Donnerstag, 10. August 2023

Garanten der Erlösung – Rogier van der Weydens Braque-Triptychon

Rogier van der Weyden: Braque-Triptychon, Mitteltafel (um 1452/53); Paris Louvre
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Triptychen – aus drei einzeln gerahmten Tafeln zusammengesetzte Gemälde – sind im Werk Rogier van der Weydens (1399/1400–1464) neben den Porträts die wichtigste Bildgattung. Neun eigenhändige Triptychen haben sich erhalten; bei den meisten handelt es sich um private Andachtstriptychen mit beweglichen Flügeln, die von reichen Bürgern, Adeligen und Herrschern in ganz Europa in Auftrag gegeben wurden. Bereits vorgestellt habe ich Rogiers Johannesaltar in Berlin (siehe meinen Post „,Siehe, ich will meinen Boten senden‘“), den Münchner Bladelin-Altar (siehe meinen Post „Alle Welt huldigt dem Kind“) sowie das Kreuzigungstriptychon im Wiener Kunsthistorischen Museum (siehe meinen Post „Aus eins mach drei“). Dem soll sich diesmal das Braque-Triptychon im Louvre anschließen, das um 1452/53 entstanden sein dürfte

Fünf Halbfiguren in Isokephalie nebeneinander aufgereiht
Auf diesem relativ kleinen Triptychon (Mitteltafel 41 x 68 cm, Flügel je 41 x 34 cm) sind friesartig fünf Figuren nebeneinander dargestellt, wobei die Seitenflügel mit der Mitteltafel über eine durchgehende weitläufige Hintergrundlandschaft verbunden sind. Über den Köpfen der Figuren und in der Höhe ihrer Münder schweben Sprechtexte. Auf der linken Tafel weist Johannes der Täufer mit seinem rechten Zeigefinger auf den im Bildzentrum frontal präsentierten Christus und spricht dabei das Ecce Agnus Dei: „ Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Johannes 1,29; LUT). In seiner Linken hält er als letzter der Propheten das Alte Testament. Das in Leder gebundene und mit zwei Schließen versehene Buch stützt er auf den unteren Bilderrahmen. Wie auf Rogiers Medici-Madonna in Frankfurt trägt der Täufer einen Gürtel aus geflochtenen Dornenzweigen, ein Vorzeichen der Dornenkrone Christi. Im Landschaftshintergrund, in dem sich zeitgenössische burgundische Kleinfiguren zu Fuß oder zu Pferd erkennen lassen, sind die Predigt des Johannes (im Wald hinter seiner linken Schulter) sowie auf der anderen Seite die Taufe Christi dargestellt.

Johannes der Täufer, linker Seitenflügel
Rogier van der Weyden: Medici-Madonna (1453/60); Frankfurt, Städel Museum
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Die fünf Halbfiguren sind wie Heiligenbildnisse aufgereiht. Sie erinnern an die Ikonenfriese italienischer Altarbilder, die Rogier 1450 auf seiner Pilgerreise nach Italien kennenlernen konnte. Die Mitteltafel des Braque-Triptychons ähnelt dem Bildtypus der Deesis, bei dem Christus als Weltenrichter oder Triumphator umgeben ist von den Fürbittern Maria und Johannes der Täufer. Rogiers Christus segnet als Erlöser die Welt – sie wird symbolisiert durch die goldene Kugel mit dem Kreuz, dem festen Attribut des Salvator mundi. „Das maskenhafte, flächig wirkende Gesicht bezeichnet seine ewige Gestalt“ (Belting/Krise 1994, S. 187), so wie es Jan van Eyck (1390–1441) in seinem Christusporträt wiedergegeben hat. Der Text Christi lautet: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist“ (Johannes 6,51; LUT). Sein Haupt wird hinterfangen von einem abendlichen, orange-gelben Nimbus, der an den Himmel mit der untergehenden Sonne in der Rogiers Brüsseler Pietà. „Das Licht ist hier jedoch göttlicher Natur, denn es spiegelt sich nicht im Wasser“ (De Vos 1999, S. 268).

Kopie nach Jan van Eyck: Christusporträt (um 1500); München, Alte Pinakothek

Rogier van der Weyden: Pietà (um 1441); Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique

Johannes der Täufer ist von Rogier allerdings durch den gleichnamigen Evangelisten ersetzt worden. Er vollzieht seinerseits eine segnende Geste über einem Kelch, den er in der linken Hand hält. Eines seiner Attribute ist ein solcher Kelch, in dem sich eine Schlange windet, da Johannes der Legenda aurea nach aus einem Giftbecher trank, ohne Schaden zu nehmen. Da bei Rogier jedoch die Giftschlange fehlt, geht Dirk de Vos davon aus, dass hier der Messkelch gemeint ist. „Der Text, den Christus spricht, gestattet die Annahme, daß er hier das Brot repräsentiert und der Kelch des Johannes den Wein.“ (De Vos 1999, S. 268). Rogier verschmilzt auf der Mitteltafel also eine Deesis mit dem Eucharistie-Gedanken.

