Gustave Doré: Josuas Sieg über die Amoriter (1866), Holzstich |
Dorés größter Erfolg war die Bibel mit 230 Holzstichen, deren erste französische Ausgabe 1866 auf den Markt kam. Innerhalb kürzester Zeit gab es die Doré-Bibel in Pracht- und Volksausgaben in allen europäischen Sprachen. Die Popularität seiner Holzstiche überwand sämtliche konfessionellen Hürden: Sie schmückten und schmücken katholische, lutherische und reformierte, aber auch russisch-orthodoxe, griechisch-orthodoxe, anglikanische, methodistische und freikirchliche Bibelausgaben. Die Doré-Bibel ist die bis heute meistverkaufte und weltweit beliebteste Bilderbibel überhaupt.
Gustave Doré: Josua verschont Rahab (1866); Holzstich |
Der Holzstich (auch Xylographie genannt) ist
eine Hochdrucktechnik, bei der die Vorzeichnung auf eine
Buchsbaum-Hirnholzplatte aufgetragen und anschließend mit dem Grabstichel
umgesetzt wird. Das Verfahren hatte dem bis dahin als Illustrationstechnik
bevorzugten Kupferstich gegenüber den Vorteil, dass sich die Holzstiche auf
Buchdruckpressen und -maschinen in hohen Auflagen zugleich mit dem Text drucken
ließen und nicht nachträglich im Tiefdruckverfahren ergänzt werden mussten.
Daher löste der Holzstich, zusammen mit der Lithographie, im 19. Jahrhundert
den Kupferstich als führende Illustrationstechnik ab.
Zu
den meisten Bibelillustrationen lieferte Doré allerdings nur die
Skizzen, die eine große Zahl unermüdlicher Holzschneider unter seiner
Aufsicht auszuführen hatte. Dorés Arbeiten faszinieren nicht nur durch ihre Erzählfreude,
durch realistische Darstellung und dramatische Zuspitzung, sondern vor allem
durch effektvolle Hell-Dunkel-Wirkungen. Die Illustrationen zum
Alten Testament sind besonders eindrucksvoll geraten; sie zeigen immer wieder
Schlachten, Massenszenen und weite Naturräume; außerdem belegen sie, mit
welcher Freude und Meisterschaft Doré orientalisches Lokalkolorit gestaltete
und archäologische Monumente nachbildete. Allerdings gerät ihm dabei die jüdische Geschichte vielfach zum Märchen aus Tausendundeiner Nacht oder einfach nur zu einem wilden Abenteuer. Beispielhaft sei hier auf die
Holzstiche zum Buch Josua hingewiesen, wie z. B. Josuas Sieg über die Amoriter
(Josua 10,1–11), Josua verschont Rahab (Josua 6,22–27) oder Die Steinigung
Achans (Josua 7,19–26).
Gustave Doré: Die Steinigung Achans (1866), Holzstich |
In den Augen des modernen Bibellesers wirkt
dieses brutale Vorgehen sehr befremdlich. Ausleger weisen darauf hin, die
Ausrottung der besiegten Volksstämme sei Gottes Gericht über die Gottlosigkeit
der kanaanitischen Völker und diene dazu, das Volk Israel sozusagen
prophylaktisch vor dem Götzendienst zu bewahren. Was viele heute als ethnische
Säuberung oder auch als Genozid bezeichnen würden, war, so der Bibeltext, keineswegs reine
Zerstörungswut, Vandalismus, blinder Hass oder Raubmord, sondern geschah auf
Anweisung Gottes, die in 5. Mose 7,1–10 auch begründet wird. Dennoch bleibt bei
heutiger Lektüre des Textes eine erhebliche Irritation zurück, gerade im Blick
auf das neutestamentliche Gebot der Feindesliebe (Matthäus 5,43–48).
Literaturhinweis
Keuchen, Marion: Bild-Konzeptionen in Bilder- und Kinderbibeln. Die historischen Anfänge und ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart. Teil 1. V & R unipress, Göttingen 2016, S. 348-377.
(zuletzt bearbeitet am 23. März 2020)
Keuchen, Marion: Bild-Konzeptionen in Bilder- und Kinderbibeln. Die historischen Anfänge und ihre Wiederentdeckung in der Gegenwart. Teil 1. V & R unipress, Göttingen 2016, S. 348-377.
(zuletzt bearbeitet am 23. März 2020)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen