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Rembrandt: Jesus und die Ehebrecherin (1644); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken)
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Dieses 1644 datierte Gemälde Rembrandts
aus der Londoner National Gallery zeigt die bekannte Episode aus dem Johannes-Evangelium
(Johannes 8,3-11), in der eine beim Ehebruch ertappte Frau von Schriftgelehrten
und Pharisäern zu Jesus gebracht wird, der gerade im Jerusalemer Tempel zu seinen
Anhängern spricht. Rembrandt inszeniert das Geschehen vor einer erhöhten Ebene,
auf der gerade ein Opferritus stattfindet. Während weite Teile des gewaltigen
Innenraums im Halbdunkel versinken, wird Jesus von hellem Licht erfasst, das
auch auf die vor ihm kniende Ehebrecherin fällt. Sie ist, wie es dem Bibeltext
entspricht, in die Mitte gestellt, während ihre Ankläger sich im Halbkreis um
sie versammelt haben: An den auch durch seine Körpergröße herausragenden Jesus
schließt sich rechts die Gruppe seiner Kontrahenten an, unter denen sich neben
exotisch kostümierten Schriftgelehrten und Pharisäern auch ein Soldat in
spiegelnder Rüstung befindet; er hält das Kleid der Angeklagten fest, während
der schwarz gewandete Anführer der Gruppe ihren Schleier lüftet und sie Jesus
herausfordernd präsentiert.
„Meister, diese Frau ist auf frischer
Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche
Frauen zu steinigen. Was sagst du?“ (Johannes 8,4-5; LUT). Rembrandt zeigt den Moment,
in dem Jesu Gegner diese verfängliche Frage vorgetragen und sie mit
herablassender Häme auf seine Antwort lauern. Jesus steht reglos, hat noch
nichts erwidert, „und doch ist in seiner Gestalt alles vorweggenommen, was er
sagen wird“ (Keller 1979, S. 81). Er und seine beiden Jünger sind barfuß und
tragen farblose Gewänder, die von den prächtigen Trachten der Pharisäer
abstechen – Macht und Reichtum stehen hier Demut und Geringschätzung irdischer
Güter gegenüber. Das hinterhältige Ansinnen, den demonstrativ von Gesten
begleiteten Gesetzeseifer des Sprachführers begegnet Jesus mit vollkommener
Gelassenheit. Die Hand, die abwehrend, anklagend oder verzeihend in Aktion
treten könnte, liegt ruhig an seiner Brust. Anders als Bibeltext und
Bildtradition nahelegen, hat Jesus bei Rembrandt aber wohl nicht mit dem Finger
auf den Boden geschrieben, bevor er im nächsten Moment den sprichtwörtlich
gewordenen Satz sagen wird: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den
ersten Stein auf sie“ (Johannes 8,7; LUT).
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Die Zeit des Erbarmens ist angebrochen |
Es ist nicht nur die körperliche Größe,
die Jesus vor allen Versammelten heraushebt. Hinzu kommt, daß die Personen in
seiner Nähe sich neugierig strecken, vorbeugen oder vom Alter gebeugt sind,
einander auch wechselseitig behindern. „Dagegen wird seine aufrechte, unbeengte
Haltung als Ausnahme erkennbar“ (Keller 1979, S. 82). Jesu schlichte, zwanglose
Kleidung hebt sich einerseits ab von den bunt-prächtigen, doch körperlich
einschränkenden Standestrachten der Pharisäer, andererseits fehlt ihr auch das
Grobe und Unförmige, das den Bettelröcken der beiden Apostel links neben ihm
anhaftet. Gelöst und frei fällt das Haar Jesu bis auf die Oberarme herab. „In
ununterbrochener Linie, ohne vom Körper abgesetzt zu sein, wächst sein Haupt
allmählich zu milder Überlegenheit über die Umstehenden empor“ (Keller 1979, S.
82). Die untere, schattige Partie seines Gewandes liegt in tiefem Braun; höher
im Licht herrschen helle Braun- und Lilatöne vor, die zu Jesu rotblondem Haar
überleiten. „Den wärmsten, lichtesten Farbton bezeichnet schließlich der
Goldglanz des Stirnhaars, der zu der sanften Gesichtsstimmung wesentlich
beiträgt“
(Keller 1979, S. 82).
