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Michelangelo: David (1502-1504); Florenz, Galleria dell’ Accademia (für die Großansicht einfach anklicken)
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Der Marmor, aus dem
Michelangelo (1475–1564) seinen berühmten David schuf, stammt aus einem
Steinbruch nordöstlich der italienischen Stadt Carrara. Hier brachen Arbeiter
den über fünf Meter langen Block 1464 aus dem Felsen – zu diesem Zeitpunkt war
der Künstler selbst noch gar nicht geboren. Den Auftrag dazu hatte der
Bildhauer Agostino di Duccio (1418–1481) erteilt, der daraus die
überlebensgroße Figur eines Propheten für den Dom von Florenz hauen wollte. Bestimmt
war die Skulptur als Bekrönung für einen der Strebepfeiler der östlichen
Absidenaußenseiten, aufgestellt in einer Reihe mit anderen Prophetenstatuen. Zwei
Jahre darauf gab di Duccio das Projekt auf. 1476 unternahm ein anderer
Bildhauer, Antonio Rossellini (1427–1479), einen weiteren Versuch, den riesigen
Stein zu bearbeiten. Auch er scheiterte nach einigen Monaten.
Es folgten unruhige Zeiten in Florenz. Nach dem Tod des mächtigen
Lorenzo de‘ Medici (1449–1492) rangen sein unfähiger Sohn und Nachfolger Piero
(1472–1503), die bürgerliche Oberschicht der Stadt und die Anhänger des
religiösen Fanatikers Savonarola (1452–1498) um die Macht. Schließlich
erlangten die Bürger die Oberhand, und am 4. August 1501 wurde in Florenz die
Republik ausgerufen. Nur zwölf Tage später beauftragte die Stadt den gerade
einmal 26 Jahre alten Künstler Michelangelo, eine Statue zu fertigen. Ein David
sollte es sein, jener Hirtenjunge, der laut biblischer Erzählung (1. Samuel 17)
mit seiner Steinschleuder den Riesen Goliath besiegt hatte und anschließend
König wurde.
Michelangelo erinnerte sich
des Marmorblocks, der in der Stadt herumlag, seit er denken konnte. Im
Dombauhof von Santa Maria del Fiore errichtete der junge Bildhauer rings um den
Block herum einen Verschlag aus Brettern und bearbeitete den Riesenstein drei
Jahre lang. Da niemand zusehen durfte, sind bis heute einige Details der
Herstellung geheimnisumwoben. Die schlanken Beine des Helden können zum
Beispiel den tonnenschweren Torso theoretisch kaum tragen. Als Stütze dient dem
David lediglich ein kleiner Baumstumpf hinter dem rechten Fuß. Wie diese
fragile Konstruktion der Belastung bei der Bearbeitung des Steins standhielt,
ist kaum nachvollziehbar. Bereits nach fünf Monaten hatte Michelangelo den
Block so weit bearbeitet, dass die Auftraggeber seinen Lohn von sechs
Golddukaten im Monat (vertraglich vorgesehen war ein Zeitrahmen von zwei
Jahren) auf 400 Golddukaten heraufsetzte.
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Donatello: Judith und Holofernes (um 1453-1457); Florenz, Palazzo Vecchio (für die Großansicht einfach anklicken)
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Als die Auftraggeber
erkannten, dass Michelangelo die Tücken des Blockes meistern würde, schlug sie
einen neuen Standort für die Statue zu ebener Erde vor. Das technische Problem,
eine fünfeinhalb Tonnen schwere Figur auf eine Höhe von 25 Metern zu heben, hat
sicherlich zu dieser Entscheidung beigetragen. Aber es dürfte auch der Wunsch
gewesen sein, die erstaunliche Anatomie des David so nah wie möglich an
die Betrachtenden heranzurücken. Am 25. Januar 1504 wurde eine aus 30
Mitgliedern bestehende Kommission eingesetzt, die über die endgültige
Aufstellung des David befinden sollte, unter ihnen sowohl berühmte
Künstler wie Sandro Botticelli und Leonardo da Vinci als auch Sprecher der
Ratsversammlung. Man entschied sich für die Aufstellung auf der Piazza della
Signoria, neben dem Eingang des Rathauses der Stadt. Dafür sollte Donatellos
Statue der Judith, die bislang an diesem Platz gestanden hatte, entfernt
werden (siehe meinen Post „Ein äußerst kopfloser Heerführer“). Am 15. Mai 1504
begann der sich über fünf Tage hinziehende Transport der 5,16 Meter hohen
Skulptur zum Regierungspalast. Schließlich wurde die Statue am 8. September
1504 auf ihrem neuen Sockel an jene Stelle gesetzt, die zuvor die Judith
eingenommen hatte.
