Raffael: Donna Velata (um 1514/15); Florenz, Palazzo Pitti (für die Großansicht einfach anklicken) |
Raffaels berühmtes Bildnis der Donna Velata, um 1514/15 entstanden,
verdankt seinen Namen dem langen, eleganten Schleier der dargestellten Dame
(ital. velato = verschleiert). Die in
Dreiviertelansicht präsentierte Halbfigur ist in ein kostbares Gewand aus
silbergrauer Seide gekleidet; darunter trägt sie eine hellere, sorgfältig
plissierte Bluse aus leichtem Leinen, die sich um den Ausschnitt herum kräuselt.
Der Schwung des nah an den Betrachter herangerückten linken Ärmels ist geradezu
dramatisch gestaltet und zieht sogleich alle Aufmerksamkeit auf sich. Die
luxuriöse Stofffülle betört nicht nur durch ihre warmen Farbtöne, sondern auch durch
die Pracht, mit der sie sich bauscht und fältelt. Raffael inszeniert Kleidung hier
so glanzvoll, dass man auch vom „Porträt eines Ärmels“ gesprochen hat.
Ebenso wie die dezenten Falten des elfenbeinfarbenen
Schleiers bilden die ebenmäßigen Gesichtszüge der Porträtierten einen
deutlichen Kontrast zu dem opulent wogenden Puffärmel. Die Dame trägt außerdem
ein goldenes Armband mit eingefassten Edelsteinen und eine Halskette, offenbar
aus Bernstein oder Karneol. Beide Schmuckstücke erinnern an antik-römisches
Geschmeide. Ihr Haarschmuck, je ein viereckig geschliffener Rubin und Saphir
mit einem Perlenanhänger, wirkt eher zeitgenössisch. Ob der Schleier darauf verweist,
dass es sich bei der Dargestellten, der damaligen Kleiderordnung zufolge, um
eine verheiratete Frau und Mutter handelt, ist umstritten.
Während die linke Hand der jungen Frau von den
Bildrändern angeschnitten wird, ruht ihre Rechte, teilweise vom Schleier
verdeckt, auf der Brust. Dabei schiebt sich ihr Zeigefinger in den Ausschnitt
der Bluse, als deute er auf das Herz oder halte das Kleid zusammen, das leicht
verrutscht zu sein scheint. Konrad Oberhuber interpretiert die Geste der
rechten Hand als die „einer Braut, einer Verlobten oder einer treuen Ehegattin“
(Oberhuber 1999, S. 199). In deutlichem Gegensatz dazu sieht Antonio Forcellini
in dem Bildnis „nichts anderes als die Projektion männlicher Phantasien: der
Schleier, der vom Kopf rutscht, der Ärmel, der die Schulter herabgleitet, das
an der Brust aufgeknöpfte Kleid (...) Raffael entführt den Betrachter in das
Schlafzimmer einer Frau, die im Begriff ist, sich auszuziehen“ (Forcellino
2008, S. 228). So wundert es auch nicht, dass er den prominent dargebotenen
linken Ärmel als „Sinnbild der Weiblichkeit“ bzw. unmissverständlich erotisch deutet:
„Die tiefen, gebauschten Falten folgen dicht aufeinander und lassen einen
hellen Schimmer erkennen, sodass Hohlräume entstehen, die insbesondere mit der
breiten, goldumsäumten Öffnung an die Vulva gemahnen“ (Forcellino 2006, S.
226).
Leonardo da Vinci: Mona Lisa (1503-1506); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Haltung der Donna Velata greift auf Leonardo da Vincis berühmte Mona Lisa zurück (siehe meinen Post „La Gioconda“), verzichtet aber
dem Vorbild gegenüber darauf, den die Figur umgebenden Raum genauer zu
beschreiben. Es ist vermutet worden, dass es sich bei der Donna Velata um das gleiche Modell handelt wie bei Raffaels
ebenfalls berühmtem Porträt La Fornarina
(siehe meinen Post „Raffaels schöne Bäckerstochter“), das um 1518/19 entstanden
sein dürfte. Die beiden Frauen sind in beinahe identischer Pose dargestellt,
beide tragen die gleiche Frisur und ähnlichen Haarschmuck an exakt derselben
Stelle. In der Gegenüberstellung wirken sie insgesamt wie „polarisierende
Pendantstücke“ (Beyer 2002, S. 144): die eine extravagant verhüllt, die andere
ihre sinnliche Nacktheit darbietend. Während die Donna Velata ihren linken Ärmel wie eine Barriere vor den
Betrachter schiebt, hat La Fornarina
ihre linke Hand mit gespreizten Fingern lasziv in den Schoß gelegt. „Scheint
jene mit der rechten Hand ihr Gewand zu schließen, hebt diese damit die nackte
Brust leicht an und präsentiert sie dem Betrachter“ (Beyer 2002, S. 144).
Raffael: La Fornarina (1518/19); Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Donna
Velata weist darüber hinaus auch große Ähnlichkeit auf mit der Sixtinischen Madonna, der Madonna della Sedia, der Madonna Aldobrandini sowie einer Sibylle
in Santa Maria della Pace (Rom). Handelt es sich in allen Fällen um das gleiche
Modell, eine Geliebte Raffaels, wie der Künstlerbiograf Giorgio Vasari
behauptet? Oder sind diese Frauen nichts anderes als Variationen von Raffaels
weiblichem Schönheitsideal? Wie zu erwarten, gehen die Meinungen der
Kunsthistoriker hier auseinander. Antonio Forcellino jedenfalls meint, aufgrund
der so unterschiedlichen linken Ohrläppchen ausschließen zu können, dass es sich
bei der Donna Velata und La Fornarina um das gleiche Modell
handelt ... Mit größerer
Sicherheit lässt sich immerhin sagen, dass die
reduzierte Farbpalette die Donna Velata
zeitlich in die Nähe von Raffaels Porträt
des Baldassare Castiglione rückt, das um 1514/15 datiert wird.
Raffael: Sixtinische Madonna (1512/13); Dresden, Gemäldegalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Raffael: Porträt des Baldassare Castiglione (1514/1515); Paris, Louvre (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Beyer, Andreas: Das Porträt in der Malerei. Hirmer
Verlag, München 2002, S. 144;
Forcellino, Antonio: Raffael. Biographie. Siedler
Verlag, München 2008, S. 224-229;
Oberhuber, Konrad: Raffael. Das malerische Werk.
Prestel Verlag, München/London/New York 1999, S. 199;
Plazzotta, Carol: Donna Velata. In: Hugo Chapman u.a. (Hrsg.): Raffael. Von Urbino
nach Rom. Belser Verlag, Stuttgart 2004, S. 278;
Talvacchia, Bette: Raffael. Phaidon Verlag, Berlin 2007, S. 122/128.
(zuletzt bearbeitet am 26. April 2021)
(zuletzt bearbeitet am 26. April 2021)
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