Gerokreuz (Ende des 10. Jahrhunderts); Köln, Dom (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Kölner Dom ist immer wieder einen Besuch
wert – nicht nur wegen seiner gotischen Fassade. Auch innen birgt er eine Fülle
von Kunstschätzen wie z. B. das 2007 eingeweihte Glasfenster von Gerhard Richter.
Eine andere Kostbarkeit ist das sogenannte Gerokreuz:
Es gilt als das älteste erhaltene Großkruzifix im Europa nördlich der Alpen.
Das 2,88 m hohe Eichenholzkreuz ist in ottonischer Zeit am Ende des 10.
Jahrhunderts entstanden und wird als Stiftung des Kölner Erzbischofs Gero
(Amtszeit 969–976) betrachtet.
Die lebensgroße Figur Christi (187 cm hoch)
hängt an einem überbreiten, aus flachen Brettern statt Balken bestehenden
Kreuz. Es hinterfängt den Körper fast vollständig und bildet mit seiner Farbe einen
regelrechten Goldgrund für die Figur. Die Vergoldung stammt allerdings aus dem
Jahr 1900; möglicherweise war die Vorderseite einst mit einem Goldblech
beschlagen, worauf zahlreiche keine Nagellöcher auf den Kreuzbalken hinweisen. Auch
der große, mit Halbedelsteinen besetzte Nimbus wurde erst nachträglich,
wahrscheinlich im 12. oder 13. Jahrhundert hinzugefügt. Der das Kreuz umgebende
Altar und die goldene Mandorla mit alternierend geformten Strahlen sind wiederum
eine Zutat aus dem 17. Jahrhundert.
Wir sehen einen bereits toten Christus.
Der schwere Körper hängt an den durchbohrten Händen und zieht die Arme nach
unten; die Füße sind nebeneinander auf das keilförmige, nach vorne steil abgeschrägte Suppedaneum genagelt (ein stützendes
Fußbrett, das den Todeskampf bei einer Kreuzigung verlängert), sodass der
Leichnam mit abknickenden Beinen zur Seite sackt. Das Haupt neigt sich zur entgegengesetzten
Seite und ist nach vorne auf die Brust gesunken. Die schmerzhaft herabgezogenen Mundwinkel verdeutlichen das überstandene Leiden. Der Oberkörper liegt nur an
Armen und Schultern eng am Kreuz an, während Unterkörper und Oberschenkel sich
bis zu Knien immer weiter davon ablösen. Erst die fast parallelen Unterschenkel
führen wieder zum Kreuz zurück. „Dem gegensätzlichen seitlichen Ausweichen – Kopf nach rechts, Oberkörper nach links mit der größten Ausdehnung in Höhe der linken Hüfte, Unterschenkel nach links – entspricht ein solches nach der Tiefe: vorstoßendes Haupt, zurückliegender Thorax, vorgwölbter Bauch und zurückweichende Unterschenkel. Es herrscht keine Symmetrie mehr, sondern Ponderation“ (Wesenberg 1972, S. 11).
Die schmalen Hände sind flach ans Kreuz
geheftet, die Daumen liegen vor den Handflächen und wölben sich über die
Nagelwunden. Weil der schwere Rumpf an den Armen hängt, sind diese fast glatt
gespannt, ohne die Gelenke hervorzuheben. Erst ab den Schultern zeigen sich
einige Muskeln, die sich bis zur stark vorgewölbten Brust ziehen. „Auch wenn anatomisch
nicht ganz korrekt dargestellt, so wird doch unmißverständlich gezeigt, daß die
gedehnten Brustmuskeln einen Großteil des Körpergewichts tragen müssen“ (Klein
2002, S. 44). Unterhalb des Rippenbogens schiebt sich der kreisrunde Bauch weit
nach vorne. Das Lendentuch bedeckt die Oberschenkel vollständig; es ist außen
vergoldet und an den Innenseiten rot gestrichen. An den Knien und Unterschenkeln
lassen sich Knochen, Gelenke und Muskeln deutlich erkennen. Am linken Fuß
fehlen durch Bruch und/oder Verwitterung zwei Zehen, am rechten Fuß die große
Zehe.
