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Rembrandt: Der Triumph des Mordechai (um 1641); Kaltnadelradierung (für die Großansicht einfach anklicken) |
Das alttestamentliche Buch Esther
erzählt vom Schicksal der Juden in ihrem persischen Exil im 5. Jahrhundert vor
Christus. Eine der Episoden aus diesem biblischen Buch hat Rembrandt
(1606–1669), angeregt durch ein Gemälde seines Lehrers Pieter Lastman
(1583–1633), auf seiner Kaltnadelradierung Der
Triumph des Mordechai (um 1641) wiedergegeben. König Ahasveros nimmt den
Juden Mordechai in seine Dienste, nachdem dieser ein Mordkomplett
gegen ihn aufgedeckt und ihm damit das Leben gerettet hat. Als Ahasveros eine neue
Frau sucht, fällt seine Wahl auf die verwaiste Esther, Mordechais Pflegetochter,
die den König nicht wissen lässt, dass sie Jüdin ist.
Haman, der mächtige erste Minister am
Hof, ist ein erbitterter Feind der Juden und erwirkt den königlichen Erlass,
Mordechais Landsleute auszurotten. Als er sich in der Gunst des Königspaares
wähnt, begibt er sich zum König und will dessen Erlaubnis einholen, Mordechai
hinrichten zu dürfen, da er ihm die Huldigung verweigert. Doch bevor Haman sein
Anliegen vortragen kann, erinnert sich der König daran, dass Mordechai ihm
einst das Leben rettete, und stellt seinem Minister die Frage, wie man einen verdienstvollen
Mann am besten ehrt. Haman vermutet, dass der König ihn selbst ehren möchte,
und schlägt vor, einen solchen Mann in ein königliches Gewand zu kleiden, auf
ein königliches Pferd zu setzen und vom vornehmsten Fürsten am Hof durch die
Straßen der Stadt führen zu lassen. Als er dann erfährt, das Mordechai geehrt werden
soll, ist er bitter enttäuscht, insbesondere, weil er diesen nun selbst durch
die Stadt geleiten soll.
Hoheitlich gewandet mit Hermelin und hohem
Hut, ausgestattet mit kostbarer Kette und Zepter sitzt Mordechai auf Rembrandts
Grafik hoch zu Ross, überwölbt vom Torbogen des Palasthofes. Eine Menschenmenge
umringt den Reiter; einige Menschen knien demütig nieder, andere erweisen ihm
durch tiefe Verbeugung die Ehre. Vor dem berittenen Mordechai steht Haman; er
wendet sich mit pathetischem Gestus an die Menge und muss die Worte rufen, die
er selbst vorgeschlagen hat: „So geschieht dem Mann, den der König Ehre
erweisen will“ (Esther 6,11; LUT). Über den Pfeiler hinter Haman und den
Torbogen lenkt Rembrandt den Blick des Betrachters auf den König und Esther,
die das Ereignis von der Balustrade aus verfolgen. Den gleichen Effekt hat die Diagonale, die, unten links mit der Degenscheide des Knienden beginnend, sich über die erhobene linke Hand Hamans und deren Schattenbahn fortsetzt und von dem markanten Speer im Hintergrund weitergeführt wird – bis hin zu dem Schatten, den das Haupt des Königs auf die Säule zu seiner rechten Seite wirft. „Der Kniende und der König sind also kompositorisch auf eine Linie gebracht, und die Huldigung der Befehlsgewalt ist anschaulich“ (Suthor 2014, S. 72).
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Lucas van Leyden: Der Triumph des Mordechai (1515); Kupferstich |
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Pieter Lastman: Der Triumph des Mordechai (1624); Amsterdam, Museum Het Rembrandthuis |
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Tintoretto: Das Markuswunder (1547/48); Venedig, Accademia (für die Großansicht einfach anklicken) |
Bei Rembrandt ist Mordechais Blick sinnend nach innen gekehrt. „A figure of equanimity and modesty, Esther’s uncle appears to be unaffected by the adoring figures that crowd rather frenetically about him“ (Perlove 1993, S. 40). Er weiß zwar, mit welch falscher Zunge der Feind seines Volkes
hier spricht und wie gedemütigt er sich zugleich fühlen muss. Aber Mordechai
kann in diesem Moment noch nicht absehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln
werden. Auf Hamans weiteres Schicksal, der bald darauf seinen eigenen Intrigen
zum Opfer fallen wird, verweist allerdings die Anwesenheit von Esther und
Ahasveros, die dem Triumphzug zuschauen, obwohl dies der Bibeltext nicht
erwähnt: Als Esther dem König Hamans Feindschaft gegenüber den Juden offenbart,
verurteilt er ihn zum Tod – der König lässt ihn an jenem Mast aufhängen, den
Haman für Mordechai vorgesehen hatte (Esther 7,10). Rembrandt fügt das Königspaar als Zeugen hinzu, um auf diese Weise die szenisch vorgeführte Erniedrigung des einstigen Günstlings zu verstärken. Mordechais Kopf befindet sich fast auf gleicher Höhe mit denen von Ahasver und Esther – er bleibt auf der Höhe der Macht, auch wenn sich Hamann in den Vordergrund zu drängen sucht. Zwanzig Jahre später, um 1660, hat Rembrandt auf einem Gemälde mit einem großfigurigen Hamann nochmals sehr eindringlich den Moment dargestellt, in dem dieser seine Niederlage und sein weiteres Schicksal erkennt.
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Rembrandt: Hamann erkennt sein Schicksal (um 1660); St. Petersburg, Eremitage |
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Rembrandt: Die Nachtwache (1642); Amsterdam Rijksmuseum |
Die übliche Datierung des Blattes um
1641 rückt die Grafik in die Nähe von Rembrandts berühmter Nachtwache, mit der die Komposition einiges gemeinsam hat: ein figurenreicher Aufzug, dessen
beide Hauptakteure aus dem Bild nach vorn dringen und durch viel Licht zur Geltung
gebracht werden. Auch das Verhältnis der Figurengruppen zu der sie umfangenden
Architektur und zum ganzen Bildformat sind ähnlich.
Das Buch Esther war bei den
niederländischen Künstlern des 16. und 17. Jahrhunderts sehr beliebt – ließ
sich die alttestamentliche Geschichte doch auf die eigene politische Situation
beziehen. Die niederländischen Protestanten sahen in den im persischen Reich verfolgten
Juden eine Parallele zu sich selbst als religiöse Minderheit in einer
feindlichen katholischen Umgebung. So wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch
eine Reihe von politischen Theaterstücken veröffentlicht, in denen der Schurke
Haman für den katholischen Herzog von Alba (1507–1582) steht, während der Gute,
Mordechai, den Retter des Vaterlandes darstellt, nämlich Wilhelm von Oranien
(1533–1584). Rembrandts
Kupferstich „anticipates victory over the »papist idolaters« of Spain, whose
defeat, suggested by Mordecai’s triumph over Haman, assures the perpetuity of
the United Provinces as the New Jerusalem – a place of political and religious
freedom, especially to the Dutch Jews“ (Perlove 1993, S. 59/60).
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Rembrandt: Die Taufe des Kämmerers (um 1641); Radierung |
Literaturhinweise
Forssman, Erik: Rembrandts
Radierung „Der Triumph des Mardochai“. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 39 (1976), S. 297-311;
Kayser, Florian: Der Triumphzug
des Mordechai. In: Jürgen
Müller und Jan-David Mentzel (Hrsg.), Rembrandt. Von der Macht und Ohnmacht des
Leibes. 100 Radierungen. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2017, S. 200;
Perlove, Shelley: An Irenic Vision of
Utopia: Rembrandt’s Triumph of Mordecai
and the New Jerusalem. In: Zeitschrift für Kunstgeschichte 56 (1993); S. 38-60;
Schröder, Klaus Albrecht/Bisanz-Prakken, Marian (Hrsg.):
Rembrandt. Edition Minerva, Wolfratshausen 2004, S. 296-299;
Sevcik, Anja K. (Hrsg.): Inside
Rembrandt 1606 – 1669. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 190-192;
Sitt, Martina (Hrsg.): Pieter Lastman – In
Rembrandts Schatten? Hirmer Verlag, München 2006, S. 124-127;
Suthor, Nicola: Rembrandts Rauheit. Eine phänomenologische
Untersuchung. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2014, S. 69-74;
Tümpel, Christian (Hrsg.): Im
Lichte Rembrandts. Das Alte Testament im Goldenen Zeitalter der
niederländischen Kunst. Westfälisches Landesmuseum, Münster 1994, S. 106-110;
von Berswordt-Wallrabe, Kornelia (Hrsg.): Rembrandt fecit. 165 Rembrandt-Radierungen aus der Sammlung des Staatlichen Museums Schwerin. St. Gertrude GmbH, Hamburg 1995, S. 42;
LUT = Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 15. September 2025)
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