Lorenzo Ghiberti: Opferung Isaaks (1401); Florenz, Bargello (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Winter 1400/1401
schrieben die Stadtregierung von Florenz und die Wollhändlergilde „Arte di
Calimala“ einen öffentlichen Wettbewerb aus: Zu vergeben war der Auftrag für
das zweite Türen-Paar des Baptisteriums. Was folgte, gilt als eines der
berühmtesten Beispiele eines Künstlerwettstreits. Die Aufgabe der Teilnehmer
bestand darin, innerhalb eines Jahres ein Bronzerelief vorzulegen, dass die
Opferung Isaaks zeigt (1. Mose 22,1-19), in Form und Größe den Tafeln der
Vorgängertür von Andrea Pisano (1290–1380) entsprechend. Diese erste Bronzetür,
1336 angebracht, war für das dem Dom gegenüber liegende Ostportal bestimmt; es diente
– wie heute noch – als Haupteingang des Baptisteriums. Die szenischen
Reliefs der Pisano-Tür präsentieren die Geschichte Johannes des Täufers, des
Schutzpatrons von Florenz und daher der nach Christus prominentesten
Bezugsperson im religiösen Leben der Kommune.
1401 hatten sich die Juroren
zwischen den beiden Finalisten Lorenzo Ghiberti (1378–1455) und Filippo
Brunelleschi (1377–1446) zu entscheiden – sieben Konkurrenzreliefs waren
eingereicht worden. Den Zuschlag für den prestigeträchtigen Auftrag erhielt
letztlich Ghiberti, der jüngste der sieben Bewerber. Am 23. November 1403 wurde
der Vertrag unterschrieben, der Künstler begann mit den Arbeiten an den Türen:
28 annähernd quadratische Felder mit Vierpass-Reliefs waren anzufertigen. Wie
bei der Tür von Andrea Pisano sollten die fünf oberen Reihen mit Szenen aus dem
Neuen Testament versehen sein (diesmal aus dem Leben Christi), die beiden untersten
mit acht sitzenden Einzelfiguren (vier Kirchenväter und vier Evangelisten). Am
20. April 1424 wurden die Türen schließlich am Baptisterium angebracht – und zwar am Ostportal. Dafür versetzte man die beiden Pisano-Türen an die Südseite der Taufkirche.
Filippo Brunelleschi: Opferung Isaaks (1401); Florenz, Bargello (für die Großansicht einfach anklicken) |
Auf seinem Wettbewerbsrelief (41 x 36 cm) positioniert Brunelleschi den entscheidenden Moment der
Opferung Isaaks in die obere Hälfte des horizontal aufgeteilten Bildfeldes: Der
bis zum Äußersten angespannte Abraham, als Profilfigur dargestellt, drückt seinem Sohn mit der linken Hand den Kopf nach oben und setzt ihm das Schlachtmesser an den Hals; der gefesselte Isaak wiederum
versucht, auf dem Altar kniend, sich dem Griff des Vaters zu entwinden und sein
Leben zu retten. Im letzten Moment bereitet der herbeigeeilte Engel dem Drama
ein Ende, indem er mit der Linken den Arm Abrahams ergreift und so den Vater
von der Tat abhält. Mit der anderen Hand verweist der Engel auf den von Gott
gesandten Widder, der an Isaaks Stelle geopfert werden soll. „Leicht erhöht befindet sich das Tier fast auf gleichem Niveau wie der Altar, so daß der spätere Austausch der Opfer schon jetzt mühelos visuell vollzogen werden kann“ (Niehaus 1998, S. 55). Der
Widder hat, quasi gegenläufig zum Haupt Isaaks, den Kopf nach links
gewendet: Brunelleschi betont auf diese Weise, so Norbert Schneider,
seine Funktion als Opfertier, denn der Bock präsentiert damit die Stelle, an der die Schächtung vorzunehmen war.
Die untere Hälfte bzw.
der Vordergrund des Reliefs füllt Brunelleschi mit den beiden
Dienern Abrahams und seinem Esel. Als die unteren Eckpunkte einer Dreieckskomposition, dessen Spitze Abraham bildet, sind sie jeweils nach außen gerückt, den Esel zwischen sich einspannend. Die in der linken Ecke sitzende Figur ist ein
Antikenzitat: Brunelleschi greift hier die Haltung des berühmten Dornausziehers aus dem Museo Capitolino
auf. Der zwischen den beiden Männern in der Mitte platzierte Esel hat seinen
Kopf gesenkt, um aus einem Rinnsal am unteren Bildrand zu trinken. Aus
derselben Quelle schöpft der rechts sitzende Diener mit einer Schale Wasser.
Während der untere Bereich in sehr hohem Relief gearbeitet ist und vor allem die Diener beinahe wie freiplastische Statuetten wirken, hat Brunelleschi den Reliefgrad im oberen Bereich deutlich reduziert. Er weist den beiden Szenen dadurch verschiedenen Raumzonen zu, schafft auf diese Weise also Vorder- und Mittelgrund. Die Hauptszene mit der Opferung findet daher nicht nur über, sondern auch räumlich hinter den wartenden Dienern statt. Sie ist zwar in den Mittelgrund gerückt, befindet sich aber, anders als bei Ghiberti, im Bildzentrum. Das gilt vor allem für die Figur des Isaak.
Während der untere Bereich in sehr hohem Relief gearbeitet ist und vor allem die Diener beinahe wie freiplastische Statuetten wirken, hat Brunelleschi den Reliefgrad im oberen Bereich deutlich reduziert. Er weist den beiden Szenen dadurch verschiedenen Raumzonen zu, schafft auf diese Weise also Vorder- und Mittelgrund. Die Hauptszene mit der Opferung findet daher nicht nur über, sondern auch räumlich hinter den wartenden Dienern statt. Sie ist zwar in den Mittelgrund gerückt, befindet sich aber, anders als bei Ghiberti, im Bildzentrum. Das gilt vor allem für die Figur des Isaak.
Dornauszieher (Spinario); Rom, Museo Capitolino |
Auf Ghibertis Relief
sind die beiden Hauptfiguren in der oberen rechten Bildhälfte angeordnet, von
den anderen Figuren deutlich abgetrennt durch eine diagonal verlaufende
Felsformation, Durch diese Teilung wird auch die zeitliche Dimension der Erzählung anschaulich: Nach dem Bericht aus 1. Mose 22 lässt Abraham nach drei Tagen seine beiden Knechte und den Esel zurück, um sich mit Isaak zur fernen Opferstätte zu begeben. Anders als bei Brunelleschi ist uns Isaak frontal zugewandt – eine klassische Schönheit,
wohlproportioniert und mit gelocktem, schulterlangen Haar. Auch seine Hände
sind auf dem Rücken gefesselt, aber der muskulöse junge Mann sieht seinem Vater
nun, wenn auch erstaunt, direkt in die Augen und scheint jeglicher Todesangst
zu trotzen. Schneider erkennt in der Drehung seines Kopfes eine Nähe zu der berühmten hellenistischen Figurengruppe des Gallier Ludovisi (siehe meinen Post „Lieber tot als Sklave“). Die Figur Abrahams wird „im wesentlichen von den Schüsselfalten gebildet, die weich um den Körper schwingen“ (Niehaus 1998, S. 52). Der Patriarch hat in eleganter Bewegung seinen Arm erhoben und das Messer
bedrohlich gegen seinen Sohn gerichtet. Dabei flattert ein Stück Stoff seines Ärmels
in der Luft flattert, was die innere Erregung Abrahams veranschaulicht.
Die Dramatik der Szene wird in erster Linie durch den
ernsten Gesichtsausdruck des Vaters verdeutlicht und nicht durch dessen
Körperhaltung. Von rechts oben naht der perspektivisch verkürzte Engel, wobei sich
Ghiberti genauer an den biblischen Text hält als Brunelleschi. Denn dort wird
nur berichtet, dass der Engel Abraham durch Zuruf Einhalt gebietet, und nicht,
dass er physisch eingreift: „Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und
sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine
Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott
fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da
hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit
seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum
Brandopfer an seines Sohnes statt“ (1. Mose 22,11-13; LUT). Ghibertis Diener stehen
links unten eng beieinander und scheinen – über den Esel hinweg – ins Gespräch
vertieft.
Gallier Ludovisi; Rom, Museo Nazionale Romano |
Anders als Brunelleschi
orientiert sich Ghiberti also nicht nur präziser an der textlichen Vorlage, er
tendiert auch zu einer anmutigeren, eleganteren Formensprache.
