Rembrandt: Joseph erzählt seine Träume (1638); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Erstaunt lehnt sich der langbärtige Patriarch in seinem Sessel zurück und folgt aufmerksam den Worten Josephs. Sein rechter Arm ruht dabei auf dem leicht angehobenen Knie, während er sich mit der linken Hand auf die Armlehne stützt. Zwar ist Jakob seine Skepsis anzusehen, aber von der harschen Zurechtweisung seines Sohnes, die in 1. Mose 37,9-10 (LUT) wiedergegeben wird, lässt sich auf Rembrandts Radierung nichts erkennen: „Und als er das seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sprach zu ihm: Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Sollen denn ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?“
Ein Kreis, der sich um den Erzählenden schließt, erschien Rembrandt offenbar „als sinnfälligste Veranschaulichung der Faszination, die von dem jungen Fabulator ausgeht und auf die anderen wie ein Magnet wirkt, so daß sie sich konzentrisch um ihn scharen“ (Pächt 2005, S. 177). Die Mimik der gleichfalls zuhörenden, deutlich älteren Halbbrüder (einer von ihnen ist nur durch eine Hand am rechten Bildrand angedeutet) spiegelt Verärgerung und spöttischen Hohn angesichts von Josephs vorgeblichem Hochmut. Auffällig ist insbesondere der rechts am Tisch sitzende Mann, dessen Kopfneigung und ironische Gebärde in Richtung Joseph die Reaktionen zusammenfasst, die der Jüngste mit seinem Traumbericht bei seinen Brüdern auslöst. Josephs ruhiger Gesichtsausdruck und seine Jugend kontrastieren nicht nur mit dem Alter seines Vaters, sondern zugleich mit den grimassierenden Männern hinter ihm. Insbesondere die um das Ende des Tisches versammelte Gruppe erinnert dabei an die Jünger in Abendmahlsdarstellungen.
Ungewöhnlich ist das Himmelbett oben links, aus dem sich eine alte Frau nach vorne beugt, um ebenso aufmerksam und verwundert wie Jakob dem Jüngling zu lauschen. Es könnte sich um Rahel handeln, Jakobs zweite Frau; Joseph ist vor Benjamin der ältere der beiden Söhne, die Jakob mit Rahel bekommt. Allerdings ist sie zum Zeitpunkt des Geschehens bereits verstorben (1. Mose 35, 6-20), deswegen wurde auch vermutet, es sei Josephs nicht leibliche Mutter Lea gemeint, Jakobs erste Frau. Das Motiv der im Hintergrund im Bett liegenden Rahel bzw. Lea könnte Rembrandt aus einem 1532 entstandenen Kupferstich des westfälischen Kleinmeisters Heinrich Aldegrever (1502–1555/1561) übernommen haben.
Heinrich Aldegrever: Joseph erzählt seine Träume (1532); Kupferstich |
Rembrandt: Saskia im Wochenbett (um 1635); München, Graphische Sammlung |
Rembrandt: Joseph erzählt seine Träume (1633); Amsterdam, Rijksmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt: Der barmherzige Samariter (1633); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt: Jakob wird der blutige Rock Josephs gebracht (1633); Radierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Brinkmann, Bodo u.a. (Hrsg.): Rembrandts
Orient. Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17.
Jahrhunderts. Prestel Verlag, München/ London/New York 2020, S. 304;
Kreutzer, Maria: Rembrandt und die Bibel. Radierungen, Zeichnungen, Kommentare. Philipp Reclam jun. Stuttgart 2003, S. 46;
Mallach, Mailena: Josef erzählt seine Träume (1638). In: Jürgen Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 142;
Mallach, Mailena: Josef erzählt seine Träume (1638). In: Jürgen Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 142;
Pächt, Otto: Rembrandt. Prestel-Verlag, München 2005, S. 177-179;
Sevcik, Anja K. (Hrsg.): Inside Rembrandt 1606 – 1669. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 95-96; Unverfehrt, Gerd (Hrsg.): Rembrandt schwarz – weiß. Meisterwerke der Radierkunst aus der Kunstsammlung der Universität Göttingen. Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Göttingen 1994, S. 127-128;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 2. September 2024)
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