Giambologna: Samson erschlägt einen Philister (um 1562, Marmor), London, Victoria & Albert Museum |
Freitag, 26. Oktober 2012
Robert Graves: Zorniger Simson
Dienstag, 23. Oktober 2012
Paulus am Boden – Caravaggio in der Cerasi-Kapelle von Santa Maria del Popolo (1)
Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (2. Fassung, um 1604); Rom, Santa Maria del Popolo, Cerasi-Kapelle |
Caravaggio: Die Bekehrung des Paulus (1. Fassung; 1600/01), Rom, Sammlung Odescalchi (für die Großansicht einfach anklicken) |
Es ist eine unübersichtliche Komposition, aber Jutta Held vermutet, dass weniger ästhetische als theologische Bedenken ausschlaggebend für die Ablehnung des Bildes waren, nämlich die „respektlose Nähe, in die Caravaggio den römischen Krieger zu Christus im Himmel gesetzt hat, der sich sogar anschickt, mit Schild und Lanze gegen die Himmelserscheinung vorzugehen; ferner die heftige Geste, mit der Paulus den Anruf Christi abwehrt“ (Held 2007, S. 98). Der Widerstand des Paulus gegen die göttliche Gnade sei wohl „allzu entschieden“ ausgefallen; für den Gründungsapostel der katholischen Kirche habe man wahrscheinlich eine deutlichere Bejahung seiner Mission erwartet.
Sebastian Schütze bietet noch eine weitere Erklärung für Caravaggios Neufassung: Die erste Version seines Bildes sei offensichtlich für die linke Seitenwand der Kapelle bestimmt gewesen. „Darauf weisen unmissverständlich die Komposition und die Lichtführung ebenso wie die sich von rechts oben nach links unten entwickelnde Narration hin“ (Schütze 2009, S. 110). Nur auf der linken Seitenwand hätte das Gemälde den Darstellungskonventionen eines Sakralraums entsprochen. Christus hätte sich dann, entlang der vom göttlichen Licht betonten Diagonalen, aus der himmlischen Sphäre und vom Altar her kommend auf den in Richtung Kirchenraum zurückweichenden Paulus zubewegt. „Da es im päpstlichen Rom, zumal in der Kapelle des päpstlichen Schatzmeisters, zwingend erscheinen musste, dem heiligen Petrus die hierarchisch höher stehende Evangelienseite zuzuweisen, verständigten sich Caravaggio und seine Auftraggeber auf die Ausführung der zweiten Fassungen, zumal der Maler vielleicht bereits einen Käufer für die ersten Bilder in Aussicht hatte“ (Schütze 2009, S. 110).
Raffael: Bekehrung des Paulus, Wandteppich; Kartons von Raffael (1515/16), Teppich von Pieter van Aelst (1517-19), Rom, Vatikanische Museen |
Die Cerasi-Kapelle in Santa Maria del Popolo: links Caravaggios Kreuzigung Petri, rechts seine Bekehrung des Paulus; das Altarbild stammt von Annibale Carracci |
Paulus wird von Caravaggio nun erheblich jünger, bartlos und in kühner Verkürzung wiedergegeben. Statt des edlen, sich aufbäumenden Schimmels hat er ein schweres, geschecktes Pferd mit gesenktem Kopf gemalt, das fast vollständig die obere Bildhälfte einnimmt. Es hebt ruhig und behutsam den Huf, um seinen Herrn nicht zu verletzen. Aus dem kampfbereiten greisen Soldaten mit dem Halbmond auf seinem Schild – wir befinden uns ja in der Nähe von Damaskus! – wird ein einfacher, unbeteiligt wirkender alter Mann mit bloßen Beinen, der das Pferd am Zaumzeug führt und ihm beruhigend die Hand auf die Nüstern legt. Caravaggio verlegt das Geschehen von der Landschaft in einen Stall – das Ross ist noch gar nicht gesattelt. Auch Pferd und Reitknecht werden von dem Licht gestreift, sind also von dem Gnadenereignis nicht ausgeschlossen. Für den perspektivisch von schräg rückwärts gesehenen Gaul hat Caravaggio übrigens auf Albrecht Dürers Kupferstich Das Große Pferd von 1505 zurückgegriffen (siehe meinen Post „Dürers Pferde“) .
