Dornauszieher (Spinario); Rom; Musei Capitolini |
Ich badete mich, erzählte ich, vor etwa drei
Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals eine wunderbare
Anmuth verbreitet war. Er mogte ohngefähr in seinem sechszehnten Jahre stehn,
und nur ganz von fern ließen sich, von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die
ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es traf sich, daß wir grade kurz zuvor
in Paris den Jüngling gesehen hatten, der sich einen Splitter aus dem Fuße
zieht; der Abguß der Statue ist bekannt und befindet sich in den meisten
deutschen Sammlungen. Ein Blick, den er in dem Augenblick, da er den Fuß auf
den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen großen Spiegel warf,
erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch’ eine Entdeckung er
gemacht habe. In der That hatte ich, in eben diesem Augenblick, dieselbe
gemacht; doch sei es, um die Sicherheit der Grazie, die ihm beiwohnte, zu prüfen,
sei es, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und
erwiederte – er sähe wohl Geister! Er erröthete, und hob den Fuß zum zweitenmal,
um es mir zu zeigen; doch der Versuch, wie sich leicht hätte voraussehn lassen,
misglückte. Er hob verwirrt den Fuß zum dritten und vierten, er hob ihn wohl
noch zehnmal: umsonst! er war außer Stand, dieselbe Bewegung wieder
hervorzubringen – was sag’ ich? die Bewegungen, die er machte, hatten ein so
komisches Element, daß ich Mühe hatte, das Gelächter zurückzuhalten: –
Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick
an, ging eine unbegreifliche Veränderung mit dem jungen Menschen vor. Er fieng
an, Tage lang vor dem Spiegel zu stehen; und immer ein Reiz nach dem anderen
verließ ihn. Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein
eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebährden zu legen, und als ein Jahr
verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken,
die die Augen der Menschen sonst, die ihn umringten, ergötzt hatte.
Heinrich
von Kleist (aus: „Über das Marionettentheater“, 1810)
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