Rembrandt: Bildnis des Jan Six (1654); Amsterdam, Six Collection (für die Großansicht einfach anklicken) |
Frans Hals: Willem Coymans (1645); Washington D.C., National Gallery of Art |
Rembrandt hat Jan Six (1618–1700) beim Anziehen seiner
Handschuhe verewigt, wodurch das Porträt wie eine Momentaufnahme wirkt. Der
locker auf der Schulter liegende Mantel verstärkt den flüchtigen Charakter des beinahe
quadratförmigen Bildes. Jan Six steht aufrecht vor uns, eine lebensgroße, als Kniestück wiedergegebene Gestalt vor dunklem, nicht näher bestimmbaren Hintergrund. Seine Position ist gegenüber dem Betrachter leicht erhöht, der Kopf etwas nach vorne und nach rechts gebeugt – eine durchaus ungewöhnliche Pose für ein holländisches Porträt des 17. Jahrhunderts: „Usually, when the portrayed person is standing, the head is also held up, giving the figure a significance of pride or arrogance, as in the portraiture of Frans Hals or Van Dyck“ (Freedman 1985, S. 92). Am sorgfältigsten hat Rembrandt das Gesicht des Porträtierten ausgearbeitet: Von rotbraunen Locken gerahmt, ist es besonders gekennzeichnet durch die lange gerade Nase, die in verschiedene Richtungen blickenden dunklen Augen sowie das breite, von tiefen Falten umgebene Kinn.
Der Vater von Jan Six hatte sein Vermögen in der Seiden- und
Tuchindustrie erworben – er starb allerdings zwei Monate vor der
Geburt seines Sohnes. Nach dem Tod ihres Mannes führte die Mutter den
Familienbetrieb mit fester Hand weiter. Die Einkünfte daraus und die Investitionen
in Immobilien machten sie und ihre Kinder zu einer der reichsten Familien
von Amsterdam. Jan Six selbst studierte an der Universität Leiden die vrije kunsten, die Freien Künste, hielt
sich aber abseits vom Familienbetrieb. Seit 1656 war er Mitglied des
Amsterdamer Stadtrates, 1691 wurde er zum Bürgermeister ernannt.
Rembrandt: Bildnis des Jan Six (1647); Radierung |
In dem 1654 gemalten Porträt in
Dreiviertelansicht jedoch wurde auf jegliches Beiwerk verzichtet. Fast das
gesamte linke Drittel der Leinwand ist lediglich mit dick aufgetragenem Schwarz
bedeckt, aus dem Jan Six hervortritt. Nichts scheint ausdrücklich auf die Persönlichkeit oder den sozialen Hintergrund des Dargestellten hinzuweisen. Doch es
ist die von Jan Six eingenommene Pose, die ihn deutlich charakterisiert: Einer
der von ihm bevorzugten Autoren war der Italiener Baldassare Castiglione (1478–1529). Der erläutert
in seinem 1528 veröffentlichten und viel gelesenen Handbuch Il Cortegiano („Das Buch vom Hofmann“),
das der ideale Höfling vor allem sprezzatura
besitzt. Damit meint er eine natürlich wirkende Nonchalance sowie die
Fähigkeit, Anstrengungen als mühelos erscheinen zu lassen. In der Bibliothek
von Jan Six befanden sich mehrere Ausgaben dieses Buches. „Die Entscheidung,
sich bei einer informellen, alltäglichen Beschäftigung wie dem Anziehen von
Handschuhen porträtieren zu lassen und durch Pose und Blick den Eindruck zu
erwecken, als habe der Maler ihn dabei überrascht, kann ganz im Sinne des
Begriffes der Sprezzatura aufgefasst
werden“ (van der Ploeg 2007, S. 202). Schama betont nachdrücklich
den Zusammenhang zwischen diesem Konzept und der scheinbar legeren Malweise
Rembrandts: „Das größte Kompliment, das Rembrandt seinem Förderer
erweisen konnte, war jedoch, die Farben so auf die Leinwand zu bringen, dass
sie den Anschein von reiner sprezzatura
erweckte, wodurch alle genau kalkulierten Effekte in der Verkleidung eleganter
Spontaneität erschienen, genau wie Castiglione es verlangt hatte“ (Schama 2000,
S. 580). Der Pinselstrich entspricht der Persönlichkeit der dargestellten
Figur.
