Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (2. Fassung, um 1604); Rom, Santa Maria del Popolo, Cerasi-Kapelle |
Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (1. Fassung; 1600/01), Rom, Sammlung Odescalchi (für die Großansicht einfach anklicken) |
Zunächst fertigte Caravaggio zwei Gemälde auf
Holz an (so war es im Vertrag vorgesehen), die jedoch niemals in der Kapelle
angebracht wurden. Eines davon, Die Bekehrung des Paulus
(Apostelgeschichte 9,1-22), befindet sich heute in der römischen Privatsammlung
Odescalchi. Caravaggio hat hier eine eng gedrängte Figurengruppe in
eine landschaftliche Szenerie gesetzt (eine der wenigen, die er überhaupt gemalt hat). Die Macht des gleißenden Lichts hat Paulus zu Boden gerissen, schützend hält er sich beide Hände vor die Augen. Von rechts oben schwebt die von einem Engel begleitete Gestalt Christi mit ausgestreckten Armen auf ihn zu; „a gesture of acceptance and exhortation rather than a reprimand against the former persecutor of Christians“ (Pericolo 2011, S. 249). Ungewöhnlich an Caravaggios Gemälde ist nicht, dass Christus im Bild erscheint, „sondern vielmehr seine physische Präsenz, die unmittelbare, jede Trennung zwischen himmlischer und irdischer Sphäre negierende Interaktion“ (Schütze 2009, S. 110).
Es ist eine unübersichtliche Komposition, aber Jutta Held vermutet, dass weniger ästhetische als theologische Bedenken ausschlaggebend für die Ablehnung des Bildes waren, nämlich die „respektlose Nähe, in die Caravaggio den römischen Krieger zu Christus im Himmel gesetzt hat, der sich sogar anschickt, mit Schild und Lanze gegen die Himmelserscheinung vorzugehen; ferner die heftige Geste, mit der Paulus den Anruf Christi abwehrt“ (Held 2007, S. 98). Der Widerstand des Paulus gegen die göttliche Gnade sei wohl „allzu entschieden“ ausgefallen; für den Gründungsapostel der katholischen Kirche habe man wahrscheinlich eine deutlichere Bejahung seiner Mission erwartet.
Es ist eine unübersichtliche Komposition, aber Jutta Held vermutet, dass weniger ästhetische als theologische Bedenken ausschlaggebend für die Ablehnung des Bildes waren, nämlich die „respektlose Nähe, in die Caravaggio den römischen Krieger zu Christus im Himmel gesetzt hat, der sich sogar anschickt, mit Schild und Lanze gegen die Himmelserscheinung vorzugehen; ferner die heftige Geste, mit der Paulus den Anruf Christi abwehrt“ (Held 2007, S. 98). Der Widerstand des Paulus gegen die göttliche Gnade sei wohl „allzu entschieden“ ausgefallen; für den Gründungsapostel der katholischen Kirche habe man wahrscheinlich eine deutlichere Bejahung seiner Mission erwartet.
Sebastian Schütze bietet noch eine weitere Erklärung für Caravaggios Neufassung: Die erste Version seines Bildes sei offensichtlich für die linke Seitenwand der Kapelle bestimmt gewesen. „Darauf weisen unmissverständlich die Komposition und die Lichtführung ebenso wie die sich von rechts oben nach links unten entwickelnde Narration hin“ (Schütze 2009, S. 110). Nur auf der linken Seitenwand hätte das Gemälde den Darstellungskonventionen eines Sakralraums entsprochen. Christus hätte sich dann, entlang der vom göttlichen Licht betonten Diagonalen, aus der himmlischen Sphäre und vom Altar her kommend auf den in Richtung Kirchenraum zurückweichenden Paulus zubewegt. „Da es im päpstlichen Rom, zumal in der Kapelle des päpstlichen Schatzmeisters, zwingend erscheinen musste, dem heiligen Petrus die hierarchisch höher stehende Evangelienseite zuzuweisen, verständigten sich Caravaggio und seine Auftraggeber auf die Ausführung der zweiten Fassungen, zumal der Maler vielleicht bereits einen Käufer für die ersten Bilder in Aussicht hatte“ (Schütze 2009, S. 110).
Raffael: Bekehrung des Paulus, Wandteppich; Kartons von Raffael (1515/16), Teppich von Pieter van Aelst (1517-19), Rom, Vatikanische Museen |
Die Cerasi-Kapelle in Santa Maria del Popolo: links Caravaggios Kreuzigung Petri, rechts seine Bekehrung des Paulus; das Altarbild stammt von Annibale Carracci |
In seiner Neufassung (diesmal auf Leinwand) hat Caravaggio Figurenzahl und Details dann
radikal reduziert; er zeigt nur noch die Lichterscheinung, aber nicht mehr
Christus. In vorderster Bildebene liegt, die ganze Breite des Gemäldes einnehmend, der rücklings zu Boden geworfene, erblindete Paulus. Links und rechts von ihm sind Schwert und Helm zu sehen. Er ist von göttlichem Licht
getroffen, das ihn innerlich erleuchtet, geradezu erglühen lässt und dem er sich mit weit geöffneten
Armen ergibt. Die Quelle dieses Lichts ist nicht erkennbar.
