Rembrandt: Tempelreinigung (1635); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Neuen Testament wird eine Szene geschildert, die das bis heute weit verbreitete, aus dem 19. Jahrhundert stammende Klischeebild des sanftmütigen, erhaben-edlen Jesus kräftig gegen den Strich bürstet. In der „Tempelreinigung“ tritt uns kein duldsamer, sondern ein wutentbrannter Heiland entgegen, der nicht „das Gespräch sucht“, sondern mit der Peitsche argumentiert. In Johannes 2,13-16 (LUT) heißt es: „Und das Passafest der Juden war nahe, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um und sprach zu denen, die die Tauben verkauften: Tragt das weg und macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhaus!“
Rembrandt (1609–1669) hat dieses Ereignis in einer kleinformatigen Radierung (13,7 x 17 cm) von 1635 mit einem besonderen Gespür für Dramatik und einer ausgeprägten Dynamik wiedergegeben. In der Mitte des Blattes steht der aufgebrachte Jesus, mit erhobener linker Hand zum Schlag ausholend; während seine Gesichtszüge im Schatten verschwinden, wird nicht nur sein Kopf, sondern auch die peitschende Linke von einem Nimbus umstrahlt – Jesu Zorn ist ein heiliger Zorn. Die Händler weichen erschrocken vor ihm zurück; ihr Tisch fällt um, Münzen rollen herunter, einer der Geldwechsler versucht seinen Geldbeutel zu retten. Aus der chaotisch davoneilenden Menge auf der linken Bildhälfte sticht ein Mann heraus, der in einem Korb auf seinem Kopf Federvieh in Sicherheit bringen will. Am linken Bildrand wiederum sind verschiedene Gruppen zu sehen, die noch überhaupt nicht bemerkt haben, mit welchem Furor Jesus gleich auch ihre Geschäfte stören wird.
Offensichtlich hat der Gottessohn bereits zuvor einige Händler mit ihren Waren attackiert, denn rechts unten ist eine vom Bildrand angeschnittene Gestalt zu Boden gegangen, um die Flucht einer Taube zu vereiteln; im Mittelgrund darüber wird ein Mann, der den Strick seines Rindes nicht loslassen will, von dem aufgescheuchten Tier mitgeschleift. Im Hintergrund rechts thronen unter einem Baldachin die Hohepriester, umgeben von Schriftgelehrten, durch Stufen erhöht und eine Mauer von der Gemeinde abgesondert, die hier nur in Gestalt einer demütig knienden Bittstellerin vertreten ist. Während manche der Tempeloberen von dem Getümmel unter ihnen unberührt scheinen, verfolgen andere, wie etwa die Figur rechts am Bildrand, das Geschehen misstrauisch.
Ulrich Keller sieht in dieser Gruppe das eigentliche Thema von Rembrandts Radierung markiert: den heraufziehenden Konflikt zwischen dem Messias, der die herrschende religiöse Elite radikal in Frage stellt, und der Priesterschaft, die den Mann aus Nazareth nicht als den Verheißenen anerkennt – und ihn schließlich zu beseitigen trachtet. Rembrandt habe, so Keller, diese Thematik unübersehbar mit antikatholischer Polemik verquickt: Das Tempeloberhaupt ist mit Tiara und Pluviale ausgestattet, der Priester mit einer Art Bischofsstab. „Die katholischen Kultinstitutionen haben Rembrandt, so ist daraus zu folgern, als konkreter Erfahrungshorizont und historisches Paradigma für die Rekonstruktion des altjüdischen Tempelwesens gedient. Eben darum ist aber in jedem Angriff Rembrandts auf die mosaische Priesterhierarchie zugleich das Papsttum mitgemeint“ (Keller 1979, S. 87).
Ulrich Keller sieht in dieser Gruppe das eigentliche Thema von Rembrandts Radierung markiert: den heraufziehenden Konflikt zwischen dem Messias, der die herrschende religiöse Elite radikal in Frage stellt, und der Priesterschaft, die den Mann aus Nazareth nicht als den Verheißenen anerkennt – und ihn schließlich zu beseitigen trachtet. Rembrandt habe, so Keller, diese Thematik unübersehbar mit antikatholischer Polemik verquickt: Das Tempeloberhaupt ist mit Tiara und Pluviale ausgestattet, der Priester mit einer Art Bischofsstab. „Die katholischen Kultinstitutionen haben Rembrandt, so ist daraus zu folgern, als konkreter Erfahrungshorizont und historisches Paradigma für die Rekonstruktion des altjüdischen Tempelwesens gedient. Eben darum ist aber in jedem Angriff Rembrandts auf die mosaische Priesterhierarchie zugleich das Papsttum mitgemeint“ (Keller 1979, S. 87).
Albrecht Dürer: Tempelreinigung (um 1508/09; aus der Kleinen Passion), Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Keller, Ulrich: Knechtschaft und Freiheit. Ein
neutestamentliches Thema bei Rembrandt. In: Jahrbuch der Hamburger
Kunstsammlungen 24 (1979), S. 77-112;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 27. Dezember 2019)
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 27. Dezember 2019)
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