Raffael: Bildnis des Baldassare Castiglione (1514/15); Paris, Louvre |
Um 1650 war es in Holland üblich, dass Männer, die in ihrer
öffentlichen Rolle als Regierungsbeamter, Händler, Geistlicher oder Vertreter
eines anderen Amtes porträtiert wurden, dezent in Schwarz gekleidet gingen. Die
auffällige rote Farbe von Jan Six’ französischem Mantel verweist daher ausdrücklich
darauf, dass er hier als Privatperson wiedergegeben ist. Unter diesem roten
Umhang und über einem gelben Wams trägt er einen knielangen Reitrock bzw. einen
Kasack aus derbem Wollstoff. Vermutlich sollte damit auf das Reiten und Jagen
als Zeitvertreib der höheren Klassen hingewiesen werden – Aktivitäten, die nach
Castigliones Ideal ebenfalls zum Leben eines perfekten Gentlemans gehören.
Jan Six’ salopp getragene, vor allem aber praktische Kleidung zeigt ihn als Mann, für den weniger Status als vielmehr Geist und Kultur entscheidenden Stellenwert besitzen. Denn Jan Six war begeistert von Kunst und Literatur und richtete sein Leben so ein, dass sie eine bestimmende Rolle darin spielen konnten. Auch hier ähnelt er Castigliones Idealbild eines perfekten Höflings: ein Kunstliebhaber, der mehrere Sprachen spricht, hoch gebildet und sein Leben dem Studium widmend; zugleich ein Mann von Welt und auch ein Gentleman, ebenso aber auch ein guter Soldat und Reiter. Ein entscheidendes Element in Castigliones Beschreibung bildet die ausgewogene Balance zwischen dem geistigen und dem aktiven, dem inneren und dem äußeren Leben, der vita contemplativa und der vita activa.
Luba Freedman hat das gesenkte Haupt und den nachdenklichen, eigentlich nach innen gerichteten Blick des Jan Six mit Rembrandts Bild Aristoteles vor der Büste des Homer in Verbindung gebracht (1653; siehe meinen Post „Antikes Dreigestirn“). Dort ist der antike Philosoph mit ähnlich gebeugtem Kopf dargestellt. „Jan Six’s shadowy face with dark almond-shaped downcast eyes and sallow complexion is characteristic
of a man deeply melancholic“ (Freedman 1985, S.
103/105). Seit
Aristoteles die Frage gestellt hatte, warum alle herausragenden Menschen, ob
Philosophen, Staatsmänner, Dichter oder
Künstler, Melancholiker seien, galt die Melancholie als Temperament der Denker
und „Kreativen“. Jan Six dürfte daher mit Rembrandts Charakterisierung sehr einverstanden gewesen sein.
Jan Six’ salopp getragene, vor allem aber praktische Kleidung zeigt ihn als Mann, für den weniger Status als vielmehr Geist und Kultur entscheidenden Stellenwert besitzen. Denn Jan Six war begeistert von Kunst und Literatur und richtete sein Leben so ein, dass sie eine bestimmende Rolle darin spielen konnten. Auch hier ähnelt er Castigliones Idealbild eines perfekten Höflings: ein Kunstliebhaber, der mehrere Sprachen spricht, hoch gebildet und sein Leben dem Studium widmend; zugleich ein Mann von Welt und auch ein Gentleman, ebenso aber auch ein guter Soldat und Reiter. Ein entscheidendes Element in Castigliones Beschreibung bildet die ausgewogene Balance zwischen dem geistigen und dem aktiven, dem inneren und dem äußeren Leben, der vita contemplativa und der vita activa.
Rembrandt: Aristoteles vor der Büste des Homer (1653); New York, Metropolitan Museum of Art |
Literaturhinweise
Alpers, Svetlana:
Rembrandt als Unternehmer. Sein Atelier und der Markt. DuMont Buchverlag, Köln
1989, S. 202-203;
Dickey, Stephanie S.: Rembrandt: Portraits in Print. John Benjamins Publishing Company, Amsterdam/Philadelphia 2004, S. 115-119;
Freedman, Luba:
Rembrandt’s Portrait of Jan Six. In:
artibus & historiae 12 (1985), S. 89-105;
Schama,
Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000;
van der
Ploeg, Peter: Porträt des Jan Six, 1654 (Nr. 57). In: Rudi Ekkart/Quentin Buvelot
(Hrsg.), Holländer im Porträt. Meisterwerke von Rembrandt bis Frans Hals.
Belser Verlag, Stuttgart 2007.
(zuletzt
bearbeitet am 29. März 2022)
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