Caravaggio: Judith und Holofernes (1598/99); Rom, Galleria Nazionale d’Arte Antica (für die Großansicht einfach anklicken) |
Giorgione: Judith mit dem Haupt des Holofernes (um 1504); St. Petersburg, Eremitage |
Lucas Cranach d.Ä.: Judith mit dem Haupt des Holofernes (um 1530); Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister |
Tintoretto: Judith und Holofernes (1577); Madrid, Museo del Prado |
Das Gemälde ist geradezu in zwei Hälften geteilt. Die linke Seite des Holofernes wird beherrscht vom Aufruhr und vom blutigen Rot. Das unruhige Spiel von Licht und Schatten auf dem Körper des Feldherrn setzt sich auf dem Vorhang hinter ihm fort: Durch die Drapierung wechseln sich hier tief dunkle und leuchtend rote Zonen ab. Die rechte Bildseite mit den beiden Frauen ist dagegen sehr viel gleichmäßiger ausgeleuchtet, besonders die Gestalt der Judith. Es sind ihre parallel geführten Arme, die beide Bildhälften miteinander verbinden.
Mit dem ausgestrecktem linken Arm hält Judith den Kopf des Holofernes am Haupthaar fest, während sie mit der anderen Hand das Schwert führt. Psychologisch genau beobachtet ist die Mischung aus Entschiedenheit und Ekel, die sich in ihren Zügen spiegelt. Vor allem die steile Falte zwischen den Augenbrauen markiert dabei sowohl körperliche Anstrengung und Konzentration wie auch Abscheu vor der eigenen Tat. Judiths Körper ist leicht nach hinten gebogen, um gleichsam auf Abstand zu ihrem Opfer zu bleiben.
Caravaggios Heldin führt mit dem Schwert keinen kräftigen Hieb aus, sondern tranchiert den Kopf geradezu, als handele es sich um einen Quarkkäse. Das ist nun alles andere als realistisch. Anatomisch betrachtet, wird Judith mit ihrem gestreckten rechten Arm wohl kaum die Wirbelsäule des Holofernes durchtrennen können, zumal sie als Schneidewerkzeug ein flach geschliffenes, altertümliches Türkenschwert benutzt, also eine klassische Hieb- und Stichwaffe. Allerdings gelingt es Caravaggio auf diese Weise, die ansonsten sekundenschnelle Enthauptung zu verlangsamen; der Zuschauer kann alles genau beobachten.
Ebenso unrealistisch wie das mühelose Durchtrennen des Halses ist der dekorative und geordnete Blutschwall. An der Halsschlagader wird keine Blutfontäne in die Höhe gepumpt, wie man es erwarten würde, einzig ein mehrstrahliges, opakes Rinnsal fließt in geraden Bahnen über Kopfkissen und Laken der Erde entgegen. Die hervorquellenden Augen und der aufgerissene Mund des Heerführers zeugen derweil eher von jähem Schrecken als von einem dramatischen Todeskampf. Holofernes stirbt, ohne vielleicht recht zu wissen, wie ihm geschieht. Mit der rechten Hand stützt er sich ab, um den muskulösen Oberkörper aufzurichten; sein Unterleib bleibt von einem anthrazitfarbenen Tuch bedeckt.
Der ungerührte Blick der Dienerin wiederum scheint sich über das, was sich hier gerade ereignet, nicht im mindesten zu wundern. „Wer zuerst auf die Bildmitte mit dem noch halb lebenden, schreienden Holofernes blickt und dann über Judiths Arme nach links zur Hauptakteurin schweift, wird am rechten Bildrand von diesem funkelnden Blick wieder zum Ausgangspunkt zurückgeworfen, in einer Endlosschleife wiederholten Betrachtens, die kein Entrinnen zulässt“ (Ebert-Schifferer 2015, S. 47). In den Händen hält die Alte den Sack, der für das Haupt des Holofernes vorgesehen ist. Ansonsten erinnert Caravaggios Magd an die betagten Kupplerinnen, die auf den erotischen Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts oft in der Zuschauerrolle abgebildet sind. Die Bibel allerdings berichtet nichts von einem großen Altersunterschied zwischen Judith und ihrer Magd.
