Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (2. Fassung, um 1604); Rom, Santa Maria del Popolo, Cerasi-Kapelle |
Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (1. Fassung; 1600/01), Rom, Sammlung Odescalchi (für die Großansicht einfach anklicken) |
Es ist eine unübersichtliche Komposition, aber Jutta Held vermutet, dass weniger ästhetische als theologische Bedenken ausschlaggebend für die Ablehnung des Bildes waren, nämlich die „respektlose Nähe, in die Caravaggio den römischen Krieger zu Christus im Himmel gesetzt hat, der sich sogar anschickt, mit Schild und Lanze gegen die Himmelserscheinung vorzugehen; ferner die heftige Geste, mit der Paulus den Anruf Christi abwehrt“ (Held 2007, S. 98). Der Widerstand des Paulus gegen die göttliche Gnade sei wohl „allzu entschieden“ ausgefallen; für den Gründungsapostel der katholischen Kirche habe man wahrscheinlich eine deutlichere Bejahung seiner Mission erwartet.
Sebastian Schütze bietet noch eine weitere Erklärung für Caravaggios Neufassung: Die erste Version seines Bildes sei offensichtlich für die linke Seitenwand der Kapelle bestimmt gewesen. „Darauf weisen unmissverständlich die Komposition und die Lichtführung ebenso wie die sich von rechts oben nach links unten entwickelnde Narration hin“ (Schütze 2009, S. 110). Nur auf der linken Seitenwand hätte das Gemälde den Darstellungskonventionen eines Sakralraums entsprochen. Christus hätte sich dann, entlang der vom göttlichen Licht betonten Diagonalen, aus der himmlischen Sphäre und vom Altar her kommend auf den in Richtung Kirchenraum zurückweichenden Paulus zubewegt. „Da es im päpstlichen Rom, zumal in der Kapelle des päpstlichen Schatzmeisters, zwingend erscheinen musste, dem heiligen Petrus die hierarchisch höher stehende Evangelienseite zuzuweisen, verständigten sich Caravaggio und seine Auftraggeber auf die Ausführung der zweiten Fassungen, zumal der Maler vielleicht bereits einen Käufer für die ersten Bilder in Aussicht hatte“ (Schütze 2009, S. 110).
Raffael: Bekehrung des Paulus, Wandteppich; Kartons von Raffael (1515/16), Teppich von Pieter van Aelst (1517-19), Rom, Vatikanische Museen |
Die Cerasi-Kapelle in Santa Maria del Popolo: links Caravaggios Kreuzigung Petri, rechts seine Bekehrung des Paulus; das Altarbild stammt von Annibale Carracci |
Paulus wird von Caravaggio nun erheblich jünger, bartlos und in kühner Verkürzung wiedergegeben. Statt des edlen, sich aufbäumenden Schimmels hat er ein schweres, geschecktes Pferd mit gesenktem Kopf gemalt, das fast vollständig die obere Bildhälfte einnimmt. Es hebt ruhig und behutsam den Huf, um seinen Herrn nicht zu verletzen. Aus dem kampfbereiten greisen Soldaten mit dem Halbmond auf seinem Schild – wir befinden uns ja in der Nähe von Damaskus! – wird ein einfacher, unbeteiligt wirkender alter Mann mit bloßen Beinen, der das Pferd am Zaumzeug führt und ihm beruhigend die Hand auf die Nüstern legt. Caravaggio verlegt das Geschehen von der Landschaft in einen Stall – das Ross ist noch gar nicht gesattelt. Auch Pferd und Reitknecht werden von dem Licht gestreift, sind also von dem Gnadenereignis nicht ausgeschlossen. Für den perspektivisch von schräg rückwärts gesehenen Gaul hat Caravaggio übrigens auf Albrecht Dürers Kupferstich Das Große Pferd von 1505 zurückgegriffen (siehe meinen Post „Dürers Pferde“) .
Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505), Kupferstich |
Für Caravaggio-Fans ein Must: Santa Maria del Popolo in Rom |
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage);
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 121-132;
Jansson, Peter: Some reflections on Caravaggio’s Religious Art Based on The Conversion of St Paul and The Crucifixion of St Peter. In: Maj-Britt Andersson (Hrsg.), New Caravaggio. Papers presented at the international conferences in Uppsala and Rome 2013. Edizioni Polistampa, Florenz 2013;
Pericolo, Lorenzo: „Completely Bereft of Action“: Narrative Blindness and the Heroic Horse in the Cerasi Conversion of Saint Paul. In: Lorenzo Pericolo, Caravaggio and Pictoral Narrative. Dislocating the Istoria in Early Modern Painting. Harvey Miller Publishers, Turnhout 2011, S. 243-263
Oy-Marra, Elisabeth: Die Konversion des Saulus/Paulus am Beispiel Parmigianinos, Michelangelos und Caravaggios. In: Ricarda Matheus u.a. (Hrsg.), Barocke Bekehrungen. Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit. transcript Verlag, Bielefeld 2013, S. 279-299;
Racco, Tiffany A.: Darkness in a Positive Light: Negative Theology in Caravaggio’s Conversion of Saint Paul. In: artibus et historiae 73 (2015), S. 285-298;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 105-111;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2024)
In Santa Maria del Popolo
(The Conversion of St. Paul)
Waiting for when the sun
an hour or less
Conveniently oblique makes visible
The painting on one wall of this recess
By Caravaggio, of the Roman School,
I see how shadow in the painting brims
With a real shadow, drowning all shapes out
But a dim horse’s haunch and various limbs,
Until the very subject is in doubt.
But evening gives the
act, beneath the horse
And one indifferent groom, I see him sprawl,
Foreshortened from the head, with hidden face,
Where he has fallen, Saul becoming Paul.
O wily painter, limiting the scene
From a cacophony of dusty forms
To the one convulsion, what is it you mean
In that wide gesture of the lifting arms?
No Ananias croons a
mystery yet,
Casting the pain out under name of sin.
The painter saw what was, an alternate
Candour and secrecy inside the skin.
He painted, elsewhere, that firm insolent
Young whore in Venus’ clothes, those pudgy cheats,
Those sharpers; and was strangled, as things went,
For money, by one such picked off the streets.
I turn, hardly
enlightened, from the chapel
To the dim interior of the church instead,
In which there kneel already several people,
Mostly old women: each head closeted
In tiny fists holds comfort as it can.
Their poor arms are too tired for more than this
– For the large gesture of solitary man,
Resisting, by embracing, nothingness.
Thom Gunn
(aus: Thom Gunn, Moly and My Sad Captains. Farrar, Straus & Giroux, New York 1973)
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