Caravaggio: Haupt der Medusa (1597/98); Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der antike Dichter Ovid
erzählt in seinen Metamorphosen (IV,
753-803), dass die wunderschöne Medusa, eine der drei Gorgonen-Schwestern, von
Poseidon im Tempel der Athene vergewaltigt wird. Athene, Zeugin der Tat,
bestraft daraufhin – nicht den Täter, sondern Medusa, indem sie sie in ein
hässliches Ungeheuer mit Schlangenhaaren, langer Zunge und glühenden Augen
verwandelt. Fortan genügt ein Blick in ihre Augen, um versteinert zu werden.
Dem Göttersohn Perseus gelingt es, sich der schlafenden Medusa zu nähern und
ihr den Kopf abzuschlagen – er nutzt dazu eine Tarnkappe, einen Spiegelschild
und geflügelte Schuhe. Mit dem Medusenhaupt an seinem Schild, dessen versteinernde
Wirkung anhält, besiegt Perseus danach zahlreiche Feinde und schenkt den Kopf
schließlich Athene.
Caravaggio
(1571–1610) hat das soeben abgeschlagene, schlangenbesetzte Haupt der Medusa
1597/98 auf einen Prunkschild gemalt (genauer: auf ein schildförmiges, mit
Leinwand überzogenes Stück Pappelholz). Das Gemälde stellt also dar, was es zugleich ist. In Auftrag gegeben wurde das Werk von Kardinal
del Monte als Geschenk für Ferdinando I.; es war für die neue Waffenkammer des
Großherzogs bestimmt. Der Kardinal gehörte zu den frühen Förderern Caravaggios –
Ende 1595 hatte er den Maler für fünf Jahre als Mitglied des Haushalts in
seinen Palazzo aufgenommen.
Mund und Augen der
Medusa sind weit aufgerissen, Blutströme schießen aus dem Hals, ihr letzter
grauenhaft verzerrter Blick erscheint wie eingefroren, „fixiert den Betrachter
mit eindringlicher Direktheit und droht diesen seinerseits zu versteinern“
(Schütze 2009, S. 72). Was Caravaggio auf seinem Schild zeigt, ist das Spiegelbild
der Medusa, in dem die Sterbende sich selbst erblickt – Perseus nutzte ihn, um
sein Gegenüber nicht direkt ansehen zu müssen. Klaus Krüger hat die bildlichen Paradoxien benannt, mit denen Caravaggio den Betrachter irritiert: „Die Darstellung verkörpert ein akutes Hier und Jetzt und manifestiert sich doch zugleich als ein vergangenener Moment, derjenige der Enthauptung; sie setzt einen Schrei in Szene, dessen Hörbarkeit indes unhörbar ist; sie zeigt ein erstarrtes Leben und eine lebendige Erstarrung, einen höchst lebhaft-reaktiven Blick, der gleichwohl ohne innere Regung wie ins Leere gerichtet ist“ (Krüger 2006, S. 26).
Um die Verkürzungen des
Spiegelbildes auf dem konvexen Malgrund überzeugend abbilden zu können, dürfte
sich der Maler eines schildförmigen Spiegels bedient haben (eines „scudo a
specchio“), der zu seinem Hausstand gehörte und auch in dem Gemälde Die Bekehrung Maria Magdalenas
erscheint (siehe meinen Post „Erleuchtet von göttlicher Gnade“). Wahrscheinlich hat Caravaggio für das Medusenhaupt sein eigenes Antlitz
in diesem Spiegel studiert.
Caravaggio: Die Bekehrung Maria Magdalenas (1598/99); Detroit, The Detroit Institute of Art |
Der römische Barockmaler
maß sich bei der Wahl seines Themas mit keinem Geringerem als Leonardo da Vinci
(1452–1519): Der berühmte Renaissance-Künstler hatte nämlich gleichfalls einen
mit einem Medusenhaupt geschmückten Schild geschaffen, der zu den mediceischen
Sammlungen gehörte, jedoch seit 1587 verschollen war. Caravaggios Medusenschild
sollte den von Leonardo ersetzen – und natürlich wollte der junge Künstler den
großen Meister übertreffen. Zugleich erinnerte Caravaggio mit seinem
abgeschlagenen Gorgonenhaupt an Benvenuto Cellins bekannte Bronzestatue des Perseus auf der Pizza della Signoria in
Florenz (siehe meinen Post „Cellinis Medusentöter“).
Benvenuto Cellini: Perseus (1554-1554); Florenz, Piazza della Signoria |
Caravaggio stellt mit
seinem Schild nicht nur den Medusa-Mythos dar, sondern demonstriert auch die
Wirkmacht seiner Malkunst: Er hat den entsetzten, immer noch versteinernden
Blick der Medusa im Spiegel des Schildes festgehalten „und dabei mit solch dramatischer
Lebendigkeit versehen, dass der staunende Betrachter vor Schrecken und
Bewunderung vor dem Bild erstarrt“ (Schütze 2009, S. 72).
Giambattista Marino (1569–1625)
hat das Gemälde in einem Madrigal seiner Galeria
(1619) beschrieben und als Allegorie der militärischen Tugenden Ferdinandos de’
Medici gedeutet:
La
testa di Medusa in una rotella
di
Michelagnolo da Caravaggio
nella
Galeria del Gran Duca di Toscana
Hor quai nemici fian, che freddi marmi
Non diuengan repente
In mirando, Signor, nel vostro scudo
Quel fier Gorgone, e crudo,
Cui fanno orribilmente
Volumi viperini
Squallida pompa e spauentosa ai crini?
Ma che! Poco l’armi
A voi sia d’huopo il formidabil mostro,
Che la vera Medusa è il valor vostro.
Das Haupt der Medusa auf einem Schild
von Michelangelo da Caravaggio,
in der Galerie des Großherzogs von Toskana
Nun, was für Feinde
wären das, die nicht sofort
zu kaltem Stein würden,
wenn sie, Herr, auf
eurem Schild
jene stolze und grausame
Gorgo betrachten,
der auf schreckliche
Weise
ein Gewirr von Vipern
einen hässlichen und
furchtbaren Haarschmuck bildet?
Doch was! Von geringerem
Nutzen
ist euch im Kampf das
schreckliche Ungeheuer:
denn die wahre Medusa
ist euer Mut.
(übersetzt von Christiane Kruse und Rainer
Stillers; aus Giambattista Marino, La Galeria. Zweisprachige Auswahl.
Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2009, S. 50/51)
Eine Enthauptung mit
schreckensweiten Augen und aufgerissenem Mund hat Caravaggio etwa zeitgleich
auch in seinem Gemälde Judith und
Holofernes wiedergegeben (siehe meinen Post „Barock-Splatter“). Beide
Bilder belegen das Interesse des Künstlers an heftigen Affekten, die sich
besonders im Gesichtsausdruck zeigen; ein erstes Beispiel hierfür ist sein frühes
Werk Jüngling, von einer Eidechse
gebissen.
Caravaggio: Judith und Holofernes (1598/99); Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica |
Caravaggio: Jüngling, von einer Eidechse gebissen (1593/94); Florenz, Fondazione Longhi |
Constanze Hager hat jüngst noch eine alternative Deutung zu Caravaggios Medusenschild vorgestellt: Der Maler zeige nicht die gespiegelte Enthauptung Medusas, sondern das Gorgoneion selbst, also das tatsächliche Medusenhaupt auf dem Schild der Göttin Athene. „Wäre eine Spiegelung gemeint, ließe sich erwarten, dass die Umgebung, in der die Gorgo sich bei ihrer Enthauptung befand, mitgespiegelt würde“ (Hager 2016, S. 48); die konvexe Oberfläche des Malgrundes müsste außerdem, so Hager, ein deutlich konvex verzerrtes Spiegelbild zur Folge haben. Da keine Details darauf hinwiesen, dass es sich bei Caravaggios Gemälde um ein spiegelndes, metallisches Schild handele, „wäre es naheliegend, es als das hölzerne Schild zu betrachten, das es tatsächlich ist“ (Hager 2016, S. 49). Das abgebildete Medusenhaupt sei daher als plastischer Kopf zu verstehen, „der auf einen grünen Schild geheftet ist und auf diesen einen Schatten wirft“ (Hager 2016, S. 50). Durch Schatten und Blutwunde verdeutliche Caravaggio, dass es sich bei dem Gorgonenhaupt um einen abgetrennten Kopf handelt.
Caravaggios Medusa ist – wie könnte es anders sein – auch tiefenpsychologisch interpretiert worden: In dem kurzen Aufsatz „Das Medusenhaupt“ von 1922 deutet Sigmund Freud den abgeschlagenen Kopf der Gorgo als Symbol für die männliche Kastrationsangst. Die Zahnreihe im weit geöffneten Mund wiederum erinnert an den Mythos der vagina dentata („bezahnte Vagina“), den Freud ebenfalls mit der Kastrationsangst in Verbindung bringt.
Caravaggios Medusa ist – wie könnte es anders sein – auch tiefenpsychologisch interpretiert worden: In dem kurzen Aufsatz „Das Medusenhaupt“ von 1922 deutet Sigmund Freud den abgeschlagenen Kopf der Gorgo als Symbol für die männliche Kastrationsangst. Die Zahnreihe im weit geöffneten Mund wiederum erinnert an den Mythos der vagina dentata („bezahnte Vagina“), den Freud ebenfalls mit der Kastrationsangst in Verbindung bringt.
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen –
Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009, S.
103-106;
Hager, Constanze: Caravaggios Medusenschild von 1598 – ein Gorgoneion? In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 97 (2016), S. 62;
Hager, Constanze: Caravaggios Medusenschild von 1598 – ein Gorgoneion? In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 97 (2016), S. 62;
Harten, Jürgen/Martin, Jean-Hubert (Hrsg.): Caravaggio. Originale und Kopien im Spiegel der Forschung. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, S. 256-257;
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 67-69;
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 67-69;
Krüger, Klaus: Das unvordenkliche Bild. Zur Semantik der Bildform in Caravaggios Frühwerk. In: Jürgen Harten und Jean-Hubert Martin (Hrsg.), Caravaggio. Originale und Kopien im Spiegel der Forschung. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2006, S. 24-35;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige
Werk. Taschen Verlag, Köln 2011.
(zuletzt bearbeitet am 30. November 2024)
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