Caravaggio: Auferweckung des Lazarus (1609); Messina, Museo Regionale (für die Großansicht einfach ankllicken) |
Die Auferweckung des Lazarus wird im Johannes-Evangelium ausführlich beschrieben
(11,1-45). Caravaggio (1577–1610) hat das biblische Ereignis auf einem Gemälde,
das 1609 im sizilianischen Messina entstanden ist und zu seinen letzten Altarbildern
zählt, in die Grabeshöhle selbst verlegt. Der nur angedeutete düstere Innenraum
wird durch einen scheinwerferartigen Lichtstrahl erleuchtet. In ein rotes Gewand
und einen dunkelgrünen Mantel gehüllt, steht die Gestalt Christi weitgehend
verschattet am linken Bildrand. Lediglich seine rechte Schulter und der Rücken
der ausgestreckten Rechten, mit der er auf Lazarus weist, sind hell beleuchtet.
Der ausgemergelte nackte Körper des Lazarus wird,
bereits teilweise von den Grabtüchern befreit, von einem sich nach vorne
beugenden Mann gehalten und zugleich mit dem linken vorgestellten Bein
gestützt. Bei diesem Tragemotiv greift Caravaggio auf die berühmte antike
Pasquino-Gruppe in Rom zurück und auf Giulio Romanos Fresko Kampf um die Leiche des Patroklos aus
dem Palazzo del Te in Mantua.
Unterhalb von Lazarus liegen ein Totenschädel und
Knochen am Boden, die den Ort als Begräbnisstätte kennzeichnen. „Die Steifheit
des Körpers mit den weit ausgebreiteten Armen und dem zurückgesunkenen Kopf
macht anschaulich, dass Lazarus gerade erst im Begriff ist, aus seiner
Totenstarre zu erwachen“ (Schütze 2009, S. 215). Die pathetisch im
Gegenlicht erhobene Hand scheint er der Quelle des Lichts
entgegenzustrecken. Lazarus empfängt das Heil mit kreuzförmig
ausgebreiteten Armen – und weist damit voraus auf die durch den Kreuzestod Jesu
erwirkte Erlösung und die mit ihr verbundene Auferstehung von den Toten.
Caravaggio hat seine Komposition friesartig
aufgebaut. Am rechten Bildrand stehen dicht hinter ihrem Bruder Martha und
Maria; die eine der Schwestern hat sich zu Lazarus hinuntergebeugt
und hält seinen Kopf liebkosend umfangen – sie scheint ihren Bruder regelrecht
wachzuküssen. Das ist durchaus ungewöhnlich, denn in der Bildtradition halten die
beiden Frauen oder ihre Begleiter sich oft die Nasen zu, um dem Leichengeruch
zu entgehen (Johannes 11,39).
Auf der linken Seite steht eine Gruppe aus
Jüngern und den im Evangelium erwähnten Juden, die Christus zur Grabeshöhle
gefolgt waren. Während die dicht gedrängt unmittelbar hinter Jesus stehenden
Männer auf das zentrale Ereignis der Auferweckung blicken, haben sich die drei
hintereinander gestaffelten Personen, die zwischen Christus und Lazarus stehen,
in Gegenrichtung dem Licht zugewandt. Der Eingang der Grabeshöhle liegt außerhalb des Bildes; der durch ihn
einfallende Lichtstrahl lenkt den Blick auf die Gestalt
des Lazarus und veranschaulicht so, dass göttliche Gnade seine Auferweckung bewirkt
hat. Caravaggio
hat die Hand des Lazarus isoliert in die Mitte der Figurenkomposition
gesetzt; das Licht, von dem sie getroffen wird, ist Sinnbild des
wiederkehrenden Lebens. Ganz ähnlich werden auch die Hände des Saulus in
Caravaggios Bekehrung des Saulus (siehe meinen Post „Paulus am Boden“) und die erhobene Hand des Apostels im
Martyrium des Matthäus (siehe meinen Post „Mord am Altar“) von göttlichem Licht erfasst.
Caravaggio: Bekehrung des Saulus (1600/1601); Rom, Santa Maria del Popolo |
Caravaggio: Berufung des Matthäus (1599/1600); Florenz, San Luigi dei Francesi |
Lorenzo Pericolo hat darauf hingewiesen, dass die zentrale Figurengruppe um Lazarus und seine Schwestern wie eine Beweinungsszene aufgebaut ist: „Lazarus’s body replaces Christ’s, whereas Martha’s leaning figure and caressing face stand for those of the bereaved Virgin“ (Pericolo 2011, S. 441). Damit wären in der Auferstehung des Lazarus auch die Kreuzabnahme und Marienklage vorgebildet. Jesus, der von keiner der anderen Personen wirklich wahrgenommen und beachtet wird, erkennt in dem toten Lazarus sein eigenes, ihm von seinem himmlischen Vater vorbestimmtes Schicksal. „In Christ’s separteness thus lie the tragic undertones of The Resurrection of Lazarus“ (Pericolo 2011, S. 445).
Caravaggio hat übrigens in seiner Auferweckung des Lazarus – wie schon in der Gefangennahme Christi (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“) – ein Selbstporträt untergebracht: im Hintergrund, genau über der Hand Christi und ins Profil gewandt, mit zum Gebet gefalteten Händen, dem Erlösung bringenden Licht entgegenblickend.
Caravaggio hat übrigens in seiner Auferweckung des Lazarus – wie schon in der Gefangennahme Christi (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“) – ein Selbstporträt untergebracht: im Hintergrund, genau über der Hand Christi und ins Profil gewandt, mit zum Gebet gefalteten Händen, dem Erlösung bringenden Licht entgegenblickend.
Literaturhinweise
Cassani, Silvia/Sapio, Maria
(Hrsg.): Caravaggio. The Final Years. Electa Napoli, Neapel 2005, S. 125-126;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 192-195;
Halliger, Stephanie: Im Raum zwischen „kanonisch“ und „parabiblisch“. Caravaggios Auferweckung des Lazraus (1609). In: Zeitschrift für Neues Testament 51 (2023), S. 107-130;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage), S. 192-195;
Halliger, Stephanie: Im Raum zwischen „kanonisch“ und „parabiblisch“. Caravaggios Auferweckung des Lazraus (1609). In: Zeitschrift für Neues Testament 51 (2023), S. 107-130;
Pericolo, Lorenzo: Narratives
of the Non-Finito: On Caravaggio’s Denial of Saint Peter, The Burial of Saint Lucy, and The Resurrection of Lazarus. In: Lorenzo
Pericolo, Caravaggio and Pictoral Narrative. Dislocating the Istoria in Early
Modern Painting. Harvey Miller Publishers, Turnhout 2011, S. 415-445;
Röttgen, Herwarth: Kreuz und Auferstehung –
Caravaggios Auferweckung des Lazarus. In: Carla Heussler/Sigrid Genischen
(Hrsg.), Das Kreuz. Darstellung und Verehrung in der Frühen Neuzeit. Verlag
Schnell & Steiner, Regensburg 2013, S. 96-113;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige
Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 212/215;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 19. Dezember 2024)
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 19. Dezember 2024)