Albrecht Dürer: Das Große Pferd (1505), Kupferstich |
Für Caravaggio-Fans ein Must: Santa Maria del Popolo in Rom |
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage);
Hibbard, Howard: Caravaggio. Thames and Hudson, London 1983, S. 121-132;
Jansson, Peter: Some reflections on Caravaggio’s Religious Art Based on The Conversion of St Paul and The Crucifixion of St Peter. In: Maj-Britt Andersson (Hrsg.), New Caravaggio. Papers presented at the international conferences in Uppsala and Rome 2013. Edizioni Polistampa, Florenz 2013;
Pericolo, Lorenzo: „Completely Bereft of Action“: Narrative Blindness and the Heroic Horse in the Cerasi Conversion of Saint Paul. In: Lorenzo Pericolo, Caravaggio and Pictoral Narrative. Dislocating the Istoria in Early Modern Painting. Harvey Miller Publishers, Turnhout 2011, S. 243-263
Oy-Marra, Elisabeth: Die Konversion des Saulus/Paulus am Beispiel Parmigianinos, Michelangelos und Caravaggios. In: Ricarda Matheus u.a. (Hrsg.), Barocke Bekehrungen. Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit. transcript Verlag, Bielefeld 2013, S. 279-299;
Racco, Tiffany A.: Darkness in a Positive Light: Negative Theology in Caravaggio’s Conversion of Saint Paul. In: artibus et historiae 73 (2015), S. 285-298;
Schütze, Sebastian: Caravaggio. Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2009, S. 105-111;
LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 3. Juni 2024)
In Santa Maria del Popolo
(The Conversion of St. Paul)
Waiting for when the sun
an hour or less
Conveniently oblique makes visible
The painting on one wall of this recess
By Caravaggio, of the Roman School,
I see how shadow in the painting brims
With a real shadow, drowning all shapes out
But a dim horse’s haunch and various limbs,
Until the very subject is in doubt.
But evening gives the
act, beneath the horse
And one indifferent groom, I see him sprawl,
Foreshortened from the head, with hidden face,
Where he has fallen, Saul becoming Paul.
O wily painter, limiting the scene
From a cacophony of dusty forms
To the one convulsion, what is it you mean
In that wide gesture of the lifting arms?
No Ananias croons a
mystery yet,
Casting the pain out under name of sin.
The painter saw what was, an alternate
Candour and secrecy inside the skin.
He painted, elsewhere, that firm insolent
Young whore in Venus’ clothes, those pudgy cheats,
Those sharpers; and was strangled, as things went,
For money, by one such picked off the streets.
I turn, hardly
enlightened, from the chapel
To the dim interior of the church instead,
In which there kneel already several people,
Mostly old women: each head closeted
In tiny fists holds comfort as it can.
Their poor arms are too tired for more than this
– For the large gesture of solitary man,
Resisting, by embracing, nothingness.
