Dienstag, 3. Mai 2022

Kecke Kampfbereitschaft – Donatellos Marmor-David

Donatello: David (um 1415/16); Florenz, Bargello
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Donatellos Marmor-Statue des David steht, man muss es so sagen, im Schatten seines weitaus bekannteren Bronze-David, der frühesten freistehenden Aktfigur nachantiker Zeit und sicherlich eine der bedeutendsten Skulpturen der italienischen Renaissance (siehe meinen Post „Androgyne Sinnlichkeit“). Beide Skulpturen befinden sich heute im Museo Nazionale del Bargello in Florenz. Der Marmor-David, um dessen genaue Entstehungszeit die KunsthistorikerInnen immer noch streiten, wurde 1416 von der Florentiner Stadtregierung erworben und in der Sala dei Priori im zweiten Obergeschoss des Palazzo Vecchio aufgestellt. Der jugendliche David als Bezwinger Goliaths war eine Symbolfigur der florentinischen Republik: Seine Statue verkörperte den Selbstbehauptungswillen der Florentiner und ihre Zuversicht, alle Bedrohungen ihrer Freiheit abwehren zu können. Sie gab darüber hinaus einem „Bewußtsein stolzer Überlegenheit und sogar der Auserwähltheit Ausdruck: „denn der Auserwählte Gottes, das war David ja vor allem“ (Herzner 1989, S. 33). Die Aufstellung der Statue muss daher als „Akt politischer Selbstdarstellung“ (Herzner 1978, S. 106) verstanden werden.

Donatello: David (um 1440); Florenz, Bargello
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In ein langärmeliges Lederwams und einen großen Mantel gehüllt, ragt der biblische Held über dem abgeschlagenen Kopf Goliaths auf, der zwischen seinen Beinen liegt. Das durchgedrückte Standbein steht leicht erhöht, wodurch die linke Schulter deutlich angehoben wird. Der Kopf ist leicht nach rechts geneigt, der rechte Arm vor den Körper geführt, das Spielbein nach rechts ausgestellt. „Da der rechte Fuß weit außen und tiefer steht, muß sich die ganze rechte Körperseite senken, noch die Neigung des Kopfes ist eine Folge dieser Bewegungsmechanik“ (Herzner 1978, S. 70). Volker Herzner spricht von einem „leichten Spreizschritt“ (Herzner 1978, S. 82), wobei das Körpergewicht mit einer Drehung der linken Körperseite auf das linke Bein verlagert ist. Unterschenkel und Füße rahmen das Haupt Goliaths. Zugleich wird der Oberkörper gegen die Beinstellung gedreht. Der linke Arm ist angewinkelt und die Hand in die Hüfte gestützt, wo sie mit zwei Fingern den Mantelbausch hält. Im Rumpf und in den Armen zeigt die Figur eine lässige, kreisende Bewegung, über der sich das hochgereckte Haupt erhebt. Der jugendliche Held stellt seinen Sieg stolz und selbstbewusst, ja beinahe selbstgefällig zur Schau, als sei er mit Leichtigkeit errungen. „David wirkt nicht zuletzt aufgrund der Körperhaltung keck und heiter“ (Hubert 2013, S. 189).

Helm und Schwert Goliaths fehlen. Dafür hält David seine Schleuder, an der ursprünglich zwei wahrscheinlich metallene Riemen befestigt waren, gut sichtbar in seiner rechten Hand und setzt sie demonstrativ vor Goliaths Kopf ab. Obwohl der todbringende Stein textgetreu fest in der Stirn des Riesen sitzt (1. Samuel 17,49), liegt deutlich erkennbar ein weiterer Stein in der Schlaufe – David ist wieder kampfbereit und blickt mit der Selbstgewissheit des Siegers auf potentielle neue Gegner. Und: Anschaulicher kann mit der tödlichen Wirkung seiner Waffe nicht gedroht werden.

