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Donatello: Maria Magdalena (um 140/42); Florenz, Museo dell’Opera del Duomo |
Maria
Magdalena wird im Neuen Testament als eine der Begleiterinnen Jesu und Zeugin
seiner Auferstehung erwähnt. Nachdem sie mit anderen Frauen am Ostermorgen das
leere Grab Christi entdeckt hatte, berichtete sie als Erste den Jüngern von
dessen Auferstehung (Johannes 20,11-18). Im 3. Jahrhundert verlieh ihr deswegen
Hippolyt von Rom die ehrenvolle Bezeichnung Apostola
apostolorum („Apostelin der Apostel“). Papst Gregor I. setzte im Jahr 591 (darin
Hippolyt folgend) in einer Predigt Maria von Magdala mit der anonymen Sünderin
gleich, die Jesus die Füße wusch (Lukas 7,36-50). Obwohl diese Zuschreibung
nicht sicher ist, wurde sie Teil der katholischen Überlieferungstradition. Im
Text des Lukas wird Maria Magdalena als „Sünderin“ bezeichnet; später deutete
man diese Benennung als „Prostituierte“. Der Legenda aurea des Jacobus de Voragine zufolge, dem bekanntesten und
am weitesten verbreiteten religiösen Volksbuch des Spätmittelalters, soll die geläuterte
Maria Magdalena ihre letzten dreißig Lebensjahre in freiwilliger Buße als
Einsiedlerin in einer südfranzösischen Höhle verbracht haben.
In der christlichen Kunst wird Maria
Magdalena traditionell als junge, reizvolle Frau vorgeführt. Doch der
italienische Renaissance-Künstler Donatello (1386–1466) präsentiert
die Heilige in einer um 1440/42 entstandenen Holzskulptur geradezu erschreckend
gealtert, fast als lebende Mumie – kein anderer Bildhauer hatte sich bislang in
der Darstellung körperlichen Verfalls so weit vorgewagt. In schleppendem
Schritt und nur mit einem zottigen Fell bekleidet tritt Maria Magdalena vor den
Betrachter; dunkel und sonnenverbrannt die Haut, abgemagert und ausgemergelt der ganze Körper,
hebt sie die beiden Hände, um sie zum Gebet zusammenzuführen. Denn Donatellos Maria
Magdalena ist nicht nur gezeichnet durch ihre entsagungsvollen Jahre in der
Wildnis – ihre Buße und selbstauferlegten Leiden sind auch ein Weg der
Gottesbegegnung, denn bei allem körperlichen Verfall umgibt sie doch auch eine
entrückt-andächtige Aura.
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Ohne Frage, Schönheit vergeht ... |
Die
Maria Magdalena ist eine der wenigen Holzarbeiten
des Donatellos. Ursprünglich stand sie im Baptisterium von Florenz – es ist
allerdings nicht sicher, ob dies auch ihr ursprünglicher Aufstellungsort war.
Nach der Arno-Überschwemmung von 1966 wurde die Figur restauriert, seither kann
sie im Museo dell’Opera del Duomo bewundert werden. Die 188 cm große Figur ist
rundansichtig konzipiert und wurde aus einem einzigen Block gefertigt,
inklusive des Sockels – für lebensgroße Skulpturen äußerst ungewöhnlich. Gleiches
gilt für Donatellos Holzstatue Johannes
des Täufers in der Basilica dei Frari (Venedig, um 1438 entstanden). Der
Bildhauer hat jedoch bei seiner Maria Magdalena auch sehr viel Stuck verwendet.
Dieser Werkstoff diente ihm vor allem dazu, die
Haut einer alten und von körperlichem Gebrechen gezeichneten Frau detailgenau nachzubilden.
Ganz aus Stuck gefertigt sind auch die zerzausten Haare, die das Haupt Maria
Magdalenas bedecken.
