Benvenuto Cellini: Perseus (1545-1554); Florenz, Piazza della Signoria (für die Großansicht einfach anklicken) |
Nur drei Skulpturen waren bis dahin auf der Piazza aufgestellt worden: Donatellos Judith-Holofernes-Gruppe (siehe meinen Post „Ein äußerst kopfloser Heerführer“), die damals unter der Westarkade der Loggia dei Lanzi stand, Michelangelos David und Baccio Bandinellis Herkules-Cacus-Gruppe vor dem Eingang des Palazzo Vecchio. „Neben diese seinen Perseus zu stellen, spornte Cellinis Ehrgeiz ebenso an wie die Aussicht, Bandinelli in der Gunst des Herzogs verdrängen zu können“ (Poeschke 1992, S. 213).
Donatello: Judith und Holofernes (um 1453-1457); Florenz, Palazzo Vecchio (für die Großansicht einfach anklicken) |
Baccio Bandinelli: Herkules und Cacus (1534); Florenz, Palazzo Vecchio |
Die einst strahlend schöne Medusa war, so berichtet Ovid in seinen Metamorphosen, im Tempel der Athena von Poseidon vergewaltigt worden. Aus Rache für die Schändung ihres Heiligtums hatte die Göttin Medusas von allen bewundertes Haar in hässliche Hydren verwandelt. Perseus, der sich aufmacht, Medusa zu bezwingen, begegnet in den schaurigen Wäldern, in denen sie haust, Monumenten von Menschen und wilden Tieren, die vom Anblick des Medusenhauptes versteinert worden sind. Es gelingt ihm, der schlafenden Medusa den Kopf abzuschlagen, indem er nicht in ihr Gesicht, sondern nur dessen Spiegelbild auf einem Schild anblickt. Dem Körper der Medusa entspringt dabei das geflügelte Pferd Pegasus, da Medusa von Poseidon geschwängert worden war, nachdem er die Gestalt eines Pferdes angenommen hatte. Das abgeschlagene Haupt, in einem Sack aufbewahrt, nutzt Perseus als wirksame Waffe gegen Feinde; sein erstes Opfer ist der Riese Atlas, der Perseus die Gastfreundschaft verweigert.
Cellinis Perseus steht ruhig und selbstbewusst,
nur mit Flügelhelm und -schuhen bekleidet, über der enthaupteten Medusa. Deren kraftvoller Leib dreht sich auf einem Kissen um den Schild, mit dessen Hilfe sie überlistet wurde und auf den der siegreiche antike Held das Standbein setzt, während der linke Fuß den Körper der Geköpften nur behutsam berührt. Aus dem Körper der Medusa fließt am Hals ein kräftiger Blutstrom. Wie eine Trophäe präsentiert Perseus’ hoch erhobene
linke Hand ihr ebenfalls bluttriefendes Haupt, dessen Haar von Perlenketten und Schlangen
durchflochten ist. Zusammen mit der vorgewölbten Brust drückt sich in dieser
Geste Siegerstolz aus, während der geneigte Kopf und der Blick eher
nachdenklich wirken und an Donatellos Bronze-David erinnern (siehe meinen Post „Androgyne Sinnlichkeit“). Das
Kissen wiederum geht auf dessen Judith-Holofernes-Gruppe zurück. Ähnlich wie Perseus
setzt auch Donatellos
Judith nur leicht ihren linken Fuß
auf den Puls von Holofernes‘ rechtem
Arm.
Donatello: David (um 1440), Florenz, Museo Nazionale del Bargello |
Die Züge der Medusa (denen des Perseus nicht unähnlich) sind nicht im Schmerz verzerrt, der Mund ist nicht zum Schrei aufgerissen, sondern nur leicht geöffnet mit erotisch aufgeworfenen Lippen – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Darstellungen ihres Hauptes. Nur die Brauen wirken etwas angespannt, während die fast geschlossenen Augenschlitze pupillenlos scheinen. Die rechte Hand der Medusa hängt bis auf das Zucken des Zeigefingers entseelt herab, während die Linke noch die Kraft besitzt, das eingedrehte Bein am Fußgelenk zu greifen.
Rona Goffen hat
darauf hingewiesen, dass Cellinis Skulptur sehr bewusst auch die
Aufstellungssituation einbezieht und als Teil eines Künstlerwettstreits verstanden werden
muss: Cellini will nicht nur seinen Konkurrenten Bandinelli übertrumpfen, sondern
– wie schon Bandinelli mit seiner Herkules-Cacus-Gruppe – sein Vorbild
Michelangelo herausfordern: „Während Perseus
das Gorgonenhaupt dem Betrachter präsentiert, zeigt er das versteinernde
Attribut zugleich David und Herkules, so daß es den Anschein
erweckt, als seien jene marmornen Giganten durch die Kraft von Cellinis
bronzenem Helden in ,Stein ohne Blut‘ verwandelt worden“ (Goffen 2007, S. 176).
Der Arm des Perseus scheint geradezu im Haupt der Medusa zu enden (für die Großansicht einfach anklicken) |
Beinah zärtlich setzt Perseus seinen Fuß auf den noch warmen Rumpf der Medusa |
Perseus’ Flügelschuhe – mit Durchblick auf die Marmorkopie von Michelangelos David |
Die Figur ist in ihrem
Aufbau streng auf den quadratischen Sockel bezogen und in erster Linie auf
Frontalansicht angelegt. Dennoch: „Der von Cellini selbst erhobenen Forderung,
daß eine Statue acht Ansichtsseiten bieten müsse, wird in dem Perseus geradezu
wörtlich entsprochen“ (Poeschke 1992, S. 214). Die Körperformen des mythischen Helden
sind kräftig ausgebildet, athletischer als die übrigen Statuen und Statuetten
Cellinis; eher schmal wirken dagegen die Hüftpartie und die Fesseln. Mit großer
Detailschärfe hat Cellini die antomischen Einzelheiten behandelt, ebenso die
Korkenzieherlocken und den Schmuck des lässig zurückgeschobenen Helms.
Dessen Rückseite bildet eine
Altmännermaske, die einen zurückgeklappten Helm andeutet und „einen bewußten Kontrapunkt zu dem jugendlichen Gesicht des
Perseus darstellt, diesem gleichsam eine Doppelgesichtigkeit verleiht“
(Poeschke 1992, S. 214). Das hohe, die Achsel zeigende Anheben des Armes ist
ein Motiv, das dann später von dem manieristischen Bildhauer Giambologna übernommen wurde.
Der janusköpfige Perseus |
Perseus mit Brustband: Verbeugung vor dem Vorbild |
Cellini konkuriert
aber nicht nur mit Michelangelo, er verneigt sich auch vor ihm. Denn er
signiert seinen Perseus mit einem sich über die Heldenbrust spannenden Band,
auf dem zu lesen ist: „BENVENVTVS CELLINVS CIVIS FIORENT. FACIEBAT MDLIII“.
Formulierung und Platzierung der Signatur, die sich auf den Abschluss der
Feinarbeiten 1553 beziehen dürfte, verweisen auf ein großes Vorbild:
Michelangelos Pietà in St. Peter
(siehe meinen Post „Die schönste Marmorskulptur der Welt?“).
Aber auch der politische Kontext von Cellinis
Bronzestatue sei kurz aufgezeigt: Der erst achtzehnjährige Cosimo de’ Medici
hatte nach seinem militärischen Sieg 1537 mehr als dreißig führende
Republikaner hängen und köpfen lassen. Als der Herzog in den folgenden Jahren
versuchte, die Bevölkerung durch immer schärfere Maßnahmen zu entwaffnen, um
damit jede Möglichkeit zur Rebellion zu unterbinden, entstand die Idee, eine
monumentale Perseusstatue zu errichten. Cellinis Bronzegruppe erinnerte so
unverhohlen an Cosimos Abrechnung mit seinen Gegnern, dass der Dichter Andrea
Agnolo ihn mit „Herzog Perseus“
ansprach. Wie die Republikaner durch Cosimo hingerichtet worden waren, so
sollten deren Nachfolger vor dem Haupt der Medusa erstarren, „und das Schwert
des Perseus begleitet die Politik, die Gewalt in der Amtsperson des Herzogs zu
monopolisieren, als Drohgebärde“ (Bredekamp 2003, S. 342). Eine von Bandinelli angefertigte Porträtbüste Cosimo I. belegt diese Selbstinzenierung des Herrschers als Perseus: Auf seinem ledernen Brustpanzer prangen zwei Gorgonenhäupter.
Diesen politischen Bezügen lässt sich noch eine feministische Deutung des Perseus an die Seite stellen: Für Yael Even manifestiert sich in Cellinis Skulptur ebenso eindeutig der männliche Herrschaftsanspruch über die Frau. „Not only does Cellini’s portrayal of Medusa attest to Perseus’s prowess, it also encapsulates the male desire to overwhelm women“ (Even 1991, S. 11).
Die Bronzestatuetten in den vier Nischen des Marmorsockels zeigen Jupiter und Danae, die Eltern des Perseus, sowie Minerva und Merkur, die auf den göttlichen Schutz des Helden verweisen. Denn von Minerva, der Göttin des Krieges, der Weisheit und der Künste, erhielt Perseus den Schild, mit dem er Medusa überlistete, und vom Götterboten Merkur die geflügelte Kappe und die geflügelten Sandalen. Cellinis Jupiter und Danae sind deutlich durch die Relieffiguren des Adam und der Eva von Lorenzo Ghibertis Paradiestür am Florentiner Baptisterium beeinflusst. Die um die eigene Körperachse gedrehte, nur auf einem Fuß stehende Statuette des Merkur wiederum kann als eine Vorstufe zu Giambolognas Fliegendem Merkur gesehen werden. Das Bronzerelief schließlich zeigt die Befreiung Andromedas durch Perseus.
Eine der
wichtigsten Nachschöpfungen des Cellini-Perseus
stammt von Hubert Gerhard (um 1550–1620), entstanden um 1585/90 nach
Entwürfen von Friedrich Sustris. Der niederländisch-deutsche Bildhauer schuf seinen
Perseus, der zu den bedeutendsten
europäischen Bronzeplastiken der Spätrenaissance zählt, für Herzog Wilhelm V.
von Bayern als Bekrönung des zentralen Brunnens im Grottenhof der Münchner
Residenz. Nach mehr als vier Jahrhunderten unter freiem Himmel war die
Oberfläche der Bronze so angegriffen, dass sie restauriert werden musste (2004).
Das Original der Plastik wurde durch einen Abguss ersetzt und wird nun in der
sogenannten zweiten Paramentenkammer der Residenz präsentiert. Gerhards
Skulpturengruppe orientiert sich zwar an seinem Florentiner Vorbild, wandelt
sie aber auch erkennbar ab: Zum einen ist der Münchner Perseus gegenüber Cellinis nacktem Helden mit einem antikischem
Panzer bekleidet; zum anderen wendet sich sein Blick nicht wie im Triumph an
den Betrachter, er schaut vielmehr nach unten, als ob der tödliche Schlag gegen
die Medusa eben erst geschehen sei.
Der britische Bildhauer Henry C. Fehr (1867–1940) präsentiert in seiner Bronzeskulptur Die Rettung der Andromeda (1893) einen wiederum nackten Perseus, dessen Körperformen und Maße eng an Cellinis Helden angelehnt sind. Allerdings zeigt er Perseus nicht in ruhigem Stand, sondern in vollem Lauf: Er nutzt den Kopf der Medusa als Waffe, um die Prinzessin Andromeda aus der Gewalt eines Drachen zu befreien, da auch der Blick auf ihr abgeschlagenes Haupt noch immer versteinert.
