Nicolas Poussin: Selbstbildnis (1650); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nicolas Poussin (1594–1665) gilt als
Hauptvertreter des barocken Klassizismus; als Maler, der nahezu seine ganze
Laufbahn in Rom verbrachte (seit 1624), ist er vor allem durch seine
Historienbilder und mythologischen Sujets bekannt geworden. Um die Jahrhundertwende
wurde Poussin von seinen beiden wichtigsten Mäzenen und Freunden in Paris
gebeten, ihnen aus seiner Wahlheimat Rom ein Selbstbildnis zu schicken. „Längst
hatte sich das Künstlerporträt in Sammlerkreisen ja etabliert als besonders
sinnfälliges Dokument sowohl der Leistungsfähigkeit des bevorzugten Künstlers
als auch seiner Persönlichkeit“ (Beyer 2002, S. 234).
In dem Louvre-Selbstporträt zeigt sich der
damals 56-jährige Künstler in eleganter dunkler Robe und als lebensgroße Halbfigur, den
Oberkörper im Profil gegeben, den Kopf jedoch über die Schulter gewandt – eine
Haltung, „die seinen während des Malprozesses immer wieder unterbrochenen Blick
in den Spiegel in eine dauerhafte Wendung zum Betrachter transformiert“ (Baader
2005, S. 86). Während die rechte Gesichtshälfte Poussins hell ausgeleuchtet
ist, bleibt die linke weitgehend verschattet. Wulstige, tief eingekerbte Falten
auf der Stirn sollen ihn als nachdenklichen, intellektuellen Künstler
ausweisen. Den sichtbaren Anzeichen fortschreitenden Alterns wirkt eine dichte,
dunkle Perücke mit kräftigen Locken entgegen. Würdevoll stützt der Maler seine
rechte Hand auf eine Zeichenmappe „als Verweis auf den Primat des
disegno, der Zeichnung also“ (Beyer 2002, S. 234); den kleinen Finger schmückt
ein auffälliger Ring mit einem pyramidal geschnittenen Diamanten, der auf den Betrachter gerichtet ist.
Im Rücken des Malers stehen gestaffelt und
gegeneinander versetzt drei Leinwände, die jeweils von einem goldenen Rahmen
eingefasst werden. Dahinter ist auf der grauen Atelierwand ein rechteckiges
braunes Feld zu sehen, das von manchen für eine Tür gehalten wurde, aber eher
weitere, bereits bespannte Keilwände darstellt. Den steinernen Farbton der Wand
aufnehmend, präsentiert sich die rechte der beiden vorderen Leinwände trotz
ihres eleganten Goldrahmens als graue, bildlose Fläche. Die Leinwand trägt eine
Inschrift, die Alter und Herkunftsort des Malers sowie Entstehungsjahr und
Entstehungsort des Selbstporträts nennt: „EFFIGIES NICOLAI PUVSSINI
ANDEL: / YENSIS PICTORIS. ANNO AETATIS. 56 / ROMAE. ANNO IVBILAEI 1650.“ Über
die Inschrift legt sich ein Schatten, der unter dem starken Lichteinfall von
links durch den Körper des Künstlers entsteht. Der Schatten Poussins erinnert
an den Entstehungsmythos der Malerei (Plinius d.Ä., Naturalis historia XXXV
5,15), der ja Porträt und Schatten gleichermaßen zu den Begründern der Kunst überhaupt
erklärt.
Oskar Bätschmann bietet für den Schatten auf der
Leinwand noch eine andere Deutung an: Poussin habe sich auf seinem Selbstporträt
nicht nur einmal, sondern dreifach dargestellt, nämlich in seinem sichtbaren
Abbild, im Schatten auf der leeren Leinwand und in der Inschrift. Der Schatten
zeige, „wie der Maler sein wird, wenn er nicht mehr lebt“; die Inschrift
wiederum „meint das Schattenbild und verbindet sich mit ihm zum Epitaph,
zur Grabschrift“ (Bätschmann 1987, S. 12).
Hinter der grauen Leinwand lehnt leicht erhöht
ein zweites Gemälde, das nach links aus der Bildmitte geschoben ist. Zwischen
den beiden Goldrahmen entsteht ein schmaler horizontaler Streifen, der sich auf
Augenhöhe des Künstlers befindet und so dessen Blick betont. Auf der hinteren
Leinwand sehen wir, durch einen undefinierten roten Gegenstand teilweise
verdeckt, in einer Landschaft eine antik gewandete Frau. Ihr strecken sich zwei
Arme entgegen, die durch den Bildrand abgeschnitten sind. Die weibliche Gestalt
trägt in ihrem Haar ein goldenes Diadem, in das ein geradezu lebendig
wirkendes Auge eingelassen ist. Es handelt sich um die Personifikation der
Malerei selbst, um pittura, „die hier durch ein Attribut der prospettiva, d. h.
der Perspektive als der Kunst des richtigen Sehens, ausgezeichnet ist“ (Baader
2005, S. 86).