Gerrit van Honthorst: Bei der Kupplerin (1625); Utrecht, Centraal Museum |
Caravaggio ist immer wieder für seinen „Naturalismus“ gerühmt worden – mit Recht. Aber auch er greift, wie so viele Künstler vor und nach ihm, auf antike Vorbilder zurück bzw. spielt auf sie an: So verweisen die Mimik – der geöffnete, bärtige Mund und die gefurchte Stirn – , der muskulöse Oberkörper, die geballte Linke und die angewinkelten Arme wie überhaupt die verrenkte Pose des Holofernes auf die Skulptur des Laokoon (siehe meinen Post „Das ultimative antike Meisterwerk“). In Caravaggios Gemälde ist die Statue lediglich um neunzig Grad gedreht. „Der Sterbende blickt nun nicht verzweifelt in den Himmel, wo sein Schicksal besiegelt worden ist, sondern rücklings in das Antlitz seiner realen Mörderin“ (Oberli 2001, S. 155). Judith wiederum folgt dem Typus einer antiken Amazone, und die Magd, die eigentlich nach der biblischen Erzählung vor dem Zelt zu warten hätte, erinnert an eine römisch-republikanische Porträtbüste einer alten Frau. Sybille Ebert-Schifferer sieht in der Dienerin eine Auseinandersetzung Caravaggios mit einer berühmten antiken Skuptur, und zwar der Trunkenen Alten (siehe meinen Post „Der Trost der Trauben“). Dabei überblende der Maler die hellenistische Figur mit einem auf Leonardo zurückgehenden Typus, der in zahlreichen Zeichnungen von ihm und seinen Schülern überliefert ist.
Indem Caravaggio die Magd mit ihrem runzligen Gesicht und dem zahnlosen Mund unmittelbar neben das jugendlich schöne Antlitz der Judith setzt, schafft er außerdem einen reizvollen Kontrast, wie ihn die Kunstheorie der Zeit als contrapposto empfahl.
Kopf des Laokoon; Rom, Vatikanische Museen |
Verwundete Amazone; Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptotek |
Trunkene Alte; München, Glyptothek (röm. Kopie nach hellenistischem Original aus dem späten 3. Jh. v.Chr.) |
Die Schleife des Perlenohrrings wird von der Hemdschleife an der Achsel wiederholt, um Judiths Blickrichtung zu unterstützen |
Raffael: Der Erzengel Michael besiegt Luzifer (1518); Paris, Louvre |
Das blanke Entsetzen im Augenblick des Todes |
Caravaggio: Medusa (zweite Fassung von 1597/98); Florenz, Uffizien |
Caravaggio: David mit dem Haupt Goliaths (1605); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Caravaggio: Salome (1607); London, National Gallery |
Adam Elsheimer: Die Enthauptung des Holofernes (1601/03); London, The Wellington Museum (für die Großansicht einfach anklicken) |
Peter Paul Rubens: Judith tötet Holofernes (1601); Kupferstich von Cornelis Galle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Rubens’ Bildlösung weicht nicht nur durch die geflügelten Himmelswesen von Caravaggios Darstellung ab; bei ihm stehen die Figuren gedrängter beieinander, das Opfer gestikuliert heftiger, und diesmal spritzen drei Blutfontänen aus der durchtrennten Schlagader in die Höhe und beflecken den Arm der Attentäterin. Von oben trifft Judith ein Strom göttlichen Lichts, der ihr die Kraft verleiht, ihre Tat auszuführen, während der mittlere Putto mit einer ausholenden Geste anzeigt, dass ihr Vorhaben am besten mit einem kraftvollen Hieb gelingen wird. Die attraktive Witwe ist bei diesem blutigen Geschäft die Ruhe selbst – sie handelt völlig unbeirrt im Bewusstsein ihres göttliches Aufrags zum Wohl des Vaterlandes.
Peter Paul Rubens: Judith mit dem Haupt des Holofernes (um 1617); Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum |
Artemisia Gentileschi: Judith und Holofernes (1612/13); Neapel, Museo di Capodimonte (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die Magd zwingt Holofernes unter Einsatz ihres Körpergewichts auf die Bettstatt nieder, während Judith seinen verrenkten Kopf nach unten presst. Sein Blick wirkt schon gebrochen; in dem verschatteten Gesicht zeichnet sich bereits Agonie ab, während sich der hell beleuchtete Körper noch einmal aufbäumt – „wie bei einem enthaupteten Huhn, das kopflos weiterläuft“ (Tauber 2017). Holofernes’ Position im Bild, mit angewinkelten Beinen auf dem Rücken liegend, erinnert dabei an das Gemälde von Elsheimer. Auf Caravaggio wiederum verweist besonders die Armhaltung der Judith und ihre Stirnfalte sowie der Abschluss des Bildes durch einen nicht näher bestimmten braunen Hintergrund. Während bei Caravaggio der linke Arm Judiths am Haarschopf des Holofernes zieht, drückt er bei Artemisia den Kopf auf das Bett; in beiden Bildern beugt bzw. streckt sich Judith von Holofernes weg, doch bei Aertemisia tut sie dies, um mit größerer Kraft den Hals durchtrennen zu können. Caravaggios Judith steht neben dem Bett; auf Artemisias Gemälde stützt Judith ein Knie auf das Bett – sie rückt Holofernes um einiges näher zu Leibe.