Michelangelo: Pietà (1498/99); Rom, St. Peter |
Diesen politischen Bezügen lässt sich noch eine feministische Deutung des Perseus an die Seite stellen: Für Yael Even manifestiert sich in Cellinis Skulptur ebenso eindeutig der männliche Herrschaftsanspruch über die Frau. „Not only does Cellini’s portrayal of Medusa attest to Perseus’s prowess, it also encapsulates the male desire to overwhelm women“ (Even 1991, S. 11).
Baccio Bandinelli: Porträtbüste Cosimo I. (um 1555); Florenz, Bargello |
Merkur – eine der vier Bronzestatuetten in den Nischen des Marmorsockels (für die Großansicht einfach anklicken) |
Hubert Gerhard: Perseus und Medusa (um 1585/90, moderner Abguss), München, Residenz |
Henry C. Fehr: Die Rettung der Andromeda (1893); London, Tate Britain (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
(zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2022)
Bredekamp, Horst: Cellinis Kunst des perfekten Verbrechens. In: Alessandro Nova und Anna Schreurs (Hrsg.), Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert. Böhlau Verlag, Köln 2003, S. 316-336;
Cole, Michael: Cellini’s Blood. In: The Art Bulletin 81 (1999), S. 215-235;
Cole, Michael: Giambologna and the Sculpture with No Name. In: Oxford Art Journal 31 (2008), S. 339-359;
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Dalucas, Elisabeth: Der Fuß des Perseus. Anspruch und Wirklichkeit Benvenuto Cellinis. In: Hartmut Laufhütte (Hrsg.), Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. Teil 1. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2000, S. 374-381;
Diemer, Dorothea: Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio. Bronzeplastiker der Spätrenaissance. Band 1. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2004, S. 172-178;
Even, Yael: The Loggia dei Lanzi: A Showcase of Female Subjugation. In: Woman’s Art Journal 12 (1991), S. 10-14;
Diemer, Dorothea: Hubert Gerhard und Carlo di Cesare del Palagio. Bronzeplastiker der Spätrenaissance. Band 1. Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 2004, S. 172-178;
Even, Yael: The Loggia dei Lanzi: A Showcase of Female Subjugation. In: Woman’s Art Journal 12 (1991), S. 10-14;
Goffen, Rona: Agon der Gräber: Michelangelo,
Bandinelli, Cellini, Tizian. In: Hannah Baader u.a. (Hrsg.), Im Agon der Künste.
Paragonales Denken, ästhetische Praxis und die Diversität der Sinne. Wilhelm
Fink Verlag, München 2007, S. 170-194;
Hirthe, Thomas: Die Perseus-und-Medusa-Gruppe des
Benvenuto Cellini in Florenz. In: Jahrbuch der Berliner Museen 29/30 (1987/88),
S. 197-216;
Neumahr, Uwe: Die exzentrische Lebensgeschicht des Künstlers und Verbrechers Benvenuto Cellini. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2021, S. 181-195;
Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance
in Italien. Band 2. Michelangelo und seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1992;
Schröder, Gerald: Versteinernder Blick und entflammte
Begierde. Giambolognas ,Raub der Sabinerin‘ im Spannungsfeld poetisch
reflektierter Wirkungsästhetik und narrativer Semantik. In: Marburger Jahrbuch
für Kunstwissenschaft 31 (2004), S. 175-203;
Shearman, John: Only Connect … Art and the Spectator in the Italian
Renaissance. Princeton University Press, Princeton 1992, S. 44-58;
Tönnesmann, Andreas: Gab es eine späthumanistische
Kultur? Zur Skulpturenausstattung der Piazza della Signoria in Florenz. In:
Notker Hammerstein/Gerrit Walther, Späthumanismus. Studien über das Ende einer
kulturhistorischen Epoche. Wallstein Verlag, Göttingen 2000, S. 263-286;
Wolf, Gerhard: Der Splitter im Auge. »Cellini«
zwischen Narziß und Medusa. In: Alessandro Nova und Anna Schreurs (Hrsg.),
Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert. Böhlau Verlag, Köln 2003, S. 316-336.
(zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2022)
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