Caspar David Friedrich: Winterlandschaft mit Kirche (1811, 33 x 45 cm); Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte |
Caspar David Friedrich: Winterlandschaft (1810, 33 x 46 cm); Schwerin, Staatliches Museum |
Auf dem Schweriner Gemälde steht ein
auf Krücken gestützter Wanderer inmitten von Baumstümpfen und bizarren, kahlen
Eichen. Er schaut in eine endlose Schneewüste hinaus. Der dunkelblaue, völlig
verschlossene Himmel bietet keinen einzigen Lichtpunkt. Die Natur ist ohne
einen Funken Leben, alles wirkt trostlos, nirgends zeigt sich ein Weg, der
begehbar wäre. Verloren und verzweifelt blickt der gebückte, einsame Greis in
eine Landschaft, die von Todessymbolen beherrscht wird. ,,Die Baumstümpfe rings umher sehen wir Grabsteine aus; daher wirkt die Szenerie wie ein Friedhof im Schnee“ (Zimmermann 2000, S. 210). Das ganze Bild ist in
seiner hoffnungslosen Düsternis Ausdruck für das endgültige und totale Nichts,
als das dem Menschen der Tod erscheinen muss, wenn er nicht an eine
Auferstehung glaubt.
Das Dortmunder
Gegenstück gibt nun die christliche Antwort darauf. Auch hier ist die
hügelige Landschaft schneebedeckt. Bis hierhin ist der Wanderer gekommen. Er hat seine
Krücken weggeworfen und sitzt, an einen Fels gelehnt, betend vor einem
Kruzifix, das inmitten einer Gruppe junger Tannen aufgerichtet ist. Ein rosig
schimmerndes Abendgewölk erhellt im Hintergrund die Umrisse eines fernen
gotischen Doms. Es ist kein realer Bau, er taucht vielmehr wie eine Vision aus
dem Nebel auf. In dieser Weise hat Friedrich später noch mehrmals gotische
Architektur dargestellt, so z. B. in dem Bild Vision der christlichen Kirche (1812), Kreuz und Kathedrale im Gebirge (1812) oder Die Kathedrale (um 1818). Caspar David Friedrich: Vision der christlichen Kirche (1812); Schweinfurt, Museum Georg Schäfer |
Caspar David Friedrich: Kreuz und Kathedrale im Gebirge (1812); Düsseldorf Museum Kunstpalast |
Caspar David Friedrich: Die Kathedrale (1818); Schweinfurt, Museum Georg Schäfer |
Die gotische Kirche ist ein Sinnbild des Heils. Sie
verheißt, dass über die dunkle Stunde des Todes hinaus eine himmlische Welt und
ewiges Leben auf den warten, der sich Christus anvertraut. Wer im Sterben auf
den Gekreuzigten blickt, der wird ihn als Tröster und Retter erleben. Um diesen
Zusammenhang noch augenfälliger zu machen, hat Friedrich die Umrisse der Tannen
und des schemenhaften Kirchenbaus einander angeglichen. Was der Felsblock und
die immergrünen Tannen bedeuten, wird verständlich, wenn wir uns an Friedrichs
eigene Deutung des Tetschener
Altars erinnern: Sie sind Symbole des Glaubens und der Hoffnung (siehe meinen Post „Der große Mittler“).
Karl-Friedrich Hoch sieht in den Krücken des Beters
einen Zeitbezug: Sie verweisen seiner Ansicht nach auf die Krüppel und
Versehrten der Napoleonischen Befreiungskriege, die die Menschen 1810/1811 wohl
zahlreich vor Augen hatten.
Caspar David Friedrich: Winterlandschaft mit Kirche (1811); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Eine 1987 von der National Gallery in London
ersteigerte weitere Version dieses Bildes verstärkt durch zusätzliche Symbole
die religiöse Botschaft der Naturdarstellung: Dort sind noch Grashalme zu
sehen, die durch die Schneedecke dringen – wie so oft auf den Bildern
Friedrichs ein Hinweis auf die Auferstehungshoffnung der Christen; außerdem führt
hier ein Torbogen als Sinnbild des Todes in die Tiefe des Hintergrunds.
Literaturhinweise
Börsch-Supan, Helmut: Zur Deutung der
Kunst Caspar David Friedrichs. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 27
(1986), S. 199-224;
Hoch, Karl-Friedrich: Zur Ikonographie
des Kreuzes bei C.D. Friedrich. In: Kurt Wettengl (Hrsg.), Caspar David
Friedrich – Winterlandschaften. Edition Braus, Heidelberg 1990, S. 71-74;
Neidhardt, Hans Joachim: Angst und
Glaube. Zur Bildstruktur und Deutung von C.D. Friedrichs Bildpaar
Winterlandschaft. In: Kurt Wettengl (Hrsg.), Caspar David Friedrich –
Winterlandschaften. Edition Braus, Heidelberg 1990, S. 67-70;
Zimmermann, Reinhard: Das Geheimnis des Grabes und der Zukunft. Caspar David Friedrichs »Gedanken« in den Bilderpaaren. In: Jahrbuch der Berliner Museen 42 (2000), S. 187-257.
Zimmermann, Reinhard: Das Geheimnis des Grabes und der Zukunft. Caspar David Friedrichs »Gedanken« in den Bilderpaaren. In: Jahrbuch der Berliner Museen 42 (2000), S. 187-257.
(zuletzt bearbeitet am 5. April 2024)
Eine neue Sicht auf die Kathedralen-Bilder Caspar David Friedrichs bietet das P-Book "Caspar David Friedrichs verborgene Landschaften. Die Neubrandenburger Kontexte" netzbasiert unter http://www.caspar-david-friedrich-240.de/
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