Ursprünglich blickte der Gläubige von unten direkt in das Gesicht des toten Christus |
Im alten Kölner Dom war das Kruzifix sicher
höher als heute angebracht, sodass der Betrachter von unten direkt in das
Gesicht Christi blickte. Das Antlitz des Gekreuzigten zeigt eine gerade Nase,
deren Rücken in die leicht gebogenen Brauen übergeht, darunter geschlossene,
aus ihren Höhlen mandelförmig hervortretende Augen über kaum eingefallenen
Wangen. Die Unterlippe des breiten Mundes tritt, durch eine tiefe Einkerbung voneinander abgesetzt, fast so
weit wie das Kinn hervor, die untere Gesichtshälfte umfängt ein eng anliegender,
sehr kurzer Bart. Das Haupthaar hingegen fällt lang über der hohen Stirn in
dicken, von einem Mittelscheitel ausgehenden Strähnen bis über die Schultern,
wo es in mehreren großen Locken ausläuft. „Dabei liegt es so eng am Kopf an,
daß dessen zylindrische Form sichtbar bleibt“ (Klein 2002, S. 45).
Einst befand sich das Gerokreuz im Langhaus des Kölner Doms, jetzt ist es zusammen mit dem barocken Altar an der Ostwand der Kreuzkapelle angebracht |
Bernwardsäule (um 1020); Hildesheim, Dom |
Bernwardkruzifix (nach 1007 und vor 1022); Hildesheim, Dommuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Beer, Manuela: Triumphkreuze des Mittelalters.
Ein Beitrag zu Typus und Genese im 12. und 13. Jahrhundert. Schnell &
Steiner, Regensburg 2005, S. 177-180;
Beer, Manuela: Ottonische und frühsalische Monumentalskulptur. Entwicklung, Gestalt und Funktion von Holzbildwerken des 10. und frühen 11. Jahrhunderts. In: Klaus Gereon Beuckers u.a. (Hrsg.), Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2006, S. 129-152;
Beer, Manuela: Ottonische und frühsalische Monumentalskulptur. Entwicklung, Gestalt und Funktion von Holzbildwerken des 10. und frühen 11. Jahrhunderts. In: Klaus Gereon Beuckers u.a. (Hrsg.), Die Ottonen. Kunst – Architektur – Geschichte. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2006, S. 129-152;
Binding, Günther: Noch einmal zur Datierung des sogenannten Gero-Kreuzes im Kölner Dom. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 64 (2003), S. 321-327;
Haussherr, Reiner: Der tote Christus am Kreuz. Zur Ikonographie des
Gerokreuzes. Diss., Bonn 1963:
Imdahl, Max: Das Gerokreuz im Kölner Dom. In: Max Imdahl, Gesammelte Schriften. Band 2. Zur Kunst der Tradition. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996, S. 104-146 (zuerst 1964);
Kahsnitz, Rainer: Das Bild des toten Heilands am Kreuz in ottonischer Zeit. Künstlerische und theologische Probleme plastischer Kruzifixe. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 66 (2012), S. 50-101;
Imdahl, Max: Das Gerokreuz im Kölner Dom. In: Max Imdahl, Gesammelte Schriften. Band 2. Zur Kunst der Tradition. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996, S. 104-146 (zuerst 1964);
Kahsnitz, Rainer: Das Bild des toten Heilands am Kreuz in ottonischer Zeit. Künstlerische und theologische Probleme plastischer Kruzifixe. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 66 (2012), S. 50-101;
Klein, Bruno: Das Gerokreuz – Revolution und
Grenzen figürlicher Mimesis im 10. Jahrhundert. In: Bruno Klein u.a. (Hrsg.),
Nobilis arte manus. Festschrift zum 70. Geburtstag von Antje Middeldorf
Kosegarten. Dresden/Kassel 2002, S. 43-60.
Reudenbach, Bruno (Hrsg.): Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland. Band 1: Karolingische und
Ottonische Kunst. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009, S. 504-506 und 515;
Wesenberg, Rudolf: Frühe mittelalterliche Bildwerke. Die Schulen rheinischer Skulptur und ihre Ausstrahlung. Verlag L. Schwann, Düsseldorf 1972, S. 11-15.
Wesenberg, Rudolf: Frühe mittelalterliche Bildwerke. Die Schulen rheinischer Skulptur und ihre Ausstrahlung. Verlag L. Schwann, Düsseldorf 1972, S. 11-15.
Sehr empfehlenswert ist auch der ausgezeichnete
Wikipedia-Artikel zum Gerokreuz: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerokreuz.
(zuletzt bearbeitet am 8. Juli 2023)
(zuletzt bearbeitet am 8. Juli 2023)
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