Rembrandts Darstellung
ist
weitestgehend durch den Wortlaut des Johannes-Evangeliums gedeckt. Aber er fügt
noch eine zweite Szene hinzu, der offensichtlich die Textgrundlage fehlt:
Hinter Jesus setzt auf dem Londoner Gemälde eine lange Prozession von Männern,
Frauen und Kindern jeden Standes ein, die über eine Treppe der Tribüne
zustrebt, wo die jüdische Priesterhierarchie ihre Herrschaft zelebriert. Hier
steht unter einem riesigen Baldachin der märchenhaft schimmernde Goldthron des
Tempelherrn. Zur Linken des Thronpodestes ist ein Schreiber an einem Pult mit
Aufzeichnungen beschäftigt, rechts lässt sich ein Würdenträger mit Bischofsstab
und Weihrauchfass erkennen; eine große Zahl von weiteren Würdenträgern ergänzt
den Hofstaat. Ein Altar zwischen zwei goldenen Säulen fungiert als Barriere,
die dem Strom der Gäubigen in gebührender Entfernung von den Herrschenden Halt
gebietet.
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In der Version Pieter Bruegels d.Ä. (1565) schreibt Jesus bibeltreu mit seinem Finger auf dem Boden (London, Courtauld Institute of Art)
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Unterwürfig liegen einige Menschen vor
dem Altar auf den Knien, dahinter vollzieht ein Priester mit goldener
Opferschale eine kultische Handlung. Helles Licht ruht nur auf dem
architektonischen Dekor der Tribüne; die Menschen sind kaum wahrzunehmen, als
käme ihrer beflissenen Devotion nur untergeordnete Bedeutung zu. Insgesamt aber
wirkt die Zelebrierung des jüdischen Tempeldienstes aber prominent genug, um
mit dem Geschehen auf dem tieferen Tempelniveau in Konkurrenz zu treten. Die
beiden Ereignisse müssen daher zusammen gesehen werden: Hinter den
unmittelbaren Widersachern Jesu, die ihn mit ihrer Frage zu Fall bringen
wollen, hat er im Hohepriester und der ganzen mosaischen Kultinstitution mit
einem zwar jetzt noch entfernteren, aber weitaus mächtigeren Gegner zu tun.
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Jesu eigentlich Gegner sitzt rechts oben
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Die beiden metallenen
Tempelsäulen wie auch der Tempelvorhang, der zu beiden Seiten Seiten der
imposanten Rückwand herabhängt, sind stimmige historische Elemente. Aber sie
dienen nicht nur dazu, Zeit und Ort der Handlung näher zu bestimmen. Vielmehr
weisen die Kostüme von Anklägern, Hohepriestern und Tempeldienern ihre Träger
als Angehörige des Alten Bundes und damit der Zeit sub lege aus (unter dem mosaischen Gesetz stehend), während Jesus –
barfuß, mit offenem Haar und in schlichtem Gewand auf den ersten Blick von
ihnen zu unterscheiden – für den Neuen Bund steht, mit dem die Epoche sub gratia beginnt, die Zeit göttlichen
Erbarmens und der Erlösung. Indem Jesus der ehrlich bereuenden, in strahlendes
Weiß gekleideten Sünderin Vergebung und Gottes Gnade zuspricht, ohne dass
hierfür gute Werke wie etwa rituelle Opfer nötig wären, wird er zum Widerpart
des schräg über ihm zelebrierenden Hohepriesters. Der Bibeltext lässt sich so
deuten, dass Jesus am Beispiel der Ehebrecherin zwar die Selbstgerechtigkeit
angreift und bloßstellt, das mosaische Gesetz aber nicht aufhebt, sondern nur
mildert. Bei Rembrandt kommt zu dieser Konfliktsituation eine zweite hinzu:
Durch das priesterliche Treiben im Hintergrund des Londoner Gemäldes wird das
gesamte jüdische Zeremonialwesen in Frage gestellt. „Daß Jesus das Joch der alttestamentlichen Kultordnung
abgeworfen hat, ist Rembrandt ebenso wichtig wie die Milderung bzw. Aufhebung
der traditionellen Moralgebote im Evangelium“ (Keller 1979, S. 83).
Literaturhinweise
Brinkmann, Bodo u.a. (Hrsg.): Rembrandts
Orient. Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17.
Jahrhunderts. Prestel Verlag, München/ London/New York 2020, S. 246;
Keller, Ulrich: Knechtschaft und Freiheit. Ein
neutestamentliches Thema bei Rembrandt. In: Jahrbuch der Hamburger
Kunstsammlungen 24 (1979), S. 77-112.
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung,
revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
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