Donnerstag, 2. April 2020

Sonne und Mond – Albrecht Dürers Kupferstich „Apoll und Diana“

Albrecht Dürer: Apoll und Diana (1503/04); Kupferstich
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Monumental, das Format des kleinen Kupferstichs (11,6 x 7,3 cm) fast sprengend, steht der griechische Sonnengott Apoll mit erhobenem Bogen im Vordergrund. Mit seinen muskulösen Armen spannt er die Waffe, um einen seiner gefürchteten Pestpfeile zu verschießen (so im Trojanischen Krieg ins Lager der Griechen). Hinter ihm sitzt auf einem kleinen Erdhügel seine Zwillingsschwester, die keusche Jagd- und Mondgöttin Diana. Ist ihr lorbeerbekränzter Bruder an seinen wallenden Locken, dem Bogen und dem umgehängten Pfeilköcher zu erkennen, so kennzeichnet sie das Attribut des Hirschen, der hinter Apoll lagert.
Mit diesem Kupferstich präsentiert Albrecht Dürer (1471–1528) zum ersten Mal ein antikes Tema mit antikisierenden Aktfiguren, ohne ihnen eine moralisierende Botschaft zu unterlegen (wie er dies noch in seiner Grafik Der Traum des Doktors von 1498 getan hatte). Allerdings sind die beiden Figuren, ähnlich wie die etwas frühere Nemesis (siehe meinen Post „Gunst oder Züchtigung“), einem „akribischen Naturalismus“ (Sonnabend 2007, S. 104) verpflichtet und nicht einem vorbildlichen Körperideal.
Albrecht Dürer: Adam und Eva (1504); Kupferstich
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Im Gegensatz dazu stehen Dürers Adam und Eva, 1504 und damit etwa gleichzeitig entstanden (siehe meinen Post „Aus Göttern werden Menschen“): Hier sind die Figuren nach den Vorgaben eines klassischen Proportionskanons gestaltet. Ihr gemeinsamer Ausgangsgpunkt ist eine Zeichnung des Apoll, die Dürer etwa 1501 schuf. Um diese Zeit muss er einen Kupferstich des italienischen Künstlers Jacopo de’ Barbari (1450–1516) gesehen haben, der in einer Gegenüberstellung der Gestirne den Sonnengott Apoll bogenspannend und strahlend auf einem Sphärenbogen neben seiner versinkenden Schwester zeigt. Nach einem halbherzigen Versuch, aus seiner Apoll-Zeichnung eine ähnliche Szene zu entwickeln, wandelte Dürer seinen idealtypischen Apoll in den Adam auf seinem Kupferstich von 1504 um und stach außerdem eine eigene, die hier vorgestellte Komposition mit Apoll und Diana. Er verzichtete dabei auf den kosmischen Aspekt de’ Barbaris und stützte sich bei den Körperformen auf eigene Aktstudien nach der Natur.
Albrecht Dürer: Apoll (1501, Zeichnung); London, British Museum
Jacopo deBarbari: Apoll und Diana (1502/03); Kupferstich
Die beiden Figuren sind bei Dürer gegenüber de’ Barbaris Blatt auf engem Raum zusammengerückt. Die Nähe der beiden wird noch verstärkt dadurch, dass Diana dem Betrachter zugewandt ist und ihn anblickt. Die entrückten Gottheiten in der Himmelssphäre de’ Barbaris sind bei Dürer auf die Erde zurückgeholt, was auch durch vereinzelte Steine und Grashalme angedeutet wird. Diana hat einen Grasbüschel in ihrer Linken, um den Hirsch zu füttern, der sich, vom Futter angelockt, an sie herandrängt; mit ihrer rechten Hand streichelt sie den Kopf des Tieres, dessen kapitales geweih vom linlen Bildrand angeschnitten wird. 
Offensichtlich ist für Dürer vor allem die Darstellung des sehnigen, angespannten männlichen Körpers wichtig gegenüber der ruhigen, entspannten Sitzhaltung Dianas. Apoll beansprucht die gesamte Höhe des Formates: Sein Oberkörper ist nach hinten gelehnt, um seinen Bogen möglichst weit spannen zu können; der energische Blick folgt konzentriert den horizontal ausgestreckten Armen. Pfeil und Bogen sind auf ein Ziel außerhalb des Blattes gerichtet und sprengen sogar – wie bei de’ Barbari – die Bildfläche. Das muskulöse Standbein ist fest durchgedrückt, das Spielbein locker ausgestellt. Die wehenden Locken und ein flatternder Gewandzipfel begleiten seine pathetische Bewegung. Dabei ist sein athletischer, in einer komplizierten Drehung aufragender Körper „selbst wie ein Bogen in den engen Bildausschnitt gespannt“ (Schoch 2000, S. 108).
Albrecht Dürer: Das kleine Glück (1495/96); Kupferstich
Albrecht Dürer: Der Marktbauer und sein Weib (1519); Kupferstich
Das vor dem Körper Apolls gebauschte Tuch erinnert an Dürers Kupferstich Das kleine Glück von 1496/96. Dass Dürer das gesamte Format mit einer Figur füllt, ist in seinem grafischen Werk eher selten – als Vergleich wäre hier der Kupferstich Der Marktbauer und sein Weib von 1519 zu nennen. Ebenso auffällig ist die traditionelle Rollenzuschreibung mit einer betont aktiv-männlichen und der passiv-weiblichen Haltung des Paares, die sich in so einer klaren Gegenüberstellung sonst bei Dürer nicht finden lässt.
Lucas Cranach d.Ä.: Apoll und Diana (um 1526);
London, Royal Collection
Um 1526 hat Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553) die Kompositionen von
de’ Barbari und Dürer in die Tafelmalerei übersetzt: Während die Bildarchitektur mit dem kieselübersäten Bodenstreifen im Vordergrund, die undurchdringliche, der Kontur der Figuren folgende Blätterwand und der Landschaftsausblick rechts oben ebenso vertrauten cranachschen Mustern folgt wie der Körperbau der beiden Akte, verweisen die Haltung von Apoll und Diana unmissverständlich auf die früheren Kupferstiche. Apolls Stand- und Armmotiv ist von de’ Barbari übernommen, von Dürer stammt die horizontale Ausrichtung des Pfeiles, ebenso der die Scham Apolls verdeckende, flatternde Zipfel des Tuches, mit dem er sich den Köcher umgebunden hat. Auch bei der Sitzfigur Dianas folgt Cranach der Lösung Dürers – allerdings verändert er sie durch eine akrobatische Beinstellung der Göttin, die zudem nicht neben, sondern auf dem Hirsch sitzt.

Literaturhinweise
Brinkmann, Bodo (Hrsg.): Cranach der Ältere. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2007, S. 342;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 136-137;
Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Himmel und Erde. Gottes- und Menschenbild in Dürers druckgraphischem Werk. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1999, S. 144;
Schoch, Rainer: Apollo und Diana. In: Matthias Mende u.a. (Hrsg.), Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 108-109; 
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 104.

(zuletzt bearbeitet am 25. März 2021) 

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