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Die Seitenansicht lässt die ursprüngliche Form des Marmorblocks erkennen
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Die Höhe der finalen Figur
ist nahezu deckungsgleich mit der des Blockes, den Michelangelo vorfand.
Offenbar ging es dem Bildhauer darum, die Form des David mit einem
Minimum an Materialverlust aus dem Marmor herauszuschlagen. „Wie akribisch
Michelangelo jeden Zentimeter auszunutzen versuchte, ist an der Linie
abzulesen, die vom linken Knie bis zum Handrücken der linken Hand verläuft. In
der Seitenansicht zeichnet sich somit die flache Kastenform des Blocks ab, wie
sie in Carrara gebrochen worden ist“ (Bredekamp 2021, S. 132).
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Donatello: David (um 1440); Florenz, Museo Nazionale del Bargello (für die Großansicht einfach anklicken)
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In seiner Nacktheit lässt
Michelangelos David zunächst an Donatellos Bronze-David denken
(siehe meinen Post „Androgyne Sinnlichkeit“), zumal die Grundhaltung der
Skulptur verwandt erscheint. Der Körper ruht jeweils auf dem rechten Standbein,
während das linke Spielbein leicht angehoben nach vorn geführt ist. Dennoch hat
Michelangelos David nichts von der Nachdenklichkeit, ja Melancholie, die
Donatellos Gestalt auszeichnet. Der entscheidende Unterschied liegt in der
Hüfte, so Horst Bredekamp. Die Taille der Bronzefigur ist tief eingezogen, als
würde der Oberkörper allein auf dem Standbein lasten, wohingegen sich die
Bauchpartie von Michelangelos David von innen heraus anspannt, „sodass
die weichen Umrisslinien, wie sie Donatellos Statue kennzeichnen, vermieden
werden und die Last auf beide Beine verteilt wird“ (Bredekamp 2021, S. 132).
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Wächter vor den Toren des Regierungspalastes
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Andrea del Verrocchio: David (um 1475); Florenz, Museo Nazionale del Bargello (für die Großansicht anklicken)
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Donatello: David (1415/16); Florenz, Museo Nazionale del Bargello (für die Großansicht einfach anklicken)
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„Il Gigante“, wie
Michelangelos Skulptur auch genannt wird, hat die linke Hand zum Kopf erhoben,
dessen Augen auf einen Zielpunkt auf gleicher Höhe gerichtet sind. Hierin
knüpft die Statue an Andrea del Verrocchios Bronze-David (siehe meinen
Post „Stolz und spöttisch“) und den Marmor-David von Donatello an (siehe
meinen Post „Kecke Kampfbereitschaft“). Der Kopf des Giganten scheint sich in
seiner mächtigen Präsenz regelrecht vom Körper zu lösen, als wüchse er geradezu
aus diesem heraus. Zumindest von vorn wirkt er eine Spur zu groß. Auch die
weiteren Körperpartien erscheinen unproportioniert; so wirken die Arme etwas zu
lang, die rechte Hand zu groß und das Standbein zu kurz. Als Michelangelo seine
Arbeit begann, musste er davon ausgehen, dass der Gigant auf einen
Strebepfeiler des Domes gehoben werden würde. Er berechnete den David
daher auf Fernsicht. Mit der Überbetonung des Kopfes wollte er vermutlich die
in der Höhe zu erwartende perspektivische Verzerrung der riesigen Skulptur
ausgleichen.
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Ein Kerl wie aus dem anatomischen Lehrbuch
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Virtuos arbeitet Michelangelo heraus, was unter der
menschlichen Haut liegt, beginnt bei den Füßen, an denen sich das Spiel der
einzelnen Zehen abzeichnet. Es folgen die Sehnenzüge des Fußrückens und des
Knöchels bis zu den Knien, die den Wechsel von Stand- und Spielbein erkennen lassen.
Über dem Muskelrelief der Oberschenkel zeichnet sich die Bauchdecke mit
differenzierter Binnenstruktur ab. Deutlich ausgeprägt sind auch die Rippen
sowie das Brustbein und die Schlüsselbeine. Am Halsansatz steigen die beiden
kräftigen Sehnen auf, die den Kopf in seiner seitlichen Wendung fixieren; eine
Ader überzieht die bloßgelegte Halsseite. Den Höhepunkt bildet die rechte Hand,
„die wie ein Demonstrationsobjekt aus einem anatomischen Lehrbuch das
Zusammenspiel von Adern, Sehnen, Muskeln und Knochen“ (Bredekamp 2021, S. 135)
präsentiert. Sie mutet entspannt an, offenbart aber mit ihrer Struktur aus
kräftigen Adern, sichtbaren Sehnen und Muskeln die Fähigkeit, schnell reagieren
und zugreifen zu können.
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Apoll vom Belvedere (1489 aufgefunden); Rom, Vatikanische Museen
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Einer der beiden Dioskuren (Castor) vom Quirinalsplatz in Rom
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Als Vorbild für den David
werden immer wieder die beiden antiken Statuen des Apoll vom Belvedere und des Castor
vom Quirinalsplatz genannt, die mit ihren nach rechts über die Schulter
gerichteten Köpfen Michelangelo durchaus als Anregung gedient haben können.
Ihre Maßverhältnisse haben allerdings mit denen des David wenig gemeinsam.
„Michelangelo hat den klassischen Kontrapost in einen Körper eingegeben, dessen
Antikenbezug sich darin erschöpfte, eine nackte Monumentalfigur darzustellen“
(Bredekamp 2021, S. 134).
Von links betrachtet, wirkt
die Gestalt in Kopf und Oberkörper eher statuarisch-unbewegt, als schätze sie
eine für den Betrachter unsichtbare Situation an. Die innerlich sich anstauende
Kampfbereitschaft kommt in der Frontalansicht stärker zur Geltung, und vollends
in der Perspektive von halbrechts konzentriert der Körper das Zusammenspiel von
Lässigkeit und Energie. „Das Spielbein und die Muskelanspannung von Bauchpartie
und Oberkörper erzeugen aus dieser Position jene Wechselwirkung von Loslassen
und Kontraktion, die in der überdimensionierten rechten Hand wiederholt ist,
und die Bewegung des wie zur Abwehr erhobenen linken Armes leitet in das nun
frontal zu erblickende Gesicht mit seinem fixierenden Blick und dessen
Außenbezug über“ (Bredekamp 2021, S. 136). Unter den starken Haarlocken wölbt
sich die Stirn in den zusammengezogenen Augenbrauen, deren Dynamik sich in den
Zornesfalten und der Nasenwurzelfalte fortsetzt. Diese „leonine“, also die löwenhafte Physiognomie, sollte vorbildliche Kampfbereitschaft und Tapferkeit symbolisieren. Dagegen bleiben die weichen
Partien der Wange und des Mundes unbewegt. Nur die leicht aufgeworfene
Oberlippe könnte auf einen Affekt wie Widerwillen oder Verachtung hindeuten.
