Georges de La Tour: Drehorgelspieler mit einer Fliege (um 1620/25); Nantes, Musée des Beaux-Arts |
Georges de La Tour
war zu seinen Lebzeiten, in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als
Künstler überaus erfolgreich. Er durfte sich „Maler in Diensten des Königs“
Ludwig XIII. nennen; seine Gemälde hingen in vielen europäischen Privatsammlungen.
Als er 1652 sehr vermögend starb, war er ein Malerfürst – dann wurde er
vergessen, für über 250 Jahre. Seine Wiederentdeckung begann 1915, als
Hermann Voss drei Gemälde von ihm identifizierte. Der Künstler La Tour war zwar
lange Zeit völlig aus dem Blick geraten – seine Gemälde jedoch keineswegs. Sie
wurden nur unter anderen Namen geführt und mal der niederländischen, mal der
italienischen, vor allem aber der spanischen Malerei zugeschrieben. Der Drehorgelspieler mit einer Fliege aus
dem Musée des Beaux-Arts in Nantes begann seine Museumskarriere als Murillo,
wechselte zu Velázquez, Ribera, Herrera el Viejo, Juan Bautista Maíno und Juan
Rizzi, bevor man ihn definitiv La Tour zuerkannte.
1593 als Sohn eines
wohlhabenden Bäckers in dem zum Bistum Metz gehörenden Ort Vic-sur-Seille
geboren, ließ sich La Tour mit 27 Jahren in Lunéville nieder, wo er, anders als
in der Residenzstadt Nancy, keine örtliche Konkurrenz zu fürchten hatte. 1638,
als Lunéville in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges niedergebrannt und
ausgeplündert wurde, entschloss er sich, zumindest zeitweise in Paris zu leben,
während seine Familie in Nancy untergebracht war. La Tour bekam ein Zimmer im
Louvre und wurde zu einem der favorisierten Maler des Hofes. Aber schon 1643
hatte er seinen Wohnsitz wieder in Lunéville – wo er bis zu seinem Tod blieb.
Zu La Tours Ausbildung ist kein einziges
Dokument vorhanden. So streitet man sich noch immer, ob er wie die meisten
seiner Zeitgenossen in Italien war und dort mit Caravaggios Nachfolgern, etwa Orazio
Gentileschi, in Kontakt kam – oder ob er den Caravaggismus, dem sein Werk ohne
Zweifel verpflichtet ist, über die Niederländer Gerrit van Honthorst und
Hendrik ter Brugghen kennenlernte und möglicherweise selbst in den Niederlanden
war.
Das uns heute bekannte Œuvre La Tours umfasst 80
Gemälde, einschließlich derer, die nur durch Kopien oder Dokumente überliefert
sind. Die meisten Motive, die sie zeigen, kommen zwei-, drei-, viermal oder
noch öfter vor – La Tour war der erste seriell arbeitende Maler der Neuzeit. Den
blinden Drehorgelspieler malte er im Stehen, frontal mit halbgeöffnetem Mund
und seitlich geneigtem Kahlkopf, einen angeleinten Hund zu seinen Füßen; dann
zeigt er ihn noch einmal im Profil, sitzend, mit gekreuzten Beinen, am vorderen
Bildrand die abgewetzte Lederhülle seines Instruments; und schließlich ein
drittes Mal, jetzt in Dreiviertelansicht, laut singend, das Gesicht zu einer
Grimasse des Elends verzogen.
Georges de La Tour: Büßende Magdalena (um 1640); Paris, Louvre |
Georges de La Tour: Büßende Magdalena (um 1640); New York, Metropolitan Museum of Art |
Ganz ähnlich verhält es sich mit der büßenden
Magdalena, von der mindestens fünf Varianten und etliche Kopien erhalten sind:
Sie zeigen, mit einer Ausnahme, immer die gleiche Frau, vielleicht eine von
seinen älteren Töchtern, in verschiedenen Stadien der Askese – mit entblößter
oder bedeckter Brust, im Seiden- oder Leinenrock, mit oder ohne Spiegel, mit
offen brennender oder verdeckter Kerze, mit wechselnden Requisiten und
Schattenspielen. Keiner von La Tours Figuren nimmt Blickkontakt mit dem Betrachter
auf. „Die einen sind blind, die anderen schielen sich angestrengt durch ihre
Betrügereien, die Dritten sind in Meditation versunken“ (Kesser 2016). Die Außenwelt
bleibt bei La Tour ausgespart, die Szenen spielen stets in verschatteten,
geschlossenen Räumen.
Georges de La Tour: Hieronymus liest einen Brief (1629); Madrid, Prado |
La Tours Nähe zur zeitgenössischen spanischen
Malerei ist unverkennbar, zumindest in der ersten Werkphase. Es sind nicht nur
die ähnlichen Gestalten, die an Ribera, Velázquez oder Zurbarán erinnern,
sondern auch die Art ihrer Präsentation und ihre zurückhaltende Farbigkeit:
Meist sind sie in unbestimmten dunklen, nahezu monochromen Räumen isoliert.
Georges de La Tour: Das Neugeborene (um 1648); Rennes, Musée des Beaux-Arts |
Georges de La Tour: Anbetung der Hirten (um 1645); Paris, Louvre |
Literaturhinweise
Kesser, Christiane: Tag- und Nachtstücke. In: „Neue
Zürcher Zeitung“ vom 14. April 2016 (http://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/georges-de-la-tour-im-prado-madrid-tag-und-nachtstuecke-ld.13571#kommentare; zuletzt
aufgerufen am 3. Dezember 2018);
Thuillier, Jacques: Georges de La Tour. Editions
Flammarion, Paris und München 2003.
(zuletzt bearbeitet am 13. Juli 2020)
(zuletzt bearbeitet am 13. Juli 2020)
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