Giambologna: Fliegender Merkur (um 1587/88); Florenz, Museo Nazionale del Bargello |
Giambologna: Fliegender Merkur (um 1563/64); Bologna, Museo Civicio Medievale (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der
Fliegende Merkur ist sicherlich die bekannteste Skulptur des flämisch-italienischen
Bildhauers Giambologna (1529–1608) – sie gehört zu den Ikonen der europäischen
Kunst. Giambologna hat von seinem „Mercurio volante“ über Jahrzehnte vier verschiedene
Fassungen in unterschiedlichen Größen geschaffen. Die erste Version des Themas
entstand um 1563/64, während Giambolognas Arbeit am Neptun-Brunnen in Bologna, seinem
ersten Hauptwerk. Für die Universität von Bologna sollte der Künstler eine
überlebensgroße Bronzestatue des Merkur schaffen, die als Bekrönung einer antiken
Marmorsäule vorgesehen war. Diese monumentale Ausführung kam nicht zustande,
doch hat sich das 55,5 cm hohe Modell für die Figur erhalten. Der erste Fliegende Merkur Giambolognas ist ein
junger Mann von athletischer Gestalt mit breiten Schultern, einem muskulösen
Oberkörper und sehnig überlängten Armen, die auf eine Aufstellung mit
deutlicher Untersicht hinweisen. Seine Körperhaltung und die Blickrichtung des
Kopfes auf den zeigenden Arm stimmen bereits mit den kommenden Versionen
überein.
Giambologna: Fliegender Merkur (um 1565); schwedische Privatsammlung |
Etwas
mehr als Jahrzehnt später schuf Giambologna die dritte Version seines Merkur-Themas:
eine um 1577/79 für Herzog Ottavio Farnese von Parma geschaffene, 57 cm hohe
Bronzestatuette. „Mit ihr verlässt der Götterbote die monumentale Aufstellung
in einem Garten oder Hof und hält Einzug in das ›studiolo‹ des gebildeten
Fürsten. Er wird zu einem exklusiven Sammlerstück von künstlerischer Eleganz
und Virtuosität“ (Syndram 2006, S. 15). Die heute im Museo Nazionale di
Capodimonte in Neapel aufbewahrte Statuette war dabei kein Fürstengeschenk,
sondern der dezidierte Auftrag eines fürstlichen Sammlers. Die Form, aus der
die Stauette für den Herzog von Parma gegossen wurde, scheint in der Werkstatt Giambolognas
und auch später immer wieder für kleinformatige Reproduktionen herangezogen
worden zu sein. Damit wurde der neapolitanische Fliegende Merkur zum Ausgangspunkt der zahlreichen, unabhängig von
Giambologna entstandenen Abgüsse des Fliegenden
Merkur.
Giambologna: Fliegender Merkur (um 1580); Florenz, Museo Nazionale del Bargello |
Kaum
mehr als ein Jahr später schuf Giambologna seine vierte Version des Fliegenden Merkur. Wieder ist es eine großformatige Komposition, die im Juni
1580 im Garten der Villa Medici aufgestellt wurde. Diese Variante (seit 1865 im
Museo Nazionale del Bargello) steht in ihrer etwas nach vorne gebeugten Körperhaltung,
die von den statischen Problemen der Größe und des Gewichts der 170 cm großen
Bronzestatue herrührt, der ersten Bologneser Version nahe. Der Götterbote
berührt nun nicht einmal mehr den Boden, sondern schwebt über dem Windhauch,
der einem Zephyrkopf entweicht. „Dieses schwerelose Schweben wurde zur
optischen Illusion, indem im Kontext des Brunnens aus dem Kopf des Windgottes
Wasser quoll, das das sorgfältig ponderierte Gleichgewicht der schweren Bronze
vergessen ließ“ (Syndram 2006, S. 16). Vor allem bei der Betrachtung von der Rückseite und den Ansichten von links „wird durch die schräge Ausrichtung des Oberkörpers und die überschnittenenen Gliedmaßen die Geschwindigkeit des dahinfliegenden Merkur anschaulich“ (Reuter 2012, S. 45).
Giambologna: Fliegender Merkur (um 1587/88); Dresden, Grünes Gewölbe |
Ingo
Herklotz hat die Figur des in Laufschrittstellung dahineilenden Merkur mit
einer Passage aus Vergils Aeneis in
Verbindung gebracht. Im vierten Gesang spricht Jupiter zu seinem Boten: „Auf,
mein Sohn, ruf Westwind herbei und gleite auf Schwingen“ (Vergil, Aeneis IV,
224). Merkur „fügte sofort sich des großen / Vaters Befehl: er band sich
zunächst an die Füße die goldnen / Schuhe, die hoch auf Flügeln dahin über Meer
und Land ihn / tragen im reißenden Wehen der Luft“ (Vergil, Aeneis IV,
239-242). Für den erhobenen Arm des Merkur bietet die Aeneis allerdings keinen direkten Hinweis. Giamologna verwendete
eine ähnliche Geste auch in seinem Auferstandenen
Christus im Dom von Lucca und seinem Johannes
der Täufer in der Salviati-Kapelle von San Marco (Florenz) verwendet.
Offensichtlich hat der Bildhauer den christlichen Verkündigungsgestus auf
Merkur übertragen, „um den heidnischen Gott gleichsam als Verkünder und
Überbringer eines höheren göttlichen Willens zu charakterisieren“ (Herklotz
1977, S. 275).
Benvenuto Cellini: Merkur (um 1550); das Original befindet sich heute im Museo Nazionle del Bargello, am Marmorsockel des Perseus (Loggia dei Lanzi) wurde eine Kopie eingefügt |
Als
eine der Anregungen für Giambolognas oft nachgeahmte, doch nie übertroffene
Statue gilt die Merkur-Statuette
Benveneuto Cellinis (1500–1571), die die Basis seines Perseus in der Florentiner Loggia dei Lanzi schmückt (1554
enthüllt, siehe meinen Post „Cellinis Medusentöter“).
Glossar
Caduceus:
Heroldsstab aus dem Altertum, versehen zwei Flügeln und von zwei Schlangen mit
einander zugewendeten Köpfen umwunden
Petasos:
im antiken Griechenland breitkrempiger Hut mit flachem Kopf und Kinnriemen; mit
einem Flügelpaar versehen ein Attribut des Götterboten Merkur
Literaturhinweise
Herklotz, Ingo: Die Darstellung des fliegenden
Merkur bei Giovanni Bologna. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 40 (1977), S.
270-275;
Raumschüssel, Martin: Merkur. In: Björn R.
Kommer (Hrsg.), Adriaen de Vries: 1556–1626. Augsburgs Glanz – Europas Ruhm.
Umschau Braus Verlagsgesellschaft, Heidelberg 2000, S. 309-311;
Reuter, Guido: Statue und Zeitlichkeit 1400–1800. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2012, S. 44-46;
Syndram, Dirk u.a. (Hrsg.): Giambologna in
Dresden. Die Geschenke der Medici. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2006,
S. 11-17;
Vergil: Aeneis. In Zusammenarbeit mit Maria Götte
herausgegeben und übersetzt von Johannes Götte. Artemis & WinklerVerlag,
Zürich 1994.
(zuletzt berbeitet am 6. Januar 2021)
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