Artemisia Gentileschi: Judith und Holofernes (1620; Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Auf der Version von 1620, allem Anschein nach für die Kunstsammlungen Cosimo II. de’ Medicis entstanden, fügt Artemisia noch heftige Blutfontänen hinzu, die aus der Halswunde sprudeln. Das Blut spritzt auf Judiths nackte Arme, ihr nunmehr goldfarbenes Kleid und auf ihren Busen. „Durch diese wenn auch noch recht geringe Besudelung mit dem Blut des Opfers wird ein wichtiges Berührungstabu gebrochen“ (Lang 2001, S. 92). Zugleich ist es gegenüber Caravaggios Bild sehr viel realitätsnäher, dass Judith sich bei diesem grässlichen Mord beschmutzen muss. Artemisia erweitert in dieser zweiten Fassung außerdem noch Bildraum über den Figuren. Eine leichte Korrektur der Position und Form des Schwertes, das hier zudem länger und mächtiger ist, lässt die Waffe stärker als in der ersten Version zu einer Verlängerung der Hand Abras werden. Die Form erinnert nun deutlich an ein lateinisches Kreuz, das in der Bildmitte platziert ist. „Mit dieser Reminiszenz wird von Gentileschi nicht die um 1600 so prominente Verknüpfung von Judith und Maria, sondern die typologische Parallele des Erlösungswerks Christi und der Tat Judiths aufgerufen“ (Uppenkamp 2004, S. 167).
Valentin de Boulogne: Judith enthauptet Holofernes (um 1626); La Valletta, Museo Nazionale |
Jusepe de Ribera: Apoll schindet Marsyas (1637); Nepael, Museo Nazionale di San Martino |
Caravaggio: Judith und Holofernes (Datierung unsicher); Privatbesitz |
Calvesi, Maurizio: Le realtà del Caravaggio. Einaudi, Turin 1990;
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009;
Ebert-Schifferer, Sybille: Alt, aber nicht trunken. Zur Rezeption der Trunkenen Alten bei Caravaggio. In: Maren Heun u.a. (Hrsg.), Kosmos Antike. Zur Rezeption und Transformation antiker Ideen in der Kunst. VDG, Weimar 2015, S. 41-50;
Gorsen, Peter: Venus oder Judith? Zur Heroisierung des Weiblichkeitsbildes bei Lucas Cranach und Artemisia Gentileschi. In: artibus & historiae 1 (1980), S. 69-81;
Held, Jutta: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2007 (zweite Auflage);
Kermani, Navid: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum. Verlag C.H. Beck, München 2015, S. 112-117;
Kobelt-Groch, Marion: Judith macht Geschichte. Zur Rezeption einer mythischen Gestalt vom 16. bis 19. Jahrhundert. Wilhelm Fink Verlag, München 2005;
Lang, Walther K.: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2001;
Oberli, Matthias: Caravaggios »Judit und Holofernes« – Voraussetzungen und Wirkung von Enthauptungsszenen in der barocken Kunst. In: Georges-Bloch-Jahrbuch 8 (2001), S. 147-169;
Petermeier, Astrid: Artemisia Gentileschi & Michelangelo Merisi da Caravaggio: Judith enthauptet Holofernes. In: Gerlinde Volland (Hrsg.), Einsprüche. Multidisziplinäre Beiträge zur Frauenforschung. Projekt Verlag, Dortmund 1992, S. 5-29;
Tauber, Christine: Judith, mach deinen Abschnitt. Racheakt des Opfers? Rationale Tat der Heldin – und der Malerin: Das vermeintliche Trauma der Artemisia Gentileschi als Exempel feministischer Fehldeutung. In: F.A.Z. , 23.08.2017, Nr. 195, S. N3;
Uppenkamp, Bettina: Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barock. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2004, S. 55-72;
EÜ = Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 19. März 2023)
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009;
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Tauber, Christine: Judith, mach deinen Abschnitt. Racheakt des Opfers? Rationale Tat der Heldin – und der Malerin: Das vermeintliche Trauma der Artemisia Gentileschi als Exempel feministischer Fehldeutung. In: F.A.Z. , 23.08.2017, Nr. 195, S. N3;
Uppenkamp, Bettina: Judith und Holofernes in der italienischen Malerei des Barock. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2004, S. 55-72;
EÜ = Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 19. März 2023)