Rembrandt: Selbstbildnis als Apostel Paulus (1661); Amsterdam, Rijksmuseum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt hat sich im Verlauf seiner
Karriere vielfach in „Rollenporträts“ selbst dargestellt; sein erstes
unstrittiges Selbstbildnis im Kostüm einer historischen Persönlichkeit und sein
einziges als biblische Gestalt ist das Selbstbildnis
als Apostel Paulus von 1661. Der Griff des Schwertes, der aus dem Mantel
des Apostels ragt, spielt darauf an, dass er den antiken Märtyrerakten zufolge
bei den Christenverfolgungen unter Kaiser Nero enthauptet wurde. Die Waffe
verweist aber ebenso auf das Wort Gottes, das Paulus in seinem Epheserbrief als
das „Schwert des Geistes“ bezeichnet (Epheser 6,17; LUT). Das halb aufgerollte Manuskript,
dass der Apostel in den Händen hält, ist ein weiteres traditionelles
Paulus-Attribut. Links oben auf der vorderen Seite sind hebräisch anmutende
Zeichen zu erkennen. Dem Blick des Betrachters dargeboten, soll das Manuskript
wahrscheinlich einen der Briefe darstellen, die der Apostel während seiner
Gefangenschaft in Rom schrieb. Das Gefängnis wird durch das vergitterte Fenster
im Hintergrund oben rechts angedeutet.
Paulus wurde insgesamt vier Mal
eingekerkert, worauf er sich wiederholt in seinen Briefen bezieht, manchmal
metaphorisch, indem er sich als „der Gefangene Christi Jesu“ bezeichnet (Epheser 3,1;
LUT). Auch das Licht, das von links oben einfällt, gewinnt in diesem
Zusammenhang symbolische Bedeutung – gemeint ist die göttliche Erleuchtung, die
in den Paulusbriefen mehrmals thematisiert wird: „Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis
hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem
Angesicht Jesu Christi“ (2. Korinther 4,6; LUT).
Das intensiv beleuchtete Haupt des
Apostels erinnert darüber hinaus an die Bekehrung des ehemaligen
Christenverfolgers, der sich auf der Straße nach Damaskus „vom Saulus zum Paulus“
wandelte: „Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam,
umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und
hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?“
(Apostelgeschichte 9,3-4; LUT). Die Kopfbedeckung ist nicht
das Malerbarett, das wir aus anderen Rembrandt-Selbstbildnissen kennen, sondern
eine Art Turban, der wohl auf den Vorderen Orient zur biblischen Zeit verweisen
soll. Rembrandt hat hier die dicke Farbe in verschiedenen Tönen mit kräftigen
Strichen übereinandergesetzt, um zu zeigen, wie sich der gewickelte Stoff über
die Stirn spannt.
Rembrandt: Petrus und Paulus im Gespräch (1628); Melbourne, National Gallery of Victoria (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rembrandt hat Paulus im Verlauf seiner
Karriere mehrmals dargestellt. In einem seiner frühesten Gemälde, Petrus und Paulus im Gespräch, sind die
beiden wichtigsten Apostel im Studierzimmer wiedergegeben, vielleicht in der
Diskussion über die Geltung des jüdischen Gesetzes für die junge christliche Gemeinde
begriffen (Apostelgeschichte 15,4-21). Auf einem weiteren Frühwerk sehen wir
einen in sich gekehrten Paulus im Gefängnis, der im Schreiben innehält. Dass er
in Gedanken versunken ist, machen die hochgezogenen Augenbrauen und die gerunzelte
Stirn deutlich – durchaus vergleichbar mit dem Gesichtsausdruck auf dem
Amsterdamer Selbstporträt.
Rembrandt: Paulus im Gefängnis (1627); Stuttgart, Staatsgalerie (für die Großansicht einfach anklicken) |
Christian Tümpel versteht Rembrandts
Selbstbildnis als persönliches Bekenntnis: Wenn er sich in seinem späten Bild
als Apostel Paulus darstellt, erkenne er damit an, wie unvollkommen sein Leben
geblieben und wie sehr er auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sei. Als Mittelpunkt
der paulinischen Verkündigung gilt, dass der Mensch ganz aus Gnade von Gott
angenommen und „allein durch den Glauben“ gerecht wird (Römer 3,28; LUT). Wenn
Rembrandt in die Rolle des Paulus schlüpft, dann liegt nahe, dass er sich mit dessen
Theologie identifiziert und ihn als Glaubensvorbild betrachtet. Und dieser Rembrandt-Paulus
ruft gleichzeitig auch den Betrachter auf, es ihm gleichzutun: „Folgt meinem
Beispiel wie ich dem Beispiel Christi!“ (1. Korinther 11,1; LUT). Erinnert sei hier
auch an Rembrandts Kreuzaufrichtung
in der Münchner Alten Pinakothek, die auch ein Selbstbildnis bzw. Rollenporträt
des Künstlers enthält: Rembrandt stellt
sich als einen der Schergen dar und bekennt sich auf diese Weise zu seiner
Mitschuld am Leiden und Tod Christi. Auch auf diesem Gemälde geht es neben dem
persönlichen Bekenntnis darum, dass sich der Betrachter Rembrandt „anschließt“,
sich in ihm wiedererkennt.
Rembrandt: Kreuzaufrichtung (1633); München, Alte Pinakothek (für die Großansicht einfch anklicken) |
Dass sich Rembrandt mit Paulus
identifiziert, hängt möglicherweise nicht nur mit seinen religiösen Überzeugungen
zusammen. Der Amsterdamer Meister hat im Lauf seines Lebens sehr häufig
biblische Themen aufgegriffen und könnte sich, so die These von H. Perry
Chapman, wie Paulus als Verkünder des christlichen Glaubens gesehen haben. Belegt
ist das nicht, aber sicherlich wurde Paulus in den damaligen protestantischen
Kreisen als zentrale Gestalt des Urchristentums betrachtet. Das dürfte ohne
Frage auch Rembrandt so gesehen haben.
Literaturhinweise
Chapman, H. Perry:
Rembrandt’s Self-Portraits. A Study in Seventeenth-Century Identity. Princeton
University Press, Princeton 1990, S. 126;
Schama, Simon: Rembrandts Augen. Siedler Verlag, Berlin 2000, S. 657-658;
Tümpel, Christian:
Rembrandt mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Taschenbuch Verlag,
Reinbek bei Hamburg 1977, S. 125;LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 16. März 2024)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen