Reihe von Gemälden aufgegriffen worden. Es sind dies Bilder von Frauen, die offenkundig erotische Züge haben, im Gegensatz zur enthaltsamen „guten Schönen“, die Keuschheit als höchste weibliche Tugend respektiert. Die körperliche Attraktivität, die La Fornarina zeigt, durfte bei der guten Schönen noch nicht einmal angesprochen werden.
Für Ulrich Pfisterer hingegen setzt Raffael mit seinem Bildnis „Modell, (vermeintliche) Geliebte und Muse der Malerei in eins und markiert so einen entscheidenden Schritt hin zu dieser später omnipräsenten Vorstellung von der Geliebten als erotischer Inspirationsquelle des Künstlers“ (Pfisterer 2012, S. 64). Aus seiner Sicht verhüllt die junge Frau weder ihre Brust im Pudica-Gestus noch legt sie die Hand auf das Herz, wie ebenfalls vermutet worden ist. Sie präsentiere ihre Brust vielmehr und drücke offenbar sogar leicht deren Spitze – ein für den zeitgenössischen Betrachter eindeutiges Motiv, das ihm von der „Madonna lactans“, der stillenden Gottesmutter, bekannt gewesen sei.
Sebastiano Mainardi: Madonna lactans (um 1480); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Botticelli-Werkstatt: Muse (um 1480/85); Privatsammlung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Leonardo da Vinci: Ginevra de’ Benci (um 1475); Washington D.C.; National Gallery of Art (für die Großansicht einfach anklicken) |
Raffael und die Fornarina wurden von nachfolgenden Künstlern
immer wieder als Bildthema aufgegriffen – um die inspirierende Kraft einer
erotischen Beziehung von Maler und Modell zu verdeutlichen. Besonders
Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780–1867) variierte den Stoff mehrfach, und
Pablo Picasso (1881–1973) schuf 23 Radierungen mit Darstellungen des Paares.
Ingres‘ Raffael und die Fornarina von
1814 zeigt den Maler und die Geliebte im Atelier. Die Sitzung für das berühmte
Aktporträt ist unterbrochen; die Fornarina hat sich auf Raffaels Bein gesetzt
und blickt den Betrachter über die rechte Schulter hinweg an. Ihr
Dreiviertelporträt gleicht nicht so sehr dem unfertigen Abbild auf der Leinwand
als eher der ebenfalls berühmten Madonna
della Sedia von Raffael, die rechts an der Rückwand des Ateliers lehnt und demnach
ebenfalls nach diesem Modell gemalt ist. Raffael war Ingres‘ künstlerischer
Fixstern, an dessen Formensprache er sich lebenslang anlehnte. Der Fornarina selbst hat dann insbesondere der italienische Maler Amedeo Modigliani (1884–1920) 1918 mit einer seiner zahlreichen Aktdarstellungen seine Reverenz erwiesen.
Jean-Auguste-Dominique Ingres: Raffael und die Fornarina (1814); Cambridge/Mass., Fogg Art Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Picasso: Raffael und die Fornarina XVII (1968); Radierung |
Picasso: Raffael und die Fornarina XXIII (1968); Radierung |
Amedeo Modigliani: Junge Frau im Hemd (1918); Wien, Albertina |
Literaturhinweise
Brown, David Alan/Oberhuber, Konrad: Monna Vanna and Fornarina: Leonardo and Raphale in Rome. In: Sergio Bertelli/Gloria Ramakus (Hrsg.), History of Art, History of Music. Essays presented to Myron P. Gilmore. La Nuova Italia Editrice, Florenz 1978, S. 25-86;Forcellino, Antonio: Raffael. Biographie. Siedler Verlag, München 2008, S. 229-232;
Pfisterer, Ulrich: Raffaels Muse – Erotische Inspiration in der Renaissance. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 38 (2012), S. 63-83;
Poeschel, Sabine: Raffael und die Fornarina. Ein Bild wird Biographie. In: Udo Grote (Hrsg.), Westfalen und Italien. Festschrift für Karl Noehles. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2002, S. 285– 294;
Talvacchia, Bette: Raffael. Phaidon Verlag, Berlin 2007, S. 122/126.
Pfisterer, Ulrich: Raffaels Muse – Erotische Inspiration in der Renaissance. In: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 38 (2012), S. 63-83;
Poeschel, Sabine: Raffael und die Fornarina. Ein Bild wird Biographie. In: Udo Grote (Hrsg.), Westfalen und Italien. Festschrift für Karl Noehles. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2002, S. 285– 294;
Talvacchia, Bette: Raffael. Phaidon Verlag, Berlin 2007, S. 122/126.
