 |
Baccio Bandinelli: Orpheus (um 1518-1520); Florenz, Palazzo Medici-Riccardi |
Ebenfalls um einen selbstbewussten Paragone mit der berühmten antiken Skulptur ging es dem italienischen Bildhauer Antonio Canova (1757–1822), als er 1800/1801 seinen Perseus schuf. Der Apoll vom Belvedere war von den Franzosen nach dem Vertrag von Tolentino im Februar 1797 konfisziert worden; man hatte ihn zusammen mit dem Laokoon, dem Antinous, dem Torso vom Belvedere, acht Bildern Raffaels und vielen anderen Gemälden nach Paris abtransportiert und dort im „Musée Napoléon“ ausgestellt. Papst Pius VII. erwarb Canovas Perseus und ließ ihn in der Nische des Apoll vom Belvedere aufstellen, um den Verlust des Originals zu kompensieren. 1815 schließlich kehrte der Apoll vom Belvedere zusammen mit den anderen Kunstschätzen aus Paris nach Rom zurück.
 |
Antonio Canova (1800/01): Perseus; Rom, Vatikanische Museen |
Vom Apoll vom Belvedere hat Canova für seinen Perseus die Kopfhaltung, den ausgestreckten linken und den gesenkten rechten Arm übernommen; die Oberkörper der beiden Skulpturen sind nahezu identisch durchgebildet. In der linken Hand hält Canovas Held das Haupt der Medusa, abgeschlagen mit dem Schwert in seiner Rechten; auf dem Kopf trägt er die von Pluto gestiftete geflügelte Tarnkappe. Unterschiedlich ist jedoch die Beinstellung: Beim Apoll vom Belvedere ist das rechte das Standbein und das linke zurückgesetzt, der Perseus dagegen tritt mit dem linken Bein nach vorne und zieht das rechte nach.
 |
Bertel Thorvaldsen: Jason (1828 vollendet); Kopenhagen, Thorvaldsens Museum |
Im Auftrag der polnischen Gräfin Waleria Tarnowska meißelte Canova von 1804 bis 1806 dann nochmals eine kleinere Wiederholung des Perseus, die sich heute im New Yorker Metropolitan Museum befindet. Doch der Perseus blieb nicht die einzige klassizistische Statue, die am Apoll von Belvedere Maß nahm: Der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844) schuf mit seinem Jason eine ebenbürtige Marmorskulptur, die um 1803 begonnen, aber erst 1828 vollendet wurde.
Materialien
1. Beschreibung von Johann
Joachim Winckelmann
Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der
Kunst unter allen Werken des Altertums, welche der Zerstörung derselben
entgangen sind. Der Künstler hat dieses Werk gänzlich auf das Ideal gebaut, und
er hat nur ebenso viel von der Materie dazu genommen, als nötig war, seine
Absicht auszuführen und sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrifft alle
andern Bilder desselben so weit, als der Apollo des Homerus den, welchen die
folgenden Dichter schildern.
Über die Menschheit erhaben ist seine Gestalt,
und seine Stellung zeugt von der ihn erfüllenden Größe. Ein ewiger Frühling,
wie in dem glücklichen Elysium, bekleidet die reizende Männlichkeit
vollkommener Jahre mit gefälliger Jugend und spielt mit sanften Zärtlichkeiten
auf dem stolzen Gebäu seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich
unkörperlicher Schönheiten und versuche ein Schöpfer einer himmlischen Natur zu
werden, um den Geist mit Schönheiten, die sich über die Natur erheben, zu erfüllen:
denn hier ist nichts Sterbliches, noch was die menschliche Dürftigkeit
erfordert. Keine Adern noch Sehnen erhitzen und erregen diesen Körper, sondern
ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat gleichsam
die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllt.
Er hat den Python, gegen den er zuerst seinen
Bogen gebrauchte, verfolgt, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreicht und
erlegt. Von der Höhe seiner Genügsamkeit geht sein erhabener Blick, wie ins
Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Verachtung thront auf seinen Lippen,
und der Unmut, welchen er in sich zieht, bläht sich in den Nüstern seiner Nase
und tritt bis in die stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer
seligen Stille auf derselben schwebt, bleibt ungestört, und sein Auge ist voll
Süßigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen suchen. In allen uns übrigen
Bildern des Vaters der Götter, welche die Kunst verehrt, nähert er sich nicht
der Größe, in der er sich dem Verstande des göttlichen Dichters offenbarte, wie
hier in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten der übrigen
Götter treten hier wie bei der Pandora in Gemeinschaft zusammen.