Poussins Biograf Giovanni Pietro Bellori deutete
schon im 17. Jahrhundert die sich ihr entgegenstreckenden Arme als
Personifikation der „Liebe zur Malerei“, die Poussin seinem Gönner und
Besteller des Bildes attestiert, bzw. als „Freundschaft“, der das Bild gewidmet
sei. Denn Poussins Porträt entstand für einen ihm verbundenen Sammler, den über
zehn Jahre jüngeren Paul Fréart de Chantelou. Die pittura des Bildes steht für
Poussin, den Maler; die personifizierte Liebe zur Malerei vertritt Chantelou.
1650 hielt sich Chantelou fern von Rom jenseits der Alpen auf – diese räumliche
Distanz mag der Grund dafür sein, warum die angedeutete Umarmung unvollkommen
bleibt. Sie wird aber Wirklichkeit „nicht erst, wenn Poussin und Chantelou
einander wiederbegegnen, was nie geschah, sondern schon in jenem Augenblick, wo
Chantelou das vorliegende Bild in Empfang nehmen kann, jenes Bild, das sowohl
ein sehnsüchtig erwartetes Beispiel für Poussins Malkunst verkörpert als auch
einen sehr persönlichen Beweis für dessen Freundschaft“ (Herklotz 2001, S.
105). Als Symbol der constantia, einer für jedes freundschaftliche Verhältnis
maßgeblichen Tugend, hat man schließlich auch den üppigen Diamantring am Finger
des Malers deuten wollen.
Nicolas Poussin: Selbstbildnis (1649); Berlin, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
In der Berliner Gemäldegalerie befindet sich
noch ein weiteres Selbstporträt Poussins, das ebenfalls für einen Sammler – den
Pariser Bankier Jean Pointel – geschaffen und ein Jahr vor dem Pariser
Selbstbildnis fertiggestellt wurde. Auch dieses Gemälde zeigt den Künstler in
der konventionellen Pose des Halbfigurenbildes, den Oberkörper ebenfalls nahezu
im Profil, den Kopf dem Betrachter zugewandt. Der umhangartige Mantel, ein
elegantes Kostüm des 17. Jahrhunderts, und auch die Perücke „unterstreichen den
vornehmen Habitus: Nicht in Atelier-, sondern in Ausgehkleidung stellt der
Maler sich dem Betrachter vor“ (Herklotz 2001, S. 98). In der Pointel-Version
stützt sich die rechte Hand des Malers auf ein geschlossenes Buch, die linke
hingegen hat einen Kreidestift umfasst (ebenfalls ein Verweis auf den Vorrang
des disegno). Das Spiegelbild dürfte somit ohne korrigierende Seitenverkehrung
auf die Leinwand übertragen worden sein.
Der weite, großfaltige Seidenmantel, in den
Poussin gehüllt ist, kontrastiert mit seinem schlaglichtartig beleuchteten
Antlitz oberhalb des in schimmerndem Dunkel gehaltenen Körpers. Versetzt das
Louvre-Porträt den Betrachter in das Atelier des Künstlers, so bleibt in dem
Berliner Selbstbildnis trotz der unveränderten Kleidung unbestimmt, wo sich
Poussin befindet – der Maler könnte auch unter freiem Himmel gezeigt sein. Denn
als Hintergrund der Künstlergestalt dient ein antiker Grabaltar mit einer von
Eroten getragenen Girlande – klassisches Symbol der Glorifzierung –, die auf
beiden Seiten das Haupt des Malers umfängt. Der Kopf Poussins wiederum wird von
der Marmortafel hinterfangen, „der man in der Antike, eingeleitet von der
Formel DIS MANIBUS, Namen und Alter des Verstorbenen einzumeißeln pflegte“
(Herklotz 2001, S. 99). Die internationalen
Titel des Malers werden lapidar und doch vollständig aufgezählt: „Nicolas
Poussin aus Les Andelys, Mitglied der römischen Akademie, erster Maler des Königs
Ludwig von Frankreich, im Jahre des Herrn 1649 in Rom, im Alter von 55 Jahren.“
– „Dieses Denkmal ist Poussins Denkmal, und seine Gestalt wird durch dieses
Denkmal überhöht“ (Herklotz 2001, S. 99).