Paulus wird von Caravaggio nun erheblich jünger, bartlos und in kühner Verkürzung wiedergegeben. Statt des edlen, sich aufbäumenden Schimmels hat er ein schweres, geschecktes Pferd mit gesenktem Kopf gemalt, das fast vollständig die obere Bildhälfte einnimmt. Es hebt ruhig und behutsam den Huf, um seinen Herrn nicht zu verletzen. Aus dem kampfbereiten greisen Soldaten mit dem Halbmond auf seinem Schild – wir befinden uns ja in der Nähe von Damaskus! – wird ein einfacher, unbeteiligt wirkender alter Mann mit bloßen Beinen, der das Pferd am Zaumzeug führt und ihm beruhigend die Hand auf die Nüstern legt. Caravaggio verlegt das Geschehen von der Landschaft in einen Stall – das Ross ist noch gar nicht gesattelt. Auch Pferd und Reitknecht werden von dem Licht gestreift, sind also von dem Gnadenereignis nicht ausgeschlossen. Für den perspektivisch von schräg rückwärts gesehenen Gaul hat Caravaggio übrigens auf Albrecht Dürers Kupferstich Das Große Pferd von 1505 zurückgegriffen (siehe meinen Post „Dürers Pferde“) .
In der ersten Fassung hatte die Wucht des
Ereignisses noch einen ganzen Ast abbrechen lassen. Panik und Schrecken sind
jetzt einer mystischen Stimmung gewichen. Vor allem aber ist die Figur Christi verschwunden. Seine Nähe und die Wirkung seiner Worte („Saul, Saul, was verfolgst du mich?“, Apostelgeschichte 9,4; LUT) werden nur durch das dramatisch einfallende Licht veranschaulicht. Was hier Bedeutsames passiert,
spielt sich allein in Paulus ab. So viel steht fest: Die temporäre Erblindung steht sinnbildlich für seine frühere spirituelle Blindheit. Aber als Betrachter können wir nur ahnen, was in dem Apostel vor sich geht: Es ist ein „Sehen bei gleichzeitiger physischer Blindheit“ (Oy-Marra 2013, S. 295). Wohl kein Maler vor Caravaggio und zu seiner
Zeit hat die religiöse Erweckung „derart radikal als ein subjektives,
inkommensurables, empirisch nicht faßbares Geschehen gedeutet, das lediglich
den einzelnen betrifft“ (Held 2007, S. 101). In Raffaels Wandteppich liegt der
Bekehrte zwar ebenfalls am Boden, wendet sich aber mit vollem Bewusstsein
der himmlischen Erscheinung zu. Damit verdeutlicht er seine innere Zustimmung
zur Berufung durch Christus. Dass der Mensch sich frei entscheiden kann, war
für die Humanisten der Renaissance von größter Bedeutung, damit begründeten sie
seine besondere Würde. Caravaggio dagegen betont die Ergebenheit des von Gott überwältigten
und erwählten Paulus, der die himmlische Gnade mit ausgestreckten Armen empfängt. Der freie Wille und die eigene Entscheidung spielen bei dieser
Bekehrung keine Rolle.
Paulus wird von Caravaggio nun erheblich jünger, bartlos und in kühner Verkürzung wiedergegeben. Statt des edlen, sich aufbäumenden Schimmels hat er ein schweres, geschecktes Pferd mit gesenktem Kopf gemalt, das fast vollständig die obere Bildhälfte einnimmt. Es hebt ruhig und behutsam den Huf, um seinen Herrn nicht zu verletzen. Aus dem kampfbereiten greisen Soldaten mit dem Halbmond auf seinem Schild – wir befinden uns ja in der Nähe von Damaskus! – wird ein einfacher, unbeteiligt wirkender alter Mann mit bloßen Beinen, der das Pferd am Zaumzeug führt und ihm beruhigend die Hand auf die Nüstern legt. Caravaggio verlegt das Geschehen von der Landschaft in einen Stall – das Ross ist noch gar nicht gesattelt. Auch Pferd und Reitknecht werden von dem Licht gestreift, sind also von dem Gnadenereignis nicht ausgeschlossen. Für den perspektivisch von schräg rückwärts gesehenen Gaul hat Caravaggio übrigens auf Albrecht Dürers Kupferstich Das Große Pferd von 1505 zurückgegriffen (siehe meinen Post „Dürers Pferde“) .
Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505), Kupferstich |
Für Caravaggio-Fans ein Must: Santa Maria del Popolo in Rom |
Literaturhinweise
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein
Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009;Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage);
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 121-132;
Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. Wilhelm Fink Verlag, München 2001, S. 273-274;
Pericolo, Lorenzo: „Completely Bereft of Action“: Narrative Blindness and the Heroic Horse in the Cerasi Conversion of Saint Paul. In: Lorenzo Pericolo, Caravaggio and Pictoral Narrative. Dislocating the Istoria in Early Modern Painting. Harvey Miller Publishers, Turnhout 2011, S. 243-263
Oy-Marra, Elisabeth: Die Konversion des Saulus/Paulus am Beispiel Parmigianinos, Michelangelos und Caravaggios. In: Ricarda Matheus u.a. (Hrsg.), Barocke Bekehrungen. Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit. transcript Verlag, Bielefeld 2013, S. 279-299;
Racco, Tiffany A.: Darkness in a Positive Light: Negative Theology in Caravaggio’s Conversion of Saint Paul. In: artibus et historiae 73 (2015), S. 285-298;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 105-111;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 1. Oktober 2020)
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