Albrecht Dürer: Die vier Reiter (um 1497/98); Holzschnitt (für die lohnenswerte Großansicht einfach anklicken) |
Die oberen drei Reiter scheinen der himmlischen Sphäre anzugehören, nur der Tod und das ihm nachfolgende Höllenmaul sind Bestandteile des irdischen Bereichs. Die Menschen werden durch den Sturmwind zu Boden gerissen, den ihr Ritt entfacht, und nicht durch die Pferde niedergetrampelt. Es ist der Tod, der das Strafgericht zum Abschluss bringt. Der Bauer ganz rechts, der als Einziger unter den Opfern noch aufrecht steht, hat Blickkontakt mit ihm; dem Tod, nicht der heranstürmenden Reitergruppe, gilt seine abwehrende Gebärde.
Dürer zeigt die drei oberen Reiter in einer sich kontinuierlich entfaltenden Bewegung: Das Pferd des Waageträgers scheint im Absprung begriffen, das Reittier des Schwertträgers fliegt gerade voran, das Pferd des Bogenschützen befindet sich schon im Niedersprung. Die hintereinander und diagonal gestaffelten Reiter leiten den Blick des Betrachters nach rechts weiter, und zwar über das vom Rahmen begrenzte Bildfeld hinaus: Der Pfeil und die Stirn des obersten Pferdes werden bereits von der Einfassungslinie überschnitten. „Die dynamische Aktion reicht somit potentiell über den Bildrand hinaus“ (Krüger 1996, S. 31).
1
Und ich sah, dass das Lamm das erste der sieben Siegel auftat, und ich hörte
eine der vier Gestalten sagen wie mit einer Donnerstimme: Komm! 2 Und ich sah,
und siehe, ein weißes Pferd. Und der darauf saß, hatte einen Bogen, und ihm
wurde eine Krone gegeben, und er zog aus sieghaft und um zu siegen. 3 Und als
es das zweite Siegel auftat, hörte ich die zweite Gestalt sagen: Komm! 4 Und es
kam heraus ein zweites Pferd, das war feuerrot. Und dem, der darauf saß, wurde
Macht gegeben, den Frieden von der Erde zu nehmen, dass sie sich untereinander
umbrächten, und ihm wurde ein großes Schwert gegeben. 5 Und als es das dritte
Siegel auftat, hörte ich die dritte Gestalt sagen: Komm! Und ich sah, und
siehe, ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner
Hand. 6 Und ich hörte eine Stimme mitten unter den vier Gestalten sagen: Ein Maß
Weizen für einen Silbergroschen und drei Maß Gerste für einen Silbergroschen;
aber dem Öl und Wein tu keinen Schaden! 7 Und als es das vierte Siegel auftat,
hörte ich die Stimme der vierten Gestalt sagen: Komm! 8 Und ich sah, und siehe,
ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle
folgte ihm nach. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde,
zu töten mit Schwert und Hunger und Pest und durch die wilden Tiere auf Erden. (Offenbarung
6,1-8; LUT)
Albrecht Dürer: Die Eröffnung des fünften und des sechsten Siegels (um 1497/98); Holzschnitt (für die Großansicht einfach anklicken) |
In
der IV. Figur fasst Dürer zwei Ereignisse in einem Bild zusammen: Die im 6.
Kapitel der Offenbarung geschilderte Austeilung der Gewänder an die Märtyrer
unter dem Altar (Offb. 6,9-11; 5. Siegel) ist in der oberen Bildhälfte
dargestellt, in der unteren das auf die Öffnung des sechsten Siegels folgende
Herabfallen der Sterne (Offb. 6,12-17). Über den Wolken nehmen sich sechs Engel
fürsorglich der „Seelen unter dem Altar“ an und reichen ihnen weiße Gewänder. Zu
den Blutzeugen in der himmlischen Sphäre gehört auch ein Paar, das vor dem
Altar liegt und sich noch im Todeschlaf zu befinden scheint. Eine dritte,
kleinere Figur ist ihm zugeordnet. Bei dem Paar könnte es sich um Adam und Eva
handeln; die dritte Figur wäre dann Abel, mit dem die Reihe der Märtyrer anhebt
(1. Mose 4,10; Matthäus 23,35; Hebräer 11,4 und 12,24). Vom Rachegeschrei der
Märtyrer, von dem der Text spricht und als dessen unmittelbare Folge der
Sternenregen aufgefasst werden kann, ist in Dürers Holzschnitt nichts zu erkennen.
