Montag, 20. Mai 2013

Kunstvoller Weltuntergang – Albrecht Dürers „Apokalypse“ (Teil 4)


Albrecht Dürer: Der Engelkampf (1496/98); Holzschnitt
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Im Engelkampf (VII. Figur; Offb. 9,13-21) bläst rechts oben ein jugendlicher Engel in Brokat-Dalmatika die sechste Posaune. Hinter seinem himmlischen Altar hält Gott vier der todbringenden Instrumente bereits wieder in den Händen. Der Altar ist perspektivwidrig in die Fläche gedreht – so ließ sich, in Gestalt von vier Köpfen, die „Stimme aus den vier Ecken des goldenen Altars“ (Offb. 9,13; LUT) darstellen, die den Posaunenengel beauftragt, die Bande der am Euphrat gefesselten Engel zu lösen. Im Bildvordergrund sehen wir die entfesselten Euphratengel am Werk: Sie töten „den dritten Teil der Menschen“ (Offb. 9,15; LUT), indem sie mit Schwertern in vier verschiedene, diametral entgegengesetzte Richtungen ausfallen – ihre richtende Gewalt erstreckt sich über die ganze Erde.
Einer Der Euphratengel hält sein Richtschwert mit beiden Händen am Griff und schlägt auf einen gestürzten Ritter ein, ein zweiter packt eine schreiende Frau mit der Linken an den offenen Haaren, um seinen tödlichen Schlag sicher platzieren zu können. Ein weiterer drückt einen bärtigen Mann von sich, um ihn mit seinem Kurzschwert genau zu treffen. Der letzte der vier Engel schwingt seine Waffe gegen einen am Boden liegenden Papst mit der Tiara, der vor Angst erstarrt aufblickt. Alle werden gleicherweise von den unerbittlichen Würgeengeln niedergemacht. Gleichzeitig stürmt in der Ferne, entlang der Wolken unter dem Altar, Reiterei auf löwenköpfigen, feuerspeienden Pferden heran – ihre Zahl ist nach Offenbarung 9,16 „vieltausendmal tausend“ (LUT). Dass die Schweife der Rösser mit Stacheln bewehrt sind wie die Schwänze von Skorpionen, lässt sich auf Offenbarung 9,10 zurückführen.
Antonio Pollaiuolo: Kampf zehn nackter Männer (um 1470/75); Kupferstich
Andrea Mantegna: Kampf der Seekentauren (1494); Kuperstich
Der Engelkampf-Holzschnitt steht sicherlich in enger Verbindung zu den Kampfszenen der Renaissance-Künstler Andrea Mantegna (1431–1506) und Antonio Pollaiuolo (1432–1498), deren Grafiken Dürer auf seiner ersten Italienreise 1494/95 kennengelernt hatte.

13 Und der sechste Engel blies seine Posaune; und ich hörte eine Stimme aus den vier Ecken des goldenen Altars vor Gott; 14 die sprach zu dem sechsten Engel, der die Posaune hatte: Lass los die vier Engel, die gebunden sind an dem großen Strom Euphrat. 15 Und es wurden losgelassen die vier Engel, die bereit waren für die Stunde und den Tag und den Monat und das Jahr, zu töten den dritten Teil der Menschen. 16 Und die Zahl des reitenden Heeres war vieltausendmal tausend; ich hörte ihre Zahl. 17 Und so sah ich in dieser Erscheinung die Rosse und die darauf saßen: Sie hatten feuerrote und blaue und schwefelgelbe Panzer, und die Häupter der Rosse waren wie die Häupter der Löwen, und aus ihren Mäulern kam Feuer und Rauch und Schwefel. 18 Von diesen drei Plagen wurde getötet der dritte Teil der Menschen, von dem Feuer und Rauch und Schwefel, der aus ihren Mäulern kam. 19 Denn die Kraft der Rosse war in ihrem Maul und in ihren Schwänzen; denn ihre Schwänze waren den Schlangen gleich und hatten Häupter, und mit denen taten sie Schaden. 20 Und die übrigen Leute, die nicht getötet wurden von diesen Plagen, bekehrten sich doch nicht von den Werken ihrer Hände, dass sie nicht mehr anbeteten die bösen Geister und die goldenen, silbernen, ehernen, steinernen und hölzernen Götzen, die weder sehen noch hören noch gehen können, 2 1und sie bekehrten sich auch nicht von ihren Morden, ihrer Zauberei, ihrer Unzucht und ihrer Dieberei. (Offenbarung 9,13-21; LUT)
Albrecht Dürer: Der starke Engel (um 1498); Holzschnitt
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Die Darstellung des Starken Engels (VIII. Figur) bildet eine Art Wendepunkt in Dürers Holzschnittfolge: Nach dem Strafgericht rückt nun der Kampf Gottes gegen das Böse in den Vordergrund. Dürer hält sich jetzt enger als bisher an die Vorgabe des Textes. So zeigt der starke Engel, der Johannes befiehlt, das Buch zu verschlingen (Offb. 10,1-11), tatsächlich „Füße wie Feuersäulen“, von denen die eine auf dem Meer, die andere auf der Erde steht. Am oberen Ende bersten die Beinsäulen in züngelnden Flammen. Dürers „starker Engel verfügt weder über Flügel noch über einen Körper – damit unterscheidet er sich wesentlich von klassischen Engelsfiguren. 
Deutlich erkennbar ist die von rechts unten nach links oben führende Diagonale, die als Hauptachse den Holzschnitt dominiert. Aus den Wolken erscheint im Zentrum eines Strahlenkranzes das Gesicht des Engels; seine rechte Hand hat er zum Schwur erhoben. In der oberen linken Bildecke sind die geretteten Seelen vor dem Altar zu erkennen. Mit dem von oben heranschwebenden geflügelten Engel ist die „Stimme vom Himmel“ gemeint, die dem Evangelisten befiehlt: Geh hin, nimm das offene Büchlein aus der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht!“ (Offb. 10,8; LUT). Johannes sitzt am Waldrand und hat das Buch, das der starke Engel ihm mit der Linken reicht, mit beiden Händen ergriffen, neben ihm in der rechten unteren Bildecke liegen seine eigenen Aufzeichnungen und sein Schreibzeug. Er soll das Buch verschlingen, um auf diese Weise weitere Prophetien zu empfangen; dabei verändert das Buch seine materielle Konsistenz, „und aus Leder und Pergament wird eine Masse, die der Gier, mit der der Evangelist sie förmlich einsaugt, nicht mehr widersteht“ (Schauerte 2012, S. 91). Im nächsten Moment wird sich Johannes, nunmehr gesättigt mit dem Wort Gottes, sogleich wieder der Niederschrift seiner Apokalypse zuwenden.