Der biblische Held mit Efeu im Haar und dem Mantels des Verlierers
Davids eng anliegendes Lederwams ist von schlichter Machart, wie sich an den Nähten erkennen lässt. Kurz geschnitten, betont es die nackten Beine des Hirtenknaben. In auffälligem Kontrast dazu steht der große, mit Fransen gesäumte Umhang, der die Figur von hinten umhüllt und ihre Beine fast vollständig verdeckt. Obwohl mit der linken Hand gerafft, ist der Mantel dennoch so lang, dass er auf der Rückseite über die Bodenplatte herunterfällt und vorne auf dem Boden aufliegt. Der weite Umhang passt allerdings nicht zur biblischen Erzählung, nach der David mit möglichst großer Bewegungsfreiheit kämpfen wollte (1. Samuel 17,38-39). Hans W. Hubert sieht in dem Mantel eine Anspielung auf das vor der Brust verknotete Löwenfell des Herkules: „Demnach könnte es sich wie beim Fell des Nemeischen Löwen um eine Trophäe handeln, d. h. um den Mantel des Riesen Goliath, den sich David als Zeichen seines Sieges umgelegt hat“ (Hubert 2013, S. 191). Auch der Ehrenkranz auf Davids Haupt ist ein Indiz dafür, dass der Umhang als Auszeichnung des Helden verstehen werden kann. Der Kranz selbst besteht aus Efeu – eine Pflanze, die ewigen Ruhm symbolisiert, da sie nicht welkt. Für Herzner verweist die Pflanze allerdings ausdrücklich auf David als Psalmendichter, denn der Efeu betone „die andere Seite im Wesen Davids: der junge Held ist sowohl ein Mann der Waffen als auch ein Mann des Wortes und des Geistes“ (Herzner 1978, S. 108).

Neu an Donatallos Figur im Vergleich zu noch gotisch geprägten Statuen ist die entschiedene Betonung des Körpers, wobei die nackten und die bekleideten Partien sowie die eng anliegenden und die nur locker umhüllenden Gewandstücke erkennbar miteinander konstrastieren. Donatello bildet sogar die Bauchfalte mit ab, die die Brust vom seitlich eingezogenen Unterleib und dem sich vorwölbenden Bauch absetzt. Der Leib Davids ist zwar anatomisch durchmodelliert, weicht aber von den Vorbildern der klassischen Antike erkennbar ab, wie Ulrich Pfisterer feststellt: Schon der Kontrapost mit der auf der Spielbein-Seite in die Hüfte gestemmten Hand ist anders angelegt als bei den Statuen des Altertums, bei denen das kontrahierte Bein nicht mit dem kontrahierten Arm paralellisiert wird. „Und weder für den sich nach vorn wölbenden Bauch des Knaben noch dessen weich-sinnliche, oft als androgyn beschriebene Brustpartie finden sich antike Vergleichsbeispiele“ (Pfisterer 2002, S. 355). Der Marmor-David zeigt also eine durchaus antike Grundhaltung, die aber im Detail durch eigene Naturbeobachtungen Donatellos naturalistische Züge erhält. Die Haltung des jungen Helden sei nicht, so Herzner, aus vorgegebenen Stilmustern abzuleiten – sondern vielmehr „die körperliche Geste eines überschwänglichen Siegerstolzes“ (Herzner 1978, S. 82).

Darüber hinaus werden durch Nähte, Fransen und Fältchen im Gewand Davids „mehr als sonst in der Skulptur dieser Zeit stoffliche Valeurs zur Geltung gebracht“ (Poeschke 1990, S. 88). Das gilt ebenso für das von feinen Fältchen durchzogene Gesicht Goliaths. Hier wird mit Hilfe des rilievo schiacciato eine erstaunliche Differenzierung der Gesichtszüge und Haarmassen erreicht. Die sorgfältige, detailgenaue Ausführung, die an der gesamten Figur zu beobachten ist, spricht sehr dafür, dass die Statue von Anfang an auf Nahsicht konzipiert war.

Donatello: Hl. Georg (um 1416); Florenz, Bargello
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Als Vergleichsobjekt bietet sich Donatellos Statue des Hl. Georg an (siehe meinen Post „Immer auf dem Kiwief“), die um 1416 entstanden ist: Die Köpfe der beiden Figuren weisen sowohl im Profil als auch in der Frontalansicht eine erkennbare Verwandtschaft auf, nicht zuletzt in der Gestaltung des Mundes. Die Sichellocken auf beiden Köpfen sind einander sehr ähnlich, die Haarkalotte ist jeweils nur in flachstem Relief wiedergegeben. Auch der schlanke Hals, der sich aus dem vom Umhang freigelassenen Schulteransatz erhebt, ist gut vergleichbar, ebenso der über die Schultern und einen Oberarm gelegte, vor der Brust geknotete Umhang. Herzner plädiert deswegen für eine Entstehung des Marmor-David in den Jahren 1415/16 – entgegen der weit verbreiteteten Ansicht der Kunsthistoriker, die Statue sei bereits 1408 in Auftrag gegeben worden.

Erkennbare Ähnlichkeit der Köpfe
Donatello: Kopf des Evangelisten Johannes (um 1412/15);
Florenz, Museo dellOpera del Duomo
Auch diesen Kopf hat Donatello recycelt
Allerdings ist das Gesicht des Hl. Georg deutlich individualisierter: Die Augenbrauen sind in angespannter Konzentration zusammengezogen, der Blick sucht ein Ziel in einer Richtung, dem die Kopfwendung noch nicht folgt – Ausdruck einer wachen, reaktionsschnellen Kampfbereitschaft. Der Kopf des Goliath wiederum ähnelt wiederum dem des Evangelisten Johannes, dessen Statue um 1415 vollendet hatte und die sich heute im Museo dell’Opera del Duomo in Florenz befindet.

Michelangelo: David (1501-04); Florenz, Galleria
dellAccademia (für die Großansicht einfach anklicken)
Die politische Akzentuierung und Aktualisierung, die Donatellos Marmor-David prägt, bestimmt auch Michelangelos 1504 aufgestellten David. Folgerichtig verzichtet er gänzlich auf das Haupt Goliaths; die Einzelfigur personifiziert auch knapp hundert Jahre später die Wehrhaftigkeit und Kampfbereitschaft einer Stadt, die sich, Gottes Beistand gewiss, jedem Feind selbstbewusst entgegenstellen wird.

 

Unter rilievo schiacciato (ital. „gedrängtes, gequetschtes, plattes Relief“) versteht man eine von Donatello entwickelte künstlerische Technik: Es handelt sich um eine minutiöse Oberflächenbehandlung im Relief, durch die in besonderem Maß zeichnerisch-malerische Effekte und tiefenräumliche Illusion erzielt werden.

 

Literaturhinweise

Caglioti, Francesco u.a.: Reconsidering the Young Donatello. In: Jahrbuch der Berliner Museen 57 (2015), S. 15-45;

Donato, Maria Monica: Hercules and David in the Early Decoration of the Palazzo Vecchio: Manuscript Evidence. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 54 (1991), S. 83-98;

Herzner, Volker: David Florentinus. I. Zum Marmordavid Donatellos im Bargello. In: Jahrbuch der Berliner Museen 20 (1978), S. 43-115;

Hubert, Hans W.: Gestaltungen des Heroischen in den Florentiner David-Plastiken. In: Achim Aurnhammer/Manfred Pfister (Hrsg.), Heroen und Heroisierungen in der Renaissance. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2013, S. 181-218;

Lisner, Margit: Josua und David – Nannis und Donatellos Statuen für den Tribuna-Zyklus des Florentiner Doms. In: Pantheon 32 (1974), S. 232-243;

Poeschke, Joachim: Die Skulptur der Renaissance in Italien. Band 1: Donatello und seine Zeit. Hirmer Verlag, München 1990, S. 87-88;

Pope-Hennessy, John: Donatello: Sculptor. Abbeville Press, New York 1993, S. 40-46.


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