Unter
dieser Szene reißen die Wolken trichterförmig auseinander. Brennende Sterne
sprühen, wie aus einer Düse gepresst, auf eine Felsenlandschaft herab, in der
sich Menschen in Sicherheit zu bringen versuchen. Aus ihren Gesichtern spricht
panische Angst und blankes Entsetzen. Ein Papst mit der Tiara, ein Bischof mit
Mitra, ein Kardinal mit großem Hut auf dem Rücken und ein vor ihm liegender
Kaiser oder König versinken wie alle übrigen im Erdboden. Von einem versunkenen
Türken sieht man nur noch den Turban. Die Bildgestaltung ist einem Stundenglas
vergleichbar, die schmalste Stelle zwischen den beiden Welten lässt an den
mühevoll zu findenden Eingang ins Paradies denken.
Martin Schongauer: Salvator Mundi; Kupferstich |
Für
die Darstellung des Kindes in der linken unteren Ecke griff Dürer auf Martin
Schongauers Kupferstich mit dem Christuskind als Salvator Mundi zurück; seine
Mutter erinnert an die wehklagende alte Frau in Andrea Mantegnas Kupferstich Grablegung
Christi.
9
Und als es das fünfte Siegel auftat, sah ich unten am Altar die Seelen derer,
die umgebracht worden waren um des Wortes Gottes und um ihres Zeugnisses
willen. 10 Und sie schrien mit lauter Stimme: Herr, du Heiliger und
Wahrhaftiger, wie lange richtest du nicht und rächst nicht unser Blut an denen,
die auf der Erde wohnen? 11 Und ihnen wurde gegeben einem jeden ein weißes
Gewand, und ihnen wurde gesagt, dass sie ruhen müssten noch eine kleine Zeit,
bis vollzählig dazukämen ihre Mitknechte und Brüder, die auch noch getötet
werden sollten wie sie. 12 Und ich sah: Als es das sechste Siegel auftat, da
geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde finster wie ein schwarzer Sack,
und der ganze Mond wurde wie Blut, 13 und die Sterne des Himmels fielen auf die
Erde, wie ein Feigenbaum seine Feigen abwirft, wenn er von starkem Wind bewegt
wird. 14 Und der Himmel wich wie eine Schriftrolle, die zusammengerollt wird,
und alle Berge und Inseln wurden wegbewegt von ihrem Ort. 15 Und die Könige auf
Erden und die Großen und die Obersten und die Reichen und die Gewaltigen und
alle Sklaven und alle Freien verbargen sich in den Klüften und Felsen der Berge
16 und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallt über uns und verbergt uns vor
dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes! 17 Denn
es ist gekommen der große Tag ihres Zorns und wer kann bestehen?
(Offenbarung 6,9-17; LUT)
Die Literaturhinweise sind in Teil 7 aufgeführt.
P.S. Dietwald Doblies merkt in einer Mail an, dass der Waage-Reiter in der III. Figur sehr wohl über eine Pupille verfüge: Was man bei flüchtiger Betrachtung als „Auge“ deute, sei das in höchstem Grimm nach oben gezogene Unterlid. Das Auge befinde sich zum Schlitz verengt darüber, was sich jedoch auf einer kleinen Abbildung nicht mehr erkennen lasse. Und hier sei – bei entsprechender Vergrößerung sichtbar – auch ganz winzig eine Pupille eingezeichnet, die man leicht als Schattierung des Oberlides fehldeuten könne.
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