Eine Stirn des Jupiter, die mit der Göttin der
Weisheit schwanger ist, und Augenbrauen, die durch ihr Winken ihren Willen
erklären: Augen der Königin der Göttinnen groß gewölbt und ein Mund, der dem
geliebten Branchus die Wollüste eingeflößt. Sein weiches Haar spielt, wie die
zarten und flüssigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften
Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es scheint gesalbt mit dem Öl der
Götter und von den Grazien mit holder Pracht auf seinem Scheitel gebunden.
Ich
vergesse alles andere über dem Anblicke dieses Wunderwerkes der Kunst, und ich
nehme selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würde anzuschauen. Mit Verehrung
scheint sich meine Brust zu erweitern und zu heben wie diejenige, die ich wie
vom Geiste der Weissagung aufgeschwellt sehe, und ich fühle mich weggerückt
nach Delos und in die lycischen Haine, Orte, die Apollo mit seiner Gegenwart
beehrte: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des
Pygmalion Schönheit. Wie ist es möglich, es zu malen und zu beschreiben. Die
Kunst selbst müßte mir raten und die Hand leiten, die ersten Züge, welche ich
hier entworfen habe, künftig auszuführen. Ich lege den Begriff, welchen ich von
diesem Bilde gegeben habe, zu dessen Füßen, wie die Kränze derjenigen, die das
Haupt der Gottheiten, welche sie krönen wollten, nicht erreichen konnten.
(aus: Geschichte der Kunst des Altertums, 1764)
2. Beschreibung von Wilhelm Heinse
So wie dieser Jüngling [gemeint ist die Statue
des Antinous, ebenfalls im Cortile
del Belvedere aufgestellt] am mehrsten an die Menschheit grenzt, so ist
hingegen Apollo ganz Gott, und es herrscht eine Erhabenheit durchaus, besonders
aber im Kopfe, die niederblitzt; göttliche Schönheit in allem von dem nachlässig
sanft gewundnen Haare bis zu den schlanken behenden Schenkeln und Beinen, ihre
geistige Blüte, nicht die irdische Fülle. Stand und Blick, und Lippen voll
Verachtung geben seine Hoheit zu erkennen. Die Augen sind selig, leicht
aufzutun und zu schließen, in weiten Bogen. Sein kurzer schlank und zart
geformter Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz besondern Art
von Wesen und gibt ihm Übermenschliches.
Ein erstaunliches Werk von Erfindung und
Phantasie! Das Problem ist aufgelöst: da steht ein Gott, aus der Unsichtbarkeit
hergeholt und in weichem Marmor festgehalten für die Melancholischen, die ihr
Leben lang nach einem solchen Blicke schmachteten. Es ist der höchste Verstand
und die höchste Klugheit mit Zornfeuer und Übermacht gegen Verächtliches;
darauf zweckt alle Bildung. Was Apollo hat, ist ihm eigen und läßt sich wenig
durch Nachahmen übertragen.
Auch dessen Altertum hat man angetastet und ihn
zwar für keine Kopie, doch für ein Werk aus der Kaiser Zeiten halten wollen;
weil der Marmor karrarischer zu sein schien, welcher kurz vor dem Plinius
entdeckt wurde, und kein parischer, woraus die Griechen ihre mehrsten Bildsäulen
verfertigten.
Wenn man dieses beweisen könnte, so wär es wohl
ausgemacht wahr; allein daran fehlt viel. Der parische ist nicht durchaus
gleich, und man hat sichre neuere Proben kommen lassen, die von dem Marmor des
Apollo im Korn nicht unterschieden sind. Und ferner gibt es so zarten
karrarischen, daß er mit dem besten parischen übereinkömmt. Und wo ist der übergroße
Marmorkenner, der von irgendeinem Stücke sagen will, gerade woher es sei, da
dieser Stein in jedem Klima zu finden ist? Apollo hat nicht das gelbliche Alter
des Laokoon und andrer griechischen Bildsäulen; vielleicht weil er nicht der
Witterung so ausgesetzt war. Er ist augenscheinlich für einen bestimmten Platz
gemacht, und das Bild tut nur Wirkung, wenn man es von der linken Seite im gehörigen
Standpunkt betrachtet; von der rechten steht er da gerade wie ein Seiltänzer,
so gespannt, und sein Kopf sitzt offenbar auf der rechten Schulter, viel zu
weit von der Mitte. Wenn man denselben von seiner Richtung zurechtdrehte, so wär
es abscheulich. Aber von der linken Seite betrachtet, wohin er schaut, ist es
homerischer Apollogang; man sieht ihn fortschreiten, sieht das Gesicht ganz,
und der Kopf kömmt in die Mitte. Ein wahrer Gott des Lichts dann und der Musen!
