Antonella da Messina: Maria der Verkündigung (um 1475); Palermo, Museo Nazionale (für die Großansicht einfach anklicken) |
Am
Beginn des christlichen Heilsgeschehens, von dem die Evangelien des Neuen
Testaments berichten, steht die „Verkündigung“: Der Erzengel Gabriel wird von
Gott zu der Jungfrau Maria nach Nazareth gesandt, um ihr anzukündigen, dass sie
den Sohn Gottes und Erlöser der Welt gebären wird (Lukas 1,26-38). In der
Malerei des 15. Jahrhunderts ist dieses Ereignis ein oft gewähltes Thema. Unter
all diesen vertrauten Verkündigungsszenen ragen zwei Darstellungen von
Antonello da Messina (1430–1479) in besonderer Weise heraus: Sie verzichten
scheinbar gänzlich auf den erzählerischen Zusammenhang und konzentrieren sich
ausschließlich auf das Antlitz der Madonna. Auf beiden Bildern hinterfängt die
als Halbfigur präsentierte Gestalt ein undurchdringliches Schwarz. Von einem
blauen Umhang umhüllt, ist Maria dem Betrachter zugewandt, doch meidet sie
scheu den Blickkontakt mit ihm.
Auf
dem Gemälde im Museo Nazionale von Palermo (um 1475 entstanden) wird Maria bei
der Lektüre des Jesaja-Textes gezeigt, der die Jungfrauengeburt des Erlösers
verheißt (Jesaja 7,14). Maria wirkt verschlossen und in sich gekehrt, umfangen von ihrem zelthaft-festen Mantel, den sie mit ihrer Linken vor der Brust zusammenhält. Ihr Gesichtsausdruck ist unbewegt und spiegelt dennoch innere Bewegung; „ihre Lippen umspielt gefaßter Ernst und doch kaum merklich auch ein Lächeln“ (Krüger 2001, S. 97). Im Nachsinnen über das Gelesene scheint sie ihr
Geschick zu erfassen, ohne dass es der Gegenwart eines Engels bedarf. Antonello macht ihre
Erleuchtung durch den Lichtschein sichtbar, der ihr Gesicht erhellt. Die
leicht erhobene, verkürzt wiedergegebene Rechte deutet nicht nur das Erschrecken der auserwählten Jungfrau an – sie lässt sich auch als
Bescheidenheitsgeste verstehen, mit der Maria die ihr zugedachte Bestimmung von
sich weist. Zugleich kann die Hand, die sich dem Betrachter entgegenstreckt,
auch als Segensgeste gesehen werden.
Klaus Krüger geht bei seiner Deutung des Gemäldes allerdings davon aus, dass der Engel sehr wohl anwesend ist – aber eben außerhalb des Bildes. Der Maler setze das Sprechen Gabriels in Szene, ohne es zu zeigen. Antonellos Darstellung artikuliere die eigentlich nur akustisch wahrnehmbaren Worte der Verkündigung einzig mit den Mitteln der Malerei, und zwar durch ihren Niederschlag im Antlitz Mariens. Damit bilde er künstlerisch das theologische Mysterium der Fleischwerdung des Wortes nach.
Die
Jungfräulichkeit Mariens wird durch den Mantel verbildlicht, der ihr Haupt
schleierähnlich bedeckt; verstärkt wird dieses Motiv noch
durch die linke Hand, die wie eine Agraffe den Umhang vor ihrer Brust schließt.
Das Lesepult ist so nahe an die Betrachtenden herangerückt, dass es wie eine
Schranke zwischen uns und der Jungfrau erscheint. Unsere Rolle ist es, Zeugen
dieses heilsgeschichtlichen Moments zu sein.
Antonella da Messina: Maria der Verkündigung (um 1473/74); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfach anklicken) |
Antonellos
zweites Marien-Bildnis ist etwas früher entstanden (um 1473/74) und befindet
sich heute in der Alten Pinakothek in München. Auch hier
fehlt der Engel. Mit leicht geöffnetem
Mund sieht Maria nach rechts, wohl dorthin, wo ihr der Engel erschienen ist;
aber ihr Blick geht nach innen, sprachlos staunend. Ob sie die Tragweite der
Engelsbotschaft erfasst und wie sie darauf reagiert, lässt sich nur an der
Gestik und ihrem Blick ablesen.
Zwischen
Maria und die Betrachtenden hat Antonello an der unteren Bildkante ebenfalls quasi als
Schranke eine Brüstung gesetzt. Darauf liegt aufgeschlagen ein Buch, daneben
auf einem Tuch ein zweites, geschlossenes mit rotledernem Einband, das vom
linken Bildrand etwa zur Hälfte überschnitten wird. Für Krüger verweist das verschlossenen Exemplar „ebensosehr auf die unergründlichen Ratschlüsse des Herrn wie auf die keusch empfangende Jungfrau selbst“ (Krüger 2001, S. 101). Maria ist als Halbfigur von
vorne gesehen, wahrscheinlich kniet sie auf einer Gebetsbank. Sie hat den Kopf
etwas geneigt und die linke Schulter minimal zurückgenommen. Demütig kreuzt sie
die Hände vor der Brust, die bereits wie schützend über den gesegneten Leib
gelegt sind; ihr blaues Tuch umhüllt sie „wie ein geometrisches Gebilde, ein
einfaches Kegelvolumen“ (Lauts 1940, S. 19).
Antonello da Messina: Segnender Christus (um 1465); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die schimmernden Lichter auf den
Fingern und den Fingernägeln sind in kleinen parallelen Linien ausgeführt – eine
Malweise, die Antonello zuvor schon in seinem Segnenden Christus aus der National Gallery in London erprobt
hatte.
Literaturhinweise
Krüger, Klaus: Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. Wilhelm Fink Verlag, München 2001, S. 95-102;
Lauts, Jan: Antonello da Messina. Verlag Anton Schroll, Wien 1940;
Lucco, Mauro: Antonello da Messina. Das Gesamtwerk. Belser Verlag, Stuttgart 2006, S.
254;
Pericolo, Lorenzo: The Invisible Presence: Cut-In, Close-Up, and Off-Scene in Antonello
da Messina’s Annunciate. In:
Representations 107 (2009), S, 1-29;
Schneider, Norbert: Venezianische Malerei der Frührenaissance. Von Jacopo del Fiore bis
Carpaccio. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, S. 97-103.
(zuletzt bearbeitet am 28. Mai 2021)
(zuletzt bearbeitet am 28. Mai 2021)
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