Zudem ist ihm Tiefenwirkung, die Illusion von Dreidimensionalität wichtiger als
Brunelleschi, was sich an perspektivischen Verkürzungen wie der des Engels erkennen
lässt. Alexander Perrig vermutet für den Wettbewerbsentscheid auch handfeste ökonomische
Erwägungen: Brunellschis Relief wiegt sieben Kilogramm mehr als das von
Ghiberti, obwohl allen Konkurrenten die gleiche Erzmenge zur Verfügung gestellt
worden war. Für das entsprechende Türganze hätten die Verantwortlichen mit
einem Materialmehraufwand von über zwei Zentnern rechnen müssen. Brunelleschis
Relief ist außerdem aus einer weitaus höheren Zahl von einzel gegossenen
Stücken zusammengesetzt als dasjenige Ghibertis. Für die Ausführung einer
entsprechenden Tür wäre daher mit einem wesentlich höheren Arbeitsaufwand zu
rechnen gewesen. Doch das bleiben Vermutungen – die Gründe für die Entscheidung der Jury lassen sich kaum mehr zwingend rekonstruieren.
Von der Künstlerkonkurrenz um die Baptisteriumstür haben sich nur die beiden Reliefs von Brunelleschi und Ghiberti erhalten: Ghibertis Arbeit verblieb zunächst bei der Zunft; Brunelleschis Tafel konnte man ab 1432 am Altar der Alten Sakristei in San Lorenzo bewundern (die Alte Sakristei wie auch der Altar wurden nach den Entwürfen Brunelleschi errichtet). Im 17. Jahrhundert kamen beide Werke in die Kunstsammlung des Großherzogtums der Toskana, seit 1859 sind sie im Bargello in Florenz öffentlich ausgestellt.
Von der Künstlerkonkurrenz um die Baptisteriumstür haben sich nur die beiden Reliefs von Brunelleschi und Ghiberti erhalten: Ghibertis Arbeit verblieb zunächst bei der Zunft; Brunelleschis Tafel konnte man ab 1432 am Altar der Alten Sakristei in San Lorenzo bewundern (die Alte Sakristei wie auch der Altar wurden nach den Entwürfen Brunelleschi errichtet). Im 17. Jahrhundert kamen beide Werke in die Kunstsammlung des Großherzogtums der Toskana, seit 1859 sind sie im Bargello in Florenz öffentlich ausgestellt.
Die beiden 1424 angebrachten Baptisteriumstüren von Lorenzo Ghiberti |
1425 erhielt Ghiberti
ohne das Zwischenspiel eines erneuten Wettbewerbs den Auftrag, ein drittes
(sein zweites) Bronzeportal für das Baptisterium anzufertigen. Nach 27 Jahren war
sein Werk vollendet und wurde Mitte Juni 1452 der Öffentlichkeit vorgestellt –
es handelt sich um die sogenannte Paradiestür,
die ich demnächst vorstellen werde.
Literaturhinweise
Markschies, Alexander: Brunelleschi. Verlag C.H. Beck, München 2011, S. 26-32;
Niehaus, Andrea: Florentiner Reliefkunst von Brunellschi bis Michelangelo. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1998, S. 51-61;
Perrig, Alexander: Lorenzo Ghiberti. Die Paradiestür. Warum ein Künstler den Rahmen sprengt. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1987;
Niehaus, Andrea: Florentiner Reliefkunst von Brunellschi bis Michelangelo. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1998, S. 51-61;
Perrig, Alexander: Lorenzo Ghiberti. Die Paradiestür. Warum ein Künstler den Rahmen sprengt. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1987;
Prochno, Renate: Die
stilisierte Konkurrenz nach der Antike: Die Ausschreibung für die
Baptisteriumstüren in Florenz 1401. In: Renate Prochno, Konkurrenz und ihre Gesichter
in der Kunst. Wettbewerb, Kreativität und ihre Wirkungen. Akademie Verlag,
Berlin 2006, S. 35-41;
Rauterberg, Hanno: Die Konkurrenzreliefs. Brunelleschi
und Ghiberti im Wettbewerb um die Baptisteriumstür in Florenz. LIT Verlag,
Münster 1996;
Schneider, Norbert: Kunst der Frührenaissance in Italien. Exemplarische
Interpretationen. Band 1: Skulptur. LIT Verlag, Karlsruhe 2017, S. 15-33;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 14. September 2021)
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