Peter Paul Rubens: Kreuzigung Petri (1637-39); Köln, St. Peter (für die Großansicht einfach anklicken) |
Kopfüber,
so berichtet die Legenda aurea, wollte Petrus gekreuzigt werden – weil er
sich nicht für würdig hielt, wie Christus zu sterben. Wir sehen den bis auf ein Lendentuch entblößten
Körper Petri, den fünf Schergen ans Kreuz zwängen. Rubens stellt den
qualvollsten Moment der Hinrichtung dar: Zwei muskulöse Henkersknechte stemmen
das zur Erde weisende Kreuz nach oben und richten es auf. Doch noch ist Petrus
nicht ans Kreuz geschlagen. Links ergreift ein dritter kräftiger Handlanger
seinen rechten Arm und drückt ihn auf den Querbalken. Ein vierter Schinder holt
mit dem Hammer aus, um einen weiteren Nagel nun in den linken Fuß zu schlagen.
Ein Offizier in zeitgenössischer Uniform ist ihm dabei behilflich. Die Knie des
greisen Apostels sind eingeknickt, Ober- und Unterkörper krümmen sich
gegeneinander. Himmlisches Licht lässt die Brust Petri aufleuchten, sein vom
Blut gerötetes Gesicht liegt halb im Schatten. Rechts oben am Himmel erscheint
ein Engel mit einem Lorbeerkranz und der Siegespalme als Lohn für den Märtyrer.
„Der vor dem Altar kniende Gläubige wußte, daß der Mund des Apostels sich nicht
wie jener des Laokoons oder des Marsyas zu einem Schmerzenssschrei öffnete,
sondern daß ihm Worte entströmten, wie man sie in den Legenden über sein
Martyrium liest: (...)
»Dies ist das Kreuz des Lebens, an
dem der Leib des Herrn und Erlöseres gekreuzigt wurde, so wie an ihm der Tod
gekreuzigt ist und die ganze Welt von den Fesseln des ewigen Todes befreit«“ (Sauerländer 2011, S. 234).
Rubens zeigt den sterbenden Apostel als von der Spannung zwischen physischer
Qual und Glaubensgewissheit erfüllte Gestalt. Zugleich inszeniert er ihn als ersten Stellvertreter Christi auf Erden, auf den das römische Papsttum seinen Führungsanspruch begründen wird – und zwar durch den rechts am unteren Bildrand liegenden roten Schulterkragen mit Hermelinbessatz (Mozetta) und das weiße Chorhemd, die der Betrachter als päpstliche Kleidungsstücke erkennt.
Guido Reni: Kreuzigung Petri (1604/05); Rom, Pinacoteca Vaticana |
Als
Anregung für Rubens’ Komposition ist zunächst das Altargemälde von Guido Reni
(1575–1642) zu nennen, das sich heute in der römischen Pinacoteca Vaticana
befindet (siehe meinen Post „Kopfüber in das Heil“). Sicherlich hat Rubens das Bild
bei seinem zweiten Romaufenthalt in den Jahren 1606-1608 genau studiert. Es
schmückte einen Altar in der Kirche San Paolo alle Tre Fontane, die auf der
angeblichen Hinrichtungsstätte des Apostels Paulus errichtet worden war. Das
Werk rief bei seinem Malerkollegen Caravaggio (1571–1610) großen Unmut hervor: Er warf Reni vor, ihn dreist zu
plagiieren. Denn Caravaggio hatte mit zwei spektakulären Fassungen der Kreuzigung Petri, die er 1600/01 für die Cerasi-Kapelle in Santa Maria del
Popolo schuf, großes Aufsehen erregt – Renis stilistische Anlehnungen an
Caravaggio sind nicht zu übersehen. Hans Ost weist als direktes Vorbild für
Rubens, dessen erster Romaufenthalt von 1600 bis 1604 währte, vor allem auf
Caravaggios erste Version seiner Kreuzigung Petri hin. Die ist zwar
verloren, aber durch eine Kopie in der St. Petersburger Eremitage überliefert.
Kopie nach Caravaggio: Kreuzigung Petri, erste Fassung für die Cerasi-Kapelle; St. Petersburg, Eremitage |
Am
8. Juli 1600 erwarb Tiberio Cerasi, päpstlicher Schatzmeister Clemens’ VIII.,
eine Familienkapelle in der römischen Kirche Santa Maria del Popolo. Am 24.
