Pablo Picasso: Sitzender Akt, sich den Fuß trocknend (1921); Berlin, Museum Berggruen (für die Großansicht einfach anklicken) |
Mit Picassos „Klassizismus“ verbindet man zuerst seine großen Frauengestalten der frühen 20er Jahre. Diese „schweren Frauen“
zeigen allerdings keine individuellen Züge, sie sind zeitlose Idealtypen mit
klassischen Draperien und streng vom Mittelscheitel herabfließenden Haaren. Zu ihnen
gehört auch das Pastell Sitzender Akt,
sich den Fuß trocknend aus der Sammlung Berggruen in Berlin. Quelle für das
Haltungsmotiv der üppigen weiblichen Figur ist ohne Frage der antike Spinario, die römische Bronze eines
Jungen, der sich einen Dorn aus dem Fuß zieht. Picasso konnte ihn
wahrscheinlich 1917 in Rom sehen.
Dornauszieher (Spinario); Rom, Museo Capitolino |
Auf diese berühmte und häufig kopierte
Skulptur aus dem Museo Capitolino bezieht sich auch Pierre-Auguste Renoir
(1841–1919) in seiner arkadischen Szenerie mit badender Eurydike. Dieses Bild einer üppigen Frau mit kleinen, hoch
angesetzten Brüsten hatte Picasso 1920 mit sechs weiteren Bildern im Tausch von
seinem Kunsthändler Paul Rosenberg für seine eigene Sammlung erworben. Es
dürfte die unmittelbare Inspiration für sein Pastell gewesen sein. Renoir, der
es im Pastellzeichnen zu großer Meisterschaft gebracht hatte, mag Picasso auch
zu dieser Technik angeregt haben. Das Gefühl, einer künstlerische Tradition
anzugehören – insbesondere der französischen – und ihr verpflichtet zu sein,
hatte sich bei Picasso nochmals verstärkt, als er den Sommer 1921 in Fontainebleau
bei Paris verbrachte.
Pierre-Auguste Renoir: Eurydike (1895-1900); Paris, Musée Picasso |
Von Renoir übernommen ist die Haltung des
fülligen, sinnlichen Frauenkörpers, die ebenfalls auf einem Badetuch sitzt. Aber
während Renoir seinen Akt in einer freundlichen Landschaft mit weiteren Staffagefiguren
darstellt, platziert Picasso seine weibliche Figur mit deutlich
überdimensionierten Händen und Füßen vor einem durchgehend glatten, blauen Meer
und einem einförmigen Himmel. Sand, Wasser und Himmel wirken bei dem spanischen
Künstler flach wie eine Tapete; „der Realitätscharakter der Landschaftsfolie
wird durch die springende Horizontlinie zusätzlich gestört“ (Schulze 2003, S.
210). Die Kargheit des Hintergrunds, noch unterstützt durch den braunen
sockelartigen Sitz, monumentalisiert die Gestalt; ganz auf sich bezogen,
erscheint sie beinahe wie eine Skulptur. Die heitere Lebensfreude
Renoirs ist
introvertierter Melancholie gewichen. „Die nachdenkliche, sinnende Frau, die
für Renoir kaum je als Typus in Frage gekommen wäre, bleibt in Picassos Kunst
eines seiner Schlüsselthemen“ (Riopelle 2009, S. 78).
Pablo Picasso: Große Badende (1921); Paris, Musée de l’Orangerie |
Literaturhinweise
Conzen, Ina (Hrsg.): Picassos Badende. Hatje
Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2005, S. 56;
Riopelle, Christopher: Rückkehr zu einer Art
Ordnung. In: Louise Rice (Hrsg.), Picasso und die Alten Meister, Belser Verlag,
Stuttgart 2009, S. 69-78;
Schulze, Sabine (Hrsg.): nackt!. Frauenansichten.
Malerabsichten. Aufbruch zur Moderne. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2003, S. 210;
Schuster, Klaus-Peter u.a. (Hrsg.): Picasso und
seine Zeit. Die Sammlung Berggruen. Nicolaische Verlagsbuchhandlung, Berlin
1996, S. 114;
Weisner, Ulrich (Hrsg.): Picassos Klassizismus. Werke 1914 – 1934. Edition Cantz, Stuttgart 1988.
(zuletzt bearbeitet am 23. April 2021)
(zuletzt bearbeitet am 23. April 2021)
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