Montag, 12. November 2012

Rainer Maria Rilke: Spätherbst in Venedig

Claude Monet: Venedig, Palazzo da Mula (1908); Washington D.C., National Gallery of Art


Spätherbst in Venedig

Nun treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder, 

der alle aufgetauchten Tage fängt. 

Die gläsernen Paläste klingen spröder
an deinen Blick. Und aus den Gärten hängt 



der Sommer wie ein Haufen Marionetten 

kopfüber, müde, umgebracht. 

Aber vom Grund aus alten Waldskeletten 

steigt Willen auf: als sollte über Nacht 



der General des Meeres die Galeeren 

verdoppeln in dem wachen Arsenal, 

um schon die nächste Morgenluft zu teeren 



mit einer Flotte, welche ruderschlagend 

sich drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend, 

den großen Wind hat, strahlend und fatal.

Rainer Maria Rilke

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