Edgar Degas: Die Orchestermusiker (1872, 1874-1876 überarbeitet); Frankfurt, Städel Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Edgar Degas’ Gemälde Die Orchestermusiker ist eines der ersten Werke, in denen sich der
französische Künstler (1834–1917) dem Motiv der Tänzerinnen zuwendet. Das 1872
entstandene Ölbild zeigt eine Szene in der Oper nach einer Tanzaufführung. Die
Komposition ist in zwei Bereiche gegliedert: Im unteren Teil des Hochformats
sitzen die Musiker in ihren schwarzen Anzügen mit dem Rücken zum Betrachter,
ihre Instrumente in der Hand. Sie sind nah an uns herangerückt und von den
seitlichen Bildrändern beschnitten. Das bedeutet: Der Betrachter befindet sich
vermutlich in der ersten Reihe und blickt von schräg unten auf die Bühne.
Allerdings wirken die Größe der Musiker und ihre dunkle Bekleidung zunächst wie
eine Barriere. Über den Instrumenten schließt sich der obere Bildteil an, der
die Tänzerinnen zeigt. Der Kopf des Fagotts rechts zeigt auf eine
Primaballerina, die sich zum Applaus verbeugt. Von ihr führt der Blick nach
links in den Hintergrund, wo sechs Ensembletänzerinnen abwartend vor dem
gemalten Bühnenbild einer Waldlandschaft stehen. In ihre Richtung sind die aus
dem Orchestergraben ragenden Violinbögen gewandt. Eine Opernsituation
realistisch wiederzugeben, ist aber nicht Ziel des Bildes, denn die Musiker im
Vordergrund sitzen nicht nur in unüblicher Reihenfolge, sondern auch viel zu
eng beieinander, um ihre Instrumente tatsächlich spielen zu können.
Degas hat sein Gemälde zwischen 1874 und 1876
überarbeitet und die vorhandene Leinwand oben um 17,5 cm ergänzt (vor dem
Original erkennbar an einer horizontal verlaufenden Linie im oberen Drittel).
Gleichzeitig beschnitt er sie an den Seiten und unten und fügte die drei
Violinbögen sowie den Cellisten rechts im Bild ein, wofür er den Großteil des
Fagotts übermalte.
In der Vergrößerung (Bild einfach anklicken) ist die Anstückung deutlich zu erkennen |
Die Tänzerinnen im Hintergrund stehen nicht mehr
in Tanzpose oder in einer bestimmten Reihenfolge, sie erwarten keinen Applaus.
Ihre Körperhaltung ist ohne Spannung, ihre Blicke sind kaum noch auf das Bühnengeschehen
gerichtet. „Sie werden in dem Moment gezeigt, in dem die künstliche Situation
der Ballettaufführung mit ihren festgelegten Stilisierungen beendet ist und sie
in ihren Alltag übergehen“ (Mordhorst
2015, S. 170). Das ist der Augenblick, der Degas interessiert und den er in seinen
Ballettbildern immer wieder festhält: wenn die Routine die klassischen Posen
überwiegt, wenn die Körper schwer werden und die Mienen Anstrengung,
Konzentration, Erschöpfung und Versunkenheit verraten, hinter der Bühne und in
den Probenräumen.
Utagawa Hiroshige: Die Yoroi-Fähre und Koami-cho (1857); Farbholzschnitt |
Utagawa Hiroshige: Der Pflaumengarten von Kameido (1857); Farbholzschnitt |
Ungewöhnlich ist die Gestaltung des Bildraums,
der auf die Auseinandersetzung mit japanischen Holzschnitten hinweist. Das lässt
sich zum einen an den Musikern erkennen, die in Nahsicht und auf
Augenhöhe des Betrachter gezeigt und vom Bildrand stark beschnitten werden – Degas verstärkt auf diese Weise den Eindruck, sein Bild sei sozusagen eine zufällige Momentaufnahme. Die Flächigkeit seiner Komposition gehört ebenfalls zu den
Stilmitteln japanischer Kunst. Denn durch die Untersicht verschwindet die
Bühne als Standfläche der Akteurinnen regelrecht – „Degas erweitert zwar den
Bereich der Tänzerinnen, gibt ihnen jedoch keinen Raum zum Tanzen“ (Mordhorst
2015, S. 172) –, die Kulisse verschiebt sich nach vorne, der Tiefenzug des
Bildes ist stark reduziert, die Darstellung erscheint zweidimensional. Auch der
deutliche Größenunterschied zwischen Musikern und Tänzerinnen bei fehlender räumlicher
Distanz trägt zu dieser Wirkung bei.
Edgar Degas: Tänzerin mit Blumenstrauß (1877-1880); RISD Museum, Providence/Rhode Island |
Edgar Degas: Das Opernorchester (1870); Paris Musée d‘Orsay |
Literaturhinweise
Berger, Christian: Wiederholung und Experiment bei Edgar Degas. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2014, S. 22-27;
Mordhorst, Svenja: Das Wahre im Künstlichen. Edhar Degas’ Die Orchestermusiker. In: Felix Krämer (Hrsg.), Monet und die Geburt des Impressionismus. Prestel Verlag, München 2015, S. 168-172;
Museum Folkwang (Hrsg.): Monet, Gauguin, van Gogh
... Inspiration Japan. Edition
Folkwang/Steidl, Göttingen 2014.Mordhorst, Svenja: Das Wahre im Künstlichen. Edhar Degas’ Die Orchestermusiker. In: Felix Krämer (Hrsg.), Monet und die Geburt des Impressionismus. Prestel Verlag, München 2015, S. 168-172;
(zuletzt bearbeitet am 15. November 2023)
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