Man darf sich ihm nicht viel nähern; er kann keinen Flecken leiden, und man müßte
bei ihm immer haarscharf gescheit sein und vernünftig sich aufführen: so
erhaben ist er über die Menschheit.
Wenn man dies einmal gefaßt und seine Schönheit
im ganzen genossen hat, so mag man sich hernach doch an ihm herumdrehen, wie
man will, und er bleibt ein erstaunlich Werk von Vollkommenheit. Er ist zwar
lauter Ideal, nichtsdestoweniger hat der Kopf Natur, die man gesehen hat,
welches der Ausdruck noch verstärkt. Ein außerordentlicher Jüngling gab gewiß
den Stoff dazu her, und der Künstler brachte das Höchste und Äußerste von
lebendiger Einheit hinein.
Einige stolze Erdensöhne können dies bewunderte
und schier noch angebetete Bild nicht ohne Verdruß und Widerwillen betrachten;
und behaupten: ihr Gefühl empöre sich allezeit, sooft sie sich das Gesicht als
griechisch denken wollten. Der Kopf des Perikles und auch des Alexander habe
schon im bloßen Porträt viel göttlichre Art von Erhabenheit; Apollo sei dagegen
eher hager und ärgerlich im ganzen, und es wittre daraus etwas von einem römischen
Kaiserprinzen, etwas Neronisches, das nicht auf eigner natürlicher Kraft
beruhte; und dies wäre für sie ein andrer Beweis als der von Marmor.
So verschieden sind die Meinungen der Menschen!
Gegen solche Atheisten will ich nicht predigen;
ihr eigen Mißvergnügen sei ihnen Strafe, und der Neid an andrer Freude.
Gewiß ist, daß das Bild verliert, weil es kein
vollkommen Ganzes ausmacht und man nicht weiß, worüber der Gott zürnt. Hätt er
zu einer Gruppe der Niobe gehört, wie er denn in einer erhobnen Arbeit davon in
Person auf der einen Seite und seine Schwester Diana auf der andern ihre Pfeile
abdrücken, so würden die Unzufriednen mit ihm desto mehr Mitleiden mit der unglücklichen
reizenden Familie haben. Doch ist eher wahrscheinlich, daß dem Meister der
Apollo des Leontinischen Pythagoras vorschwebte, welcher den Pythischen Drachen
erlegte. Und beiden war ohne Zweifel der Homerische, von den Gipfeln des Olymp
herunter, das Urbild.
(aus: Ardinghello und die glücklichen Inseln, 1787)
Literaturhinweise
Himmelmann, Nikolaus: Apoll vom Belvedere. In: Matthias Winner u. a. (Hrsg.), Il Cortile
delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Verlag Philipp von
Zabern, Mainz 1998, S. 211-225;
Hintzen-Bohlen, Brigitte: Zum Apollon vom
Belvedere. »Delphisches« in Pergamon? In: Bazon Brock/Achim Preiß (Hrsg.),
Ikonographia. Anleitung zum Lesen von Bildern. Kilinkhardt & Biermann
Verlagsbuchhandlung, München 1990, S. 11-26;
Rebel, Ernst: Albrecht Dürer. Maler und Humanist. C. Bertelsmann Verlag, München 1996;
Roettgen, Steffi: Begegnungen mit Apollo. Zur
Rezeptionsgeschichte des Apollo vom Belvedere im 18. Jahrhundert. In:
In: Matthias Winner u.a. (Hrsg.), Il Cortile delle Statue. Der
Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Verlag Philip von Zabern, Mainz
1998, S. 253-274;
Vetter, Andreas
W.: Zeichen göttlichen Wesens. Überlegungen zum Apollon vom
Belvedere. In: Archäologischer Anzeiger 1995, S. 451-456;
Winner, Matthias: Zum Apoll vom Belvedere. In: Jahrbuch der Berliner Museen 10 (1968), S. 181-199;
Winner, Matthias: Paragone mit dem Belvederischen Apoll. Kleine Wirkungsgeschichte der Statue von Antico bis Canova. In: Matthias Winner u.a. (Hrsg.), Il Cortile delle Statue. Der Statuenhof des Belvedere im Vatikan. Verlag Philip von Zabern, Mainz 1998, S. 227-252.
(zuletzt bearbeitet am 19. November 2016)