Thom Gunn
(aus: Thom Gunn, Moly and My Sad Captains. Farrar, Straus & Giroux, New York 1973)
Donnerstag, 18. Oktober 2012
Der Pinselstrich zeigt die Persönlichkeit – Rembrandts Bildnis des Jan Six (1654)
Rembrandt: Bildnis des Jan Six (1654); Amsterdam, Six Collection (für die Großansicht einfach anklicken) |
Frans Hals: Willem Coymans (1645); Washington D.C., National Gallery of Art |
Rembrandt: Bildnis des Jan Six (1647); Radierung |
Raffael: Bildnis des Baldassare Castiglione (1514/15); Paris, Louvre |
Jan Six’ salopp getragene, vor allem aber praktische Kleidung zeigt ihn als Mann, für den weniger Status als vielmehr Geist und Kultur entscheidenden Stellenwert besitzen. Denn Jan Six war begeistert von Kunst und Literatur und richtete sein Leben so ein, dass sie eine bestimmende Rolle darin spielen konnten. Auch hier ähnelt er Castigliones Idealbild eines perfekten Höflings: ein Kunstliebhaber, der mehrere Sprachen spricht, hoch gebildet und sein Leben dem Studium widmend; zugleich ein Mann von Welt und auch ein Gentleman, ebenso aber auch ein guter Soldat und Reiter. Ein entscheidendes Element in Castigliones Beschreibung bildet die ausgewogene Balance zwischen dem geistigen und dem aktiven, dem inneren und dem äußeren Leben, der vita contemplativa und der vita activa.
Rembrandt: Aristoteles vor der Büste des Homer (1653); New York, Metropolitan Museum of Art |
Sonntag, 14. Oktober 2012
Eisiges Schweigen – Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“
Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer (1809/10); Berlin, Alte Nationalgalerie, restauriert von 2013-2015 (für die Großansicht einfach anklicken) |
In einem Brief von vermutlich 1810 oder Anfang 1811 erklärt Friedrich zu seinem „Seestük“ genannten Bild, im Vordergrund finde sich „ein öder sandiger Strand, dann, das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strandte geht Tiefsinnig ein Mann, im schwarzen Gewande; Möfen fliegen ängstlich schreient um ihn her, als wollten sie Ihm warnen, sich nicht auf ungestümmen Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest Du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermüthigen Dünkel, wennest [wähnst] du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträzlen der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahndung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt; endlich klahr zu wissen und zu Verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strandte; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spuhr wird nicht mehr gesehen: Thörigter Mensch voll eitlem Dünkel!“ (Zimmermann 2000, S. 213).
„Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume macht mich schaudern.“ Blaise Pascal |
Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald (1809/10); Berlin, Alte Nationalgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Literaturhinweise
Begemann, Christian: Brentano und Kleist vor Friedrichs Mönch am Meer. Aspekte eines Umbruchs in der Geschichte der Wahrnehmung. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 64 (1990), S. 89-145;
Börsch-Supan, Helmut: Bemerkungen zu Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“. In: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 19 (1965), S. 63-76;
Brinkmann, Bodo: Zu Heinrich von Kleists „Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft“. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 44 (1981), S. 181-187;
Burwick, Roswitha: Verschiedene Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft: Arnim, Brentano, Kleist. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 107 (1988), S. 33-44;
Illies, Florian: Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, S. 107-111;
Noll, Thomas: Die allegorische Landschaft bei Caspar David Friedrich. Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation. In: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 72 (2011), S. 281-296;
Scholl, Christian: Bildobjekt und Allegorie – Caspar David Friedrichs Selbstdeutungen zu „Mönch am Meer“, „Abtei im Eichwald“ und „Tetschener Altar“. In: Susanne H. Kolter u.a. (Hrsg.), Forschung 107. Kunstwissenschaftliche Studien Band 1. Herbert Utz Verlag, München 2004, S. 85-122;
Traeger, Jörg: Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich. In: Hamburger Kunsthalle (Hrsg.), Runge. Fragen und Antworten. Ein Symposion der Hamburger Kunsthalle, Prestel-Verlag, München 1979, S. 96-114;
Zimmermann, Jörg: Bilder des Erhabenen – Zur Akualität des Diskurses über Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“. In: Wolfgang Welsch/Christine Pries (Hrsg.), Ästhetik im Widerstreit. Interventionen zum Werk von Jean-François Lyotard. VCH, Weinheim 1991, S. 107-127;
(zuletzt bearbeitet am 14. März 2024)