Lovis Corinth (1858–1925) hat 1909, auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Erfolgs, ein Selbstporträt angefertigt, das sich erkennbar auf Poussins Pariser Selbstbildnis bezieht. Corinth zeigt sich uns als Maler bei der Arbeit: Während sich sein Oberkörper nach links wendet (Pinsel und Palette lassen vermuten, dass jenseits des linken Bildrands die Staffelei mit der Leinwand steht), ist der Blick des Künstlers frontal auf den Betrachter gerichtet. Die Halbfigur wird fast vollständig von einer grundierten oder aber umgedrehten und nur mit einer Inschrift versehenen Leinwand hinterfangen – das ist ganz die Konstellation, die Poussin in seinem Gemälde von 1650 entwickelt hat. Der entschiedende Unterschied besteht daran, dass sich Corinth jedoch mit Pinsel und Palette abbildet, während bei Poussin jeder Hinweis auf den eigentlichen Malakt fehlt. „Nicht concetto, idea und disegno stehen, wie bei Poussin, im Zentrum, sondern die handgreifliche Arbeit mit dem Farbmaterial. (...) Der idealistischen Kunstauffassung, die Corinth in Poussins Selbstporträt erblickt haben dürfte, stellte er selbst ein Bekenntnis zur Geburt des Bildes aus der Farbpaste entgegen“ (Grave 2014, S. 241).
Lovis Corinth: Selbstporträt, malend (1909); Halle/Saale, Stiftung Moritzburg |
Literaturhinweise
Baader, Hannah: Nicolas Poussin, Selbstbildnis, 1650. In: Ulrich Pfisterer/Valeska von Rosen (Hrsg.), Der
Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Philipp Reclam, Stuttgart 2005, S. 86;
Bätschmann, Oskar: Nicolas Poussin. Landschaft
mit Pyramus und Thisbe. Das Liebesunglück und die Grenzen der Malerei. Fischer
Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1987, S. 8-12;
Bätschmann, Oskar: De lumine et colore. Der Maler
Nicolas Poussin in seinen Bildern. In: Matthias Winner (Hrsg.), Der Künstler über
sich in seinem Werk. Internationales Symposium der Biblioteca Hertziana Rom
1989. VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim 1992, S. 463-484;
Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei.
Hirmer Verlag, München 2002, S. 232-235;
Grave, Johannes: Lovis Corinth als pictor doctus. Kritische Bezugnahmen auf Poussin in einem Selbstbildnis Corinths. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 41 (2014), S. 235-248;
Grave, Johannes: Lovis Corinth als pictor doctus. Kritische Bezugnahmen auf Poussin in einem Selbstbildnis Corinths. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 41 (2014), S. 235-248;
Herklotz, Ingo: Zwei Selbstbildnisse von Nicolas
Poussin und die Funktionen der Porträtmalerei. In: Reinhard Brandt, Meisterwerke
der Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Andy Warhol. Reclam Verlag, Leipzig
2001, S. 88-114;
Prater, Andreas: Das Bildnis vor dem Bild. Bemerkungen zu Poussins Louvre-Selbstporträt. In: Hans Körner u.a. (Hrsg.), Die Trauben des Zeuxis. Formen künstlerischer Wirklichkeitsaneignung. Georg Olms Verlag, Hildesheim 1990, S. 88-103;
Prater, Andreas: Das Bildnis vor dem Bild. Bemerkungen zu Poussins Louvre-Selbstporträt. In: Hans Körner u.a. (Hrsg.), Die Trauben des Zeuxis. Formen künstlerischer Wirklichkeitsaneignung. Georg Olms Verlag, Hildesheim 1990, S. 88-103;
Rehm, Ulrich: Die Bildlichkeit des Bildnisses:
Nicolas Poussin und das Selbstporträt. In: Christian Moser/Jürgen Nelles
(Hrsg.), AutoBioFiktion. Konstruierte Identitäten in Kunst, Literatur und
Philosophie. Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006, S. 53-79;
Winner, Matthias: Poussins Selbstbildnis im Louvre als kunsttheoretische Allegorie. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 20 (1983), S. 419-451;
Winner, Matthias: Poussins Selbstbildnis im Louvre als kunsttheoretische Allegorie. In: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 20 (1983), S. 419-451;
Winner, Matthias: »L’amore di essa pittura« in
Poussins Selbstbildnis von 1650. In: Ars et scriptura. Festschrift für Rudolf
Preimesberger zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Hannah Baader u.a. Gebr. Mann
Verlag, Berlin 2001, S. 181-198.
(zuletzt bearbeitet am 28. April 2020)
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