Albrecht Dürer: Christus in Gethsemane (1496/97); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Eines der frühesten Blätter aus Albrecht Dürers Großer Passion (1512 veröffentlicht; siehe meinen Post „Auftakt zur großen Passion“) zeigt Christus im Garten Gethsemane (Matthäus 26,36-46). In den hoch- und spätmittelalterlichen Passionsfolgen gehörte die in der Bibel ausführlich geschilderte Anfangsszene der Leidensgeschichte Jesu zum festen Darstellungskanon. Auch in Passionstraktaten und -meditationen des Spätmittelalters nimmt die Schilderung der Todesangst Jesu in der Nacht vor seiner Gefangennahme, Misshandlung, Verurteilung und Kreuzigung breiten Raum ein.
Welchen Moment der Gethsemane-Episode Dürer darstellt, lässt sich nicht mit Eindeutigkeit sagen: Wird vor allem die Furcht Jesu betont oder vielmehr seine Ergebenheit in den Willen und Heilsplan Gottes? Die Geste der erhobenen, nach außen gekehrten Hände könnte als Gebetshaltung gemeint sein, in der sich diese Ergebenheit körpersprachlich ausdrückt. (Dürer wird sie seitenverkehrt 1515 in einer Eisenradierung mit dem gleichen Thema wieder aufgreifen.) Oder zeigt uns Dürer einen vor seinem Schicksal erschaudernden Menschen, dessen banges Grausen in der schroffen, durchfurchten Felsgestalt hinter ihm dramatisch aufgegriffen und nachgezeichnet wird? Davon ist sehr eindringlich im Lukas-Evangelium die Rede: „Und er geriet in Todesangst und betete heftiger. Und sein Schweiß wurde wie Blutstropfen, die auf die Erde fielen“ (Lukas 22,43; LUT).
Albrecht Dürer: Christus in Gethsemane (1515); Eisenradierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Jesus ist durch einen Nimbus als Gottessohn ausgezeichnet (auf den folgenden Blättern der Großen Passion wird er ohne Heiligenschein gezeigt); von links oben schwebt ein Engel heran, um den Verzagenden zu stärken – in seiner linken Hand hält der himmlische Bote den sinnbildlich gemeinten „Kelch des Leidens“, auf den sich die bekannten Worte Jesu beziehen: „Mein Vater, ist’s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!“ (Matthäus 26,42; LUT).
Im Vordergrund des Blattes hat Dürer die drei Jünger angeordnet, die Jesus in den Garten Gethsemane begleitet haben. Die Köpfe von Petrus und Johannes bilden zusammen mit dem Haupt Christi eine Dreiecksform. Petrus hat sich an einen Steinwall gelehnt und ist erschöpft eingeschlafen; das Schwert zwischen seinen Beinen droht ihm aus der Hand zu rutschen. Sein zur Seite gewandtes Haupt mit dem leicht geöffneten Mund ist nach hinten gesunken und hat Halt an einem Felsblock gefunden. Die anderen beiden Jünger sind in ihrem sorgenvollen und doch gelösten Schlaf wie Petrus regelrecht verzahnt mit ihrer Umgebung geschildert. Ihre Gewänder verschmelzen mit der sie hinterfangenden Natur, so unmerklich sind die Übergänge vom Faltenwurf in die Felsstrukturen. Nur die Gesichter der beiden Zebedäus-Söhne (Matthäus 26,37) heben sich deutlich vom Felsen ab. Ein Grasbüschel wirkt auf den ersten Blick wie der Kopf eines dritten Jüngers. Jakobus ist an der Felskante kauernd eingenickt; unter diese geduckt stützt sich der jüngere Johannes auf einen Baumstumpf. Die Felsbrocken trennen die drei „wie ein Stein schlafenden“ Jünger von der Hauptszene im Mittelgrund.