Antonello, sehr angetan
(zuletzt bearbeitet am 10. November 2024)
Vielen Dank für die sehr interessanten und gut bebilderten Texte. Ein wahrer Augenschmaus. Interessante Bezüge werden hergestellt.
AntwortenLöschenWelche Gemälde könnte man denn als Beispiel für die enthaltsame „gute Schöne“ ansehen? Das würde mich sehr interessieren.
Viele Grüße
Daphne
Ihr Lob freut mich, das hört man gerne! Als Beispiele für die "guten Schönen" könnte man zwei Hochzeitsbilder anführen, und zwar Leonardo da Vincis Porträt der Ginevra de' Benci (zwischen 1475 und 1478 entstanden; Abbildungen gibt es im Internet zuhauf) und Raffaels Bildnis der Maddalena Doni von 1506/07. Zum letztgenannten Gemälde gibt es auch Blogbeitrag von mir: http://syndrome-de-stendhal.blogspot.de/2013/06/die-donis-lassen-sich-malen.html
AntwortenLöschenHerzliche Grüße
Antonello
Vielen Dank für Ihre Antwort.
AntwortenLöschenMaddalena Doni vermeidet züchtig den direkten Blick. Aber das tut La Fornarina auch.
Ginevra de' Benci schaut den Betrachter zwar an, aber doch mit so einem verschleierten Blick, dass man sich nicht ganz sicher sein kann. Interessanter Weise zeigen die Gesichter der "guten Schönen" keine Gefühle!
Mir fällt in diesem Zusammenhang ein, wie Rembrandt und Rubens ihre jungen Frauen dargestellt haben. Dort wird sehr wohl eine Beziehung zwischen Maler und Modell spürbar. Ich denke da zum Beispiel an "Das Pelzchen".
Viele Grüße
Daphne
Stimmt, bei „La Fornarina“ fehlt der herausfordernde bzw. einladende Blick hin zum Betrachter – allerdings sind ihre Nacktheit und Gestik sehr eindeutig und wahrlich kein Ausweis von Tugend und Keuschheit. Wohin wenden sich ihre Augen? Zu Raffael, der gerade ihr Porträt malt?
Löschen„Das Pelzchen“ erwähnen Sie ganz zu Recht; durch das Gemälde vibriert förmlich das Begehren des Maler-Ehemannes. Es ist ein eminent erotisches Bild, denn ähnlich wie bei Raffael werden z. B. die Brüste durch den rechten Arm nicht verdeckt, sondern regelrecht zur Schau gestellt. Und mit dem Titel „Het Pelsken“, den Rubens selber gewählt hat, ist nicht nur eine „kleine Frau im Pelz“ gemeint, sondern genauso das „kleine Pelzchen“ der Frau als erotischer Mittelpunkt des Gemäldes. Hier geht es ganz und gar um Verführung: Rubens Ehefrau präsentiert sich ihrem „Voyeur“ mit all ihren körperlichen Reizen, und hier haben wir dann auch wieder den lockenden, offenen Blick der Porträtierten.
Es ist ein durch und durch privates Bild von Rubens, nur für sich gemalt bzw. für sich und seine junge Ehefrau, der er es dann auch testamentarisch vererbt hat, damit es nicht in die Erbmasse eingeht. Eine derart erotisierte Darstellung gibt es meines Wissens bei Rembrandt nur in der Grafik (und dort dann auch wesentlich derber), aber nicht in der Ölmalerei.
Auf den Darstellungen von Rembrandts Frau oder seinen Frauen wird eine emotionale Beziehung spürbar. Sie repräsentieren nicht nur einen gesellschaftlichen Status wie Maddalena Doni, die als "gute Schöne" keine Gefühle zeigen darf. Deshalb erwähnte ich diese Gemälde.
AntwortenLöschenRubens Ehefrau guckt auch nicht herausfordernd direkt, sondern durchaus zurückhaltend. Aber um ihren Mund spielt ein Zug, der erahnen lässt, dass sie Freude und Lust empfinden kann.
Viele Grüße
Ja, man kann den Unterschied zwischen diesen Bildern auch an der Frage nach dem Betrachter festmachen: Wo wurden sie aufgehängt? Wer konnte/sollte sie sehen? Je weniger Öffentlichkeit angestrebt war, desto "natürlicher" und erotischer konnte die Frau gezeigt werden.
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