Dienstag, 29. August 2023

Ohne Ausweg – Felix Nussbaums „Selbstbildnis mit Judenpass“ (1943)

Felix Nussbaum: Selbstbildnis mit Judenpass (1943); Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus
(für die Großansicht einfach anklicken)

Wohl im August 1943 vollendete der damals 39-jährige deutsche Maler Felix Nussbaum ein Selbstporträt, das ihn weltberühmt machen sollte. Es zeigt ihn mit dem auf seinem Mantel aufgenähten Judenstern und seinem Fremdenpass, auf den das Wort „Jude“ auf flämisch und französisch gestempelt ist („JUIF – JOOD“). Es ist die belgische, zweisprachige Version eines „Judenpasses“, mit dem die deutschen NS-Besatzer zwischen 1940 und 1945 alle jüdischen Menschen quer durch Europa stigmatisierten, um sie so für Verfolgung, Deportation und Vernichtung zu erfassen. Das Passbild auf dem Ausweispapier zeigt Nussbaums Ebenbild; deutlich lesbar sind auch die übrigen Eintragungen. Als Nationalität ist – entsprechend der offiziellen Anordnung – „sans“ (ohne) angegeben. Wie zur Bestätigung dieser erzwungenen Heimatlosigkeit ist die Angabe zu seinem Geburtsort Osnabrück bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

Nach einer erfolgreichen Karriere als junger Künstler in Berlin und einem Stipendium in Rom kehrte Nussbaum 1933 von dort nicht in das nationalsozialistische Deutschland zurück, sondern hielt sich mit seiner Lebensgefährtin Felka Platek im Exil in Italien, Frankreich und ab 1937 in Brüssel auf, wo das Malerpaar heiratete. Zwei Tage nach dem Einmarsch deutscher Truppen am 8. Mai 1940 wurde Felix Nussbaum von den belgischen Behörden als deutscher Ausländer verhaftet und in das südfranzösische Internierungslager Saint-Cyprien gebracht. Wegen der Haftbedingungen dort bat er die französische Lagerführung um Rückführung nach Deutschland; unterwegs konnte er in Bordeaux fliehen. Er kehrte nach Brüssel zurück, wo Felka Platek geblieben war. Bis 1943 konnte Nussbaum sich trotz der deutschen Besetzung relativ frei bewegen, seine Malutensilien kaufen und in seiner Wohnung leben und arbeiten. Aber ab 1943 war es für ihn als Jude kaum mehr möglich, sich in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Seine Frau und er bezogen ein Versteck in der Mansarde ihres Wohnhauses. Nussbaum organisierte sich ein Atelier und tauschte dort Bilder gegen Lebensmittel.

Genau in dieser Umbruchzeit entstand das bekannte Selbstbildnis, das ihn mit Hut und Mantel zeigt, vor der Ecke einer hohen grauen Mauer, die die Bildfläche regelrecht abriegelt. Nussbaum porträtiert sein nach rechts gewendetes Gesicht im Halbprofil; die Hutkrempe verschattet seine Stirn, der Mantelkragen ist aufgestellt, der Kopf über die linke Schulter uns zugewendet, die Augen mit den hochgezogenen Brauen blicken den Betrachter direkt an. Er wirkt abgemagert und ist so nah an uns herangerückt, dass wir seine Bartstoppeln erkennen. Es ist ein Selbstporträt, „aber eigentlich können wir sein Stehen und Umwenden nicht als ein statuarisches Posieren auffassen, eher als flüchtiges, zur Seite vorbeistrebendes Weitergehen“ (Rebel 2008, S. 72). Den Aufschlag seines Mantels hat Nussbaum zurückgeschlagen, um seinen Judenstern zu zeigen, den Fremdenpass hält er in der erhobenen linken Hand – als hätten wir, die Betrachter, ihn aufgefordert, sich auszuweisen.

Felix Nussbaum: Selbstbildnis an der Staffel (1943); Osnabrück,
Felix-Nussbaum-Haus (für die Großansicht einfach anklicken)

Das sogenannte Selbstbildnis mit Judenpass ist das letzte in einer Reihe von Selbstporträts, die in diesen Jahren entstanden. Anders als in den vorhergehenden Selbstbildnissen stellt Nussbaum sich hier erstmals in seiner von außen, durch NS-Gesetzgebung und Propaganda aufgezwungenen jüdischen Identität dar. Der Maler hat sich im Halbdunkel einer städtischen Hinterhofsituation porträtiert. Die hohe Mauer rahmt das Selbstbildnis und fokussiert den Betrachterblick auf den Vordergrund. Oberhalb der Mauer – dieser Teil des Bildes nimmt nur ein Viertel der Leinwand ein – bricht die geschlossene dunkle Wolkendecke auf, und das Blau des Himmels zeigt sich; links oben hat Nussbaum ein Wohnhaus mit einem erleuchteten Fenster hinzugefügt, rechts daneben noch einen Telegrafenmast, Blütenzweige und einen Stamm mit abgeschnittenen Ästen Dazwischen und weiter rechts kreisen Vögel am Himmel.

Sind hier Hoffnungsschimmer angedeutet?  Wohl blühen Zweige vor dem düsteren Himmel und treiben die beschnittenen Äste erneut aus, wohl brennt hinter einem Fenster Licht, wohl zeigt sich Himmelsblau – aber die Mauer, vor der Nussbaum steht, überragt ihn deutlich und ist durchgehend geschlossen. Sie bietet keinen Durchlass, keine Fluchtmöglichkeit. Die düsteren Farben der Mauer und des wolkenverhangenen Himmels entsprechen der ständigen Bedrohung des Malers, entdeckt und verhaftet zu werden. Fatalismus dominiert das Bild. Nussbaums Selbstporträt veranschaulicht beklemmend seine verzweifelte Situation in ihrer ganzen Ausweglosigkeit – und es wird darüber hinaus zum Mahnmal, weil sich der Künstler mit dem Schicksal aller heimatlos gewordenen, verfolgten Juden während des Nazi-Regimes identifiziert. Das Martyrium der Nussbaums in ihrem Dachgeschoss dauerte bis zum Juni 1944: Dann wurden sie denunziert und mit dem letzten Transport vom Sammellager Mecheln nach Auschwitz deportiert, wo man sie ermordete. Felix Nussbaums direkter, anklagender Blick auf seinem Selbstporträt mit Judenpass macht uns zu Mitwissern.

 

Literaturhinweise

Kaumkötter, Jürgen Joseph: Felix Nussbaum und die Holocaust-Kunst. „Selbstbildnis mit Judenpass“. Wallstein Verlag, Göttingen 2023;

Neugebauer, Rosamunde (Hrsg.): Zeit im Blick. Felix Nussbaum und die Moderne. Rasch Verlag, Bramsche 2004;

Rebel, Ernst: Selbstporträts. TASCHEN Verlag, Köln 2008, S. 72;

Steinkamp, Maike: Felix Nussbaum, Selbstbildnis mit Judenpass, 1943. In: Ulrich Pfisterer/Valeska von Rosen, Valeska (Hrsg.): Der Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Philipp Reclam, Stuttgart 2005, S. 164.


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