Caspar David Friedrich: Junotempel in Agrigent (um 1830); Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte (für die Großansicht einfach anklicken) |
Am Horizont steht die untergehende Sonne und taucht das verfallene Bauwerk in mildes, rötlich-violettes Abendlicht – eine Naturstimmung, wie wir sie von einem romantischen Landschaftsmaler erwarten, dafür ist Friedrich bekannt und bis heute beliebt. Sein Bild wirkt auf den ersten Blick, als habe er lediglich wiedergegeben, was er vielleicht bei einem Besuch auf der Halbinsel gesehen und erlebt hat. Doch Friedrich hat Sizilien nie besucht, ist überhaupt zu keiner Zeit in Italien gewesen. Der weit gereiste oder entsprechend bewanderte Betrachter erkennt auf dem Gemälde einfach das berühmte Bauwerk – ein Denkmal, das von der einstigen politischen Größe und kulturellen Blüte einer früheren Epoche kündet. Um 1800 hatte der Klassizismus neu begonnen, die kulturellen Leistungen der Antike wiederzuentdecken und nachzuahmen.
Steht heute immer noch: der Junotempel, von 460 bis 450 v.Chr. erbaut |
Bei dem von Friedrich perspektivisch verkürzten Tempel handelt es sich um einen dorischen Peripteros mit 6 x 13 Säulen, der sich auf einem vierstufigen Unterbau erhebt. Die Karthager brannten diesen der Hera geweihten Tempel ca. 406 v.Chr. nieder, die Römer setzten ihn im ersten Jahrhundert v.Chr. wieder instand. Die Säulen des später zerstörten Bauwerks wurden bereits im 18. Jahrhundert erneut aufgerichtet. Der heutige Zustand des Tempels entspricht in etwa dem, was Friedrich auf seinem Ölbild wiedergibt.
Es lohnt sich auch bei dieser Komposition, etwas genauer hinzusehen und sich zu bemühen, die Botschaft dieses ,,nordischen Malers“ zu entschlüsseln. Bei Friedrich hat in der Regel jede Einzelheit, die im Bild erscheint, eine Bedeutung, auch wenn sie nicht sogleich ins Auge springt. Das gilt nicht nur für die abgebildete Natur oder die jeweilige Tages- und Jahreszeit, sondern ebenso für den Zustand von Architektur. Was also sehen wir? Einen verfallenen Tempel in menschenleerer Landschaft, Kult- und Opferstätte einer heidnischen Religion, verwitterte Überreste einer längst erloschenen Vergangenheit. Die karge Vegetation auf der bebauten Anhöhe wirkt kraftlos, mit Mühe hält sich eine einsame Baumgruppe auf dem Hügel.
Die Aussage des Bildes verkehrt sich bei genauerer Betrachtung ins Gegenteil: Alles vom Menschen Gemachte vergeht, und sei es noch so großartig. Nicht Bewunderung für die Baukunst und Kultur der Antike will das Bild vermitteln – der Junotempel steht vielmehr für eine untergegangene, vom Christentum überwundene Welt. In der hereinbrechenden Dunkelheit geht der Mond auf, das Licht in der Nacht. Er ist ein Symbol für Christus, mit dem ein neues Zeitalter anbricht. Sein Heil strahlt hinein in irdische Vergänglichkeit. Christus allein, darauf soll uns auch das mondbeglänzte Meer im Hintergrund hinweisen, wird ewig bleiben – und jeder, der sich ihm im Glauben anvertraut.
Literaturhinweise
Börsch-Supan, Helmut: Caspar David Friedrichs Gemälde „Der Junotempel von Agrigent“. Zur Bedeutung der italienischen und der nordischen Landschaft bei Friedrich. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 12 (1971), S. 205-216;
Börsch-Supan, Helmut: Zur Deutung der Kunst Caspar David Friedrichs. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 27 (1986), S. 199-224;
Fährmann, Daniela: Die Vorlage für Caspar David Friedrichs Gemälde
»Der Junotempel von Agrigent«. In: Kunstchronik 2005, Heft 1, S. 166-168.
(zuletzt bearbeitet am 6. April 2024)
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