September beauftragte er Caravaggio, binnen acht Monaten zwei seitlich des
Kapellenaltars anzubringende Gemälde mit der Kreuzigung Petri und der Bekehrung
Pauli zu liefern (siehe meinen Post „Paulus am Boden“). Diese Erstfassungen wurden
abgelehnt, jedoch von dem als Kunstsammler bekannten Kardinal Sannesi übernommen. Caravaggio fertigte schließlich jene Zweitfassungen an, die sich
noch heute in der Kapelle befinden. Rubens habe, so vermutet Hans Ost, „die
erste Fassung von Caravaggios Petrus-Bild als ein zu frontaler Betrachtung und
zu einem Altarbild höchst geeignetes Muster angesehen“ (Ost 1994, S. 149).
Rubens’ Komposition sei gegenüber der Caravaggios sogar noch stärker auf
Frontalansicht und Bildsymmetrie angelegt, da er den Kreuzstamm nun fast gänzlich
in die Vertikale und in die Bildmitte rückt. So baut sich die Figurengruppe
beidseits der Mittelachse als große Pyramide auf.
Im
Unterschied zu dem gestreckten Körper bei Caravaggio und Reni hat Rubens bei seinem
Petrus das Herabfallen des Fleisches, die eingeknickten Beine und die sich
übereinander schiebenden Hautfalten in der Bauchpartie besonders betont. In seiner
naturalistischen Körperlichkeit ist dies „geradezu eine auf den Kopf gestellte
Variante zu dem aufrecht stehenden Sterbenden
Seneca, den Rubens um 1611 in Anlehnung an eine antike Statue als Sinnbild
stoischen Leidens gestaltet hatte“ (Ost 1994, S. 151).
Peter Paul Rubens: Der sterbende Seneca (1611); München, Alte Pinakothek |
Rubens schildert dabei
die physischen Folgen der Marter sehr detailliert: die Füße bläulich-grau, vom
Blut bereits entleert, den nach unten hängenden Kopf vom Blutandrang
geschwollen und dunkelrot. Caravaggio und Reni hatten dem Körper des Apostels
hingegen ein weitgehend gleichmäßig koloriertes Inkarnat gegeben.
Willibald Sauerländer
geht jedoch davon aus, dass die entscheidende Anregung für Rubens von
Michelangelos Fresko in der Cappella Paolina ausging (siehe meinen Post „Michelangelos letzte Fresken“). Michelangelo habe nämlich anders als Caravaggio und Reni den ans
Kreuz geschlagenen Petrus nicht als eine passiv der Folter ausgelieferte, sondern
als eine aktiv bewegte, ja sogar handelnde Gestalt dargestellt. Überdies zeige
ein triviales Detail – die Schaufel neben dem Kreuzesstamm –, dass Rubens
Michelangelos Fresko als Beispiel in seine Komposition einbezieht.
Michelangelo: Kreuzigung Petri (1546-1550); Rom, Cappella Paolina |
Das Pathos
seiner Petrus-Figur hat sich Rubens aber aus einer anderen Quelle geborgt, „indem
er das größte und mächtigste exemplum
der Leidensdarstellung aus der Kunst des heidnischen Altertums, den sterbenden
Laokoon, in die Figur des christlichen Märtyrers umgeschmolzen hat“
(Sauerländer 2011, S. 237). Wir kennen von Rubens mehrere Zeichnungen der Laokoon-Gruppe
in verschiedenen Ansichten, die während seiner Rom-Aufenthalte von ihm
angefertigt wurden.
Peter-Paul Rubens: Zeichnung der Laokoon-Gruppe |
1794
wurde Rubens’ Altarbild auf Befehl der französischen Besatzung in den Louvre
nach Paris gebracht; 1815 erfolgte die Rückgabe an St. Peter. 1941 wurde das Gemälde
erneut aus der Kirche entfernt: Man evakuierte es vor den Bombenangriffen
der Alliierten. 1961 kehrte es in die wieder aufgebaute Kirche zurück. Seit 2004
hängt die Kreuzigung Petri an der Stirnwand des südlichen Seitenschiffs.
Blick in die Kölner Kirche St. Peter mit der Kreuzigung Petri an der Stirnwand des südlichen Seitenschiffs |
Literaturhinweise
Büttner, Nils: Die Kreuzigung Petri im Kontext von Leben und Werk des Malers Rubens. In: Anna Pawlik/Marc Peez (Hrsg.), Die Kreuzigung Petri von Rubens/The Crucifixion of Saint Peter by Rubens. Deutscher Kunstverlag, Berlin/München 2022, S. 55-71;
Ost, Hans: Peter Paul
Rubens’ „Kreuzigung Petri“ in der Peterskirche zu Köln. In:
Wallraf-Richartz-Jahrbuch 55 (1994), S. 139-158;
Sauerländer, Willibald:
Der katholische Rubens. Heilige und Märtyrer. Verlag C.H. Beck, München 2011,
S. 224-237.
(zuletzt bearbeitet am 25. Juli 2022)
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