Albrecht Dürer: Hieronymus in der Wüste (1497); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Albrecht Dürer: Beweinung Christi (1498/99); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der Garten Gethsemane hat sich um Christus zu einer „dramatischen Gesteinsbühne“ (Schneider 1997, S. 78) verdichtet. Der Engel erscheint ihm zwischen zwei hoch aufragenden Felsen, er selbst kniet auf einem Steinplateau; Jesu Gewand scheint fast mit der Scholle verwachsen zu sein. In der aufgetürmten Felslandschaft spiegelt sich, so viel lässt sich sicherlich sagen, der seelische Aufruhr des Gottessohns. Vegetation und Felsen ähneln der Landschaft in Dürers Kupferstich Hieronymus in der Wüste von 1497 (siehe meinen Post „Löwe mit Greis“). Ebenso wie auch in Dürers Beweinung Christi (um 1498/99 entstanden und Teil der Großen Passion) gehen solche Erdformationen auf seine Aquarellstudien in einem Steinbruch zurück. Das landschaftliche Umgebung in Dürers Gethsemane-Szene „greift die Kernmotive der figürlichen Darstellung nochmals auf und umschreibt sie in Formen der Natur“ (Schneider 1997, S. 78). Mit dem Eintauchen des Menschen in eine lebendige, bewegte Landschaft ist Dürers Holzschnitt Vorläufer und Vorbild für den von pantheistischem Naturgefühl durchdrungenen Stil der sogenannten „Donauschule“. Als deren wichtigste Vertreter gelten um 1500 Lucas Cranach d.Ä. (1472–1553), Jörg Breu d.Ä. (1475–1537) und Albrecht Altdorfer (1480–1538).
Albrecht Dürer: Gefangennahme Christi (1510), Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Im Hintergrund drängen hinter Judas mit dem Geldbeutel die lanzenbewehrten Häscher durch das Gartentor; hier deutet sich an, was auf dem nächsten Holzschnitt, der Gefangennahme Jesu (siehe meinen Post „Im Garten der Gewalt“) zu sehen sein wird. Auch das Schwert Petri und der Kelch des Engels, der in der Kreuzigungsdarstellung vierfach wiederkehrt, sind Vorausverweise, die dem Zusammenhalt der Bildfolge dienen.
Lucas Cranach d.Ä.: Christus in Gethsemane (1509); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
Albrecht Dürer: Christus in Gethsemane (1508); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Von Lucas Cranach d.Ä., dem neben Dürer wohl einflussreichsten Künstler des frühen 16. Jahrhunderts in Deutschland, kennen wir ebenfalls einen Holzschnitt mit der Gethsemane-Szene. Es ist das erste Blatt einer 14-teiligen Folge, die 1509 datiert wird. Komposition, Figuren und Landschaft orientieren sich bei Cranachs Holzschnitt erkennbar an Dürers Grafik von 1496/97. Die Gestalt Christi allerdings ist in ihrer Haltung wie dem zurückgesetzten linken Fuß und dem Faltenstau vor den Knien von dem 1508 entstandenen Blatt der Kupferstich-Passion Dürers übernommen. Allerdings hat Cranach die Figur modifiziert: Sie ist gestrafft und ganz auf die Schräge der Gewandfalte abgestimmt, die sich im emporgerissenen linken Arm bruchlos fortsetzt, während der rechte Arm perspektivisch stark verkürzt wird. Christus scheint angstvoll zurückzuschrecken vor dem Kreuz, dass einer von drei Engeln als Passionsankündigung mit sich führt: Die Diagonale seines Gewandes, die entgegen der Kopf- und Blickrichtung Jesu verläuft, unterstreicht dieses Zurückweichen. Darüber hinaus trennt sie ihn in ihrer Verlängerung von der Zone der schlafenden Jünger und betont so die Einsamkeit Jesu.
Literaturhinweise
Fröhlich, Anke: Christus am Ölberg. In: Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band II: Holzschnitte. Prestel Verlag, München 2002, S. 185-188;
Reuße, Felix: Albrecht Dürer und die europäische Druckgraphik. Die Schätze des Sammlers Ernst Riecker. Wienand Verlag, Köln 2002, S. 28;
Schneider, Erich (Hrsg.): Dürer – Die Kunst aus der Natur zu „reyssenn“. Welt, Natur und Raum in der Druckgraphik. Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen aus der Sammlung-Otto–Schäfer-II. Schweinfurt 1997, S. 78;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
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