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Symbol der wehrhaften Republik Florenz
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Der David Michelangelos erzählt zum ersten
Mal die alttestamentliche Geschichte seines Kampfes mit Goliath ohne Goliath
und damit das Ereignis und die Handlung in einer einzigen Figur. Gestaltet ist der Moment, in dem David den Kontrahenten
erblickt. Den Riesen taxierend, hat David mit der Linken die Lederschlaufe mit
dem Stein angehoben, um sie mit der rechten über den Rücken zurückzuziehen und
das Geschoss so nach vorne, in Richtung des Feindes zu schleudern. Er tritt uns also „als kontentrierter und überlegen-überlegender Kämpfer“ (Zöllner 2007, S. 48) entgegen.
In den
Jahren zwischen dem Vertragsabschluss im August 1501 und der Aufstellung des David
im September 1504 befand sich die Republik Florenz in einer Phase andauernder
Bedrohung. Die Auftragsvergabe an Michelangelo fiel in eine Zeit, in der
aufgrund der steten Kriegsgefahr das traditionell aufgebotene Söldnerheer in
ein Bürgerheer umgewandelt wurde. Mit dem David besaß die wehrhafte
Republik jetzt ihr neues Symbol, ihr Wahrzeichen: ein Wächter vor den Toren des
Regierungspalastes.
Bis 1873 stand der Gigant
auf der Piazza della Signoria. Dann erzwangen Witterungsschäden und Verätzungen
durch Taubenkot, ihn in einen Innenraum zu versetzen. Man baute ihm einen
Kuppelraum, die „Tribuna“ der Florentiner Galleria dell’Accademia. Mit der
Eröffnung der Accademia am 22. Juli 1882 wurde der David schließlich wieder der
Öffentlichkeit präsentiert, und dort ist er bis heute zu sehen. Der Übergang
des David vom Stadtraum zum musealen Innenraum bedeutete „seine
Umdeutung vom öffentlichen Monument zum auratischen Kunstwerk“ (Enzensberger
2019, S. 112). Die ursprüngliche Bedeutung des David als Sinnbild der
freien Republik wurde aufgegeben und mit der eigens für die Skulptur
errichteten „Tribuna“ ein Ort für ihre Verehrung geschaffen.
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Luigi Arrighettis Marmorkopie des David vor dem Palazzo della Signoria
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37 Jahre lang blieb der
Platz vor dem Palazzo della Signoria leer – 1910 wurde dort schließlich eine
Marmorkopie des David von Luigi Arrighetti aufgestellt. Einmal noch
tobte sich Hass an ihm aus: 1991 schlug ein psychisch gestörter Mann mit einem
Hammer auf den linken Fuß des Standbilds ein – die Schäden konnten glücklicherweise
rasch behoben werden. Als Folge wurde der freie Zugang zum David
unterbunden, und zwar mit einer halbhohen, bis zum Fuß der Skulptur reichenden
Glasumzäunung.
Literaturhinweise
Bredekamp,
Horst:
Michelangelo. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2021, S.119-145;
Enzensberger, Alexandra: Das inszenierte Meisterwerk. Deutscher
Kunstverlag, Berlin 2019, S. 97-150;
Giuliani, Luca: Michelangelos David und seine Schleuder. In: Nicole Hegener (Hrsg.), Nackte Gestalten. Die Wiederkehr des antiken Akts in der Renaissanceplastik. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2021, S. 189-212;
Lavin, Irving: David’s Sling and Michelangelo’s Bow. In: Matthias Winner (Hrsg.), Der Künstler über sich in seinem Werk. Weinheim 1992, S. 161-190;
Verspohl, Franz-Joachim: Michelangelo Buonarroti und Niccolò
Machiavelli. Der David, die Piazza, die Republik. Stämpfli Verlag, Bern 2001;
Zöllner, Frank: Michelangelo. Das vollständige
Werk. Taschen Verlag, Köln 2007, S. 43-49.