Samstag, 29. März 2014

Denkmäler auf Papier – Albrecht Dürers Kupferstich-Bildnisse


Albrecht Dürer: Albrecht von Brandenburg (1519); Kupferstich
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Albrecht Dürer (1471–1528) hat in den Jahren 1519 bis 1526 insgesamt sechs Kupferstich-Bildnisse angefertigt. Das erste aus dem Jahr 1519 zeigt den Kardinal Albrecht von Brandenburg (14901545). Im Dreiviertelprofil dargestellt, blickt er hoheitsvoll nach rechts. Gezeigt werden Kopf und Oberkörper; die Distanz zum Betrachter lässt seine charakteristischen Gesichtszüge etwas in den Hintergrund treten. Eine fast horizontale Kompositionslinie verbindet Knopfleiste, Nasenrücken und den Kamm des Biretts. Hinter dem noch jungen, etwas dicklichen Kardinal ist ein Vorhang zu sehen, der das Bild in zwei Bereiche teilt. Den Raum über dem Vorhang hat Dürer genutzt, um eine Inschrift und ein aufwendig gestaltetes Wappen unterzubringen. Hinter dem kompliziert aufgebauten Wappenschild erkennt man einen Bischofsstab sowie zwei Kreuzstäbe und darüber einen Kardinalshut. Rechts davon informiert uns eine ausführliche, mit vielen Kürzeln geschriebene lateinische Inschrift über die Person und die Ämter des Dargestellten: Albrecht von Brandenburg war Kardinalpriester der römischen Kirche des hl. Chrysogonus, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Kurfürst und Primas Germaniae sowie Administrator des Bistums Halberstadt. Eine weitere, als Hexameter abgefasste Inschrift befindet sich unter dem Bildnis und lautet sinngemäß übersetzt: „So zeigte jener Augen, Wangen und Antlitz in seinem 29. Lebensjahr.“ Außerdem wird die Jahreszahl 1519 angegeben. Zu erwähnen bleibt noch die Signatur Dürers, sein Monogramm auf dem Vorhang, im Schatten des Kardinals.
Das Honorar von zweihundert Goldgulden, das Dürer als Lohn für dieses Kupferstich-Porträt erhielt, war exorbitant hoch. Dürers Grafik kostete Kardinal Albrecht genausoviel wie ein großes