1 Und ich sah einen andern starken Engel vom Himmel herabkommen, mit einer Wolke bekleidet, und der Regenbogen auf seinem Haupt und sein Antlitz wie die Sonne und seine Füße wie Feuersäulen. 2 Und er hatte in seiner Hand ein Büchlein, das war aufgetan. Und er setzte seinen rechten Fuß auf das Meer und den linken auf die Erde, 3 und er schrie mit großer Stimme, wie ein Löwe brüllt. Und als er schrie, erhoben die sieben Donner ihre Stimme. 4 Und als die sieben Donner geredet hatten, wollte ich es aufschreiben. Da hörte ich eine Stimme vom Himmel zu mir sagen: Versiegle, was die sieben Donner geredet haben, und schreib es nicht auf! 5 Und der Engel, den ich stehen sah auf dem Meer und auf der Erde, hob seine rechte Hand auf zum Himmel 6 und schwor bei dem, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit, der den Himmel geschaffen hat und was darin ist und die Erde und was darin ist und das Meer und was darin ist: Es soll hinfort keine Zeit mehr sein, 7 sondern in den Tagen, wenn der siebente Engel seine Stimme erheben und seine Posaune blasen wird, dann ist vollendet das Geheimnis Gottes, wie er es verkündigt hat seinen Knechten, den Propheten. 8 Und die Stimme, die ich vom Himmel gehört hatte, redete abermals mit mir und sprach: Geh hin, nimm das offene Büchlein aus der Hand des Engels, der auf dem Meer und auf der Erde steht! 9 Und ich ging hin zu dem Engel und sprach zu ihm: Gib mir das Büchlein! Und er sprach zu mir: Nimm und verschling’s! Und es wird dir bitter im Magen sein, aber in deinem Mund wird’s süß sein wie Honig. 10 Und ich nahm das Büchlein aus der Hand des Engels und verschlang’s. Und es war süß in meinem Mund wie Honig, und als ich’s gegessen hatte, war es mir bitter im Magen. 11 Und mir wurde gesagt: Du musst abermals weissagen von Völkern und Nationen und Sprachen und vielen Königen. (Offenbarung 10,1-11; LUT)
Albrecht Dürer: Sol iustitiae (1499); Kupferstich
In der Bibelexegese wird der Starke Engel oft mit Christus gleichgesetzt. In Dürers Holzschnitt klingt dieser Aspekt ebenfalls an. Indem er vom Haupt des himmlischen Boten Strahlen ausgehen lässt, illustriert er die Beschreibung „sein Antlitz wie die Sonne“ (Offb. 10,1); in seinem Kupferstich Sol iustitiae stellt Dürer eine Richtergestalt dar, die als Christus zu deuten ist und in ähnlicher Weise mit flammenden Augen dargestellt wird.

Die Literaturhinweise sind in Teil 7 aufgeführt.
(zuletzt bearbeitet am 3. April 2018)

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