Maria Magdalena, rechter Seitenflügel

Auf dem rechten Flügel ist die weinende Maria Magdalena mit einem Salbgefäß dargestellt. Während über den Köpfen aller anderen Figuren und in der Höhe ihrer Münder geschwungene Sprechtexte schweben, ist der Bibelvers über Magdalena als gerade Zeile wiedergegeben, weil er von ihr handelt und sie ihn nicht selbst ausspricht: „Da nahm Maria [Magdalena] ein Pfund Salböl von unverfälschter, kostbarer Narde und salbte die Füße Jesu“ (Johannes 12,3; LUT). Auf ihrer orientalisch gemeinten runden Kopfbedeckung stehen weiß auf Weiß gestickte hebräische Lettern, die noch nicht überzeugend entziffert werden konnten. Auch ihre Funktion innerhalb des Triptychons ist nicht ganz eindeutig: Möglicherweise vertritt sie als bekehrte Sünderin die Menschheit, die nach den Worten Johannes des Täufers durch Christus von ihren Sünden befreit wird. Vielleicht ist sie als Büßerin aber auch das weibliche Gegenstück zum Bußheiligen Johannes der Täufer. Ihre Tränen in Verbindung mit dem Salbgefäß verweisen darauf, dass sie Christus die Füße salbte, nachdem sie diese mit ihren Füßen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet hatte (Johannes 12,1-3). Gerühmt wird an der Figur immer wieder, mit welcher Meisterschaft Rogier die Textur ihres langen Haars wiedergibt und den linken Brokatärmel mit farblicher Leuchtkraft versieht.

Die Rückseiten der beiden Seitenflügel

Das geschlossene Triptychon zeigt als Memento mori links einen Schädel auf einem von der Zeit zerfressenen Ziegelstein, rechts ist ein verwittertes Steinkreuz abgebildet. In der rechten und linken oberen Ecke befinden sich jeweils ein Wappen, mit deren Hilfe es gelang, das Stifterpaar zu identifizieren. Es handelt sich um Jean Braque aus Tournai und seine Ehefrau Katharina von Brabant, die 1450 geheiratet hatten. Jean Braque starb am 25. Juni 1452; wahrscheinlich ist, dass seine Frau das Triptychon als eine Art Epitaph oder Gedenkbild in Auftrag gegeben hat. Denn es gibt einige Hinweise auf die Person ihres Mannes und seinen Tod: Dass die beiden Johannes dargestellt sind, hängt sicherlich mit seinem Vornamen zusammen. Außerdem liegt der Schädel unter seinem Wappen und ruht auf einem Ziegel, was als Verbildlichung seines Familiennamens verstanden werden kann (Braque, brique). Rechts neben dem Steinkreuz steht ein Text aus dem apokryphen Buch Jesus Sirach (41,1), der auf den bitteren Geschmack des Todes anspielt, wenn dieser einen glücklichen Mann trifft. In der Weltkugel Christi spiegelt sich sehr deutlich ein Zimmerfenster – für De Vos ein Hinweis darauf, dass das Triptychon wahrscheinlich in einem häuslichen Kontext aufgestellt war.

Piero della Francesca: Battista Sforza und Federigo da Monefeltro (um 1472/73); Florenz, Uffizien

Die durchgehende, sich über alle drei Tafeln erstreckende und naturalistisch wirkende Landschaftsdarstellung im Hintergrund war zur damaligen Zeit für ein religiöses Thema einzigartig. In der italienischen Malerei kam sie erst um 1465/70 auf und entstand zweifellos unter flämischen Einfluss. Als berühmtes Beispiel sei Piero della Francescas Doppel-Profilbildnis des Federigo da Montefeltro und seiner Ehefrau Battista Sforza angeführt. Bei Rogier hat der Ausblick in eine weite, lichtüberflutete Landschaft aber religiös-symbolische Bedeutung: Sie meint die ganze Welt, über die Christus herrscht und in die er mit seiner Menschwerdung hinabgestiegen ist. Darauf bezieht sich der Spruch des Evangelisten Johannes neben Christus: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes 1,14; LUT). „Mahnte die düstere Außenseite an den unausweichlichen Tod, eröffnete die weite, strahlende Innenseite mit den heiligen Gestalten dem gläubigen Betrachter die Hoffnung auf Erlösung“ (Kemperdick 1999, S. 77). Der Todesgedanke wird von dem lebendigen Christus im Bildzentrum verdrängt.

Rogier van der Weyden: Weltgericht (um 1443-1453;
Ausschnitt aus der Mitteltafel); Beaune, Hotel-Dieu

Künstlerisch steht das symmetrisch angelegte Braque-Triptychon dem Weltgerichtsaltar in Beaune sehr nahe (siehe meinen Post „Die zur Linken, die zur Rechten“). Der Kopf Mariens und insbesondere derjenige Christi sind den entsprechenden Häuptern auf dem Weltgericht so ähnlich, dass sie nach derselben Vorlage angefertigt sein müssen.

 

Literaturhinweise

Belting, Hans/Kruse, Christian: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei. Hirmer Verlag, München 1994, S. 187-188;

De Vos, Dirk: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk. Hirmer Verlag, München 1999, S. 268-273;

Kemperdick, Stephan: Rogier van der Weyden 1399/1400–1464. Könemann Verlagsgesellschaft, Köln 1999, S. 71-77;

Pächt, Otto: Altniederländische Malerei. Von Rogier van der Weyden bis Gerard David. Prestel-Verlag, München 1994, S. 50-52;

LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.


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