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... aber Arme und Beine haben sich noch gut gehalten |
Der
Hals wiederum ist der Körperteil, der an Donatellos Figur den physischen, durch
lange Buße und Kasteiung verursachten Verfall besonders eindrucksvoll
veranschaulicht: Hier kommen durch den Verlust von
Fettgewebe die Muskeln, Sehnen, Knochen- und Knorpelstrukturen überdeutlich zum
Vorschein. Im
Gesicht sind besonders große Stuckmengen an Kinn und Mund zu erkennen. Auch bei
den gefalteten Händen entschied sich der Künstler für Modellier- statt
Schnitzarbeit. Donatello gelingt es auf diese Weise, typische Symptome für
Wasser- und Nahrungsmangel plastisch vor Augen treten zu lassen. Im Gesicht wird dies an den tiefen Augenhöhlen sichtbar,
an hervortretenden Knochensegmenten, an den eingefallenen Schläfen und den dünnen,
ausgetrockneten Lippen, ganz abgesehen von fehlenden Zähnen.
Solche Modellierung verweist auf
eingehende anatomische Studien. Entsprechend hebt der Künstlerbiograf Giorgio Vasari
(1511–1574) in seiner Beschreibung der Skulptur in der zweiten Ausgabe der
„Vite“ (1568) besonders die Darstellung des von Entbehrungen gezeichneten Körpers
hervor. Würde die Stuckmenge entfernt, die von Donatello auf der
Holzoberfläche des Kopfes, des Halses und der Haare aufgetragen und modelliert
wurde, bliebe von der Oberzone der Figur nur eine Art Rohling ohne Gesicht
übrig. Bei
seiner Maria
Magdalena dient die exzessive Verwendung von
Stuck vor allem dazu, die Buße der Sünderin und die Hässlichkeit des Alters in
schockierender Weise zu veranschaulichen. Diese beiden Elemente kommen vor
allem in den Gesichtszügen der Figur zum Ausdruck und kontrastieren mit ihrer früheren
Schönheit, deren Spuren noch in den kraftvollen Armen und in Teilen der Beine zu
erkennen sind.
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Donatello: Johannes der Täufer (um 1438), Venedig, Basilica dei Frari |
Donatellos Maria Magdalena setzt die
künstlerische Technik fort, die der Bildhauer für die Statue Johannes des Täufers verwendete, er
radikalisiert sie nochmals. Der besondere Stil der Skulptur könnte sich, so
Giovan Battista Fidenza, aus der Verehrung und quasi liturgischen Verwendung in
einer religiösen Gemeinschaft mit besonders strengen Bußregeln erklären, wie
dies z. B. bei dem damaligen Florentiner Dominikanerorden der Fall war.
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Desiderio da Settignano: Maria Magdalena (1464); Florenz, Santa Trinita
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Donatellos Schüler Desiderio da Settignano (1430–1464) hat das Thema der Maria Magdalena als langjähriger Büßerin nochmals aufgegriffen und variiert. Seine Statue für Santa Trinita in Florenz ist ebenfalls in Holz ausgeführt, allerdings wie Donatellos Johannes der Täufer von 1438 farbig gefasst. Der Bildhauer konte sein Werk nicht mehr selbst fertigstellen – er starb 1464. Benedetto da Maiano (1442–1497) hat die Skulptur dann vollendet. Auch diese Maria Magdalena (mit dem Salbgefäß in der rechten erhobenen Hand als Attribut) wirkt verhärmt und durch ihre Askeese abgemagert; hinzu kommen gegenüber Donatellos Figur jedoch deutlich betonte Tränen der Reue.
Literaturhinweise
Dunkelman,
Martha Levine: Donatello's
Mary Magdalen: A Model of Courage and
Survival. In: Woman’s Art Journal 26 (2005/2006), S. 10-13;
Fidanza,
Giovan Battista: Donatellos Maria Magdalena. Technik und Theologie einer
Holzfigur. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 62 (2014), S. 127-144;
Poeschke, Joachim: Die Skulptur der
Renaissance in Italien. Band 1: Donatello und seine Zeit. Hirmer Verlag,
München 1990, S. 116-117;
Schneider, Norbert: Kunst der Frührenaissance in Italien. Exemplarische
Interpretationen. Band 1: Skulptur. LIT Verlag, Karlsruhe 2017, S. 82-87;
Strom, Deborah: A New Chronology for Donatello’s Wooden Sculpture.
In: Pantheon 38 (1980), S. 239-248.
(zuletzt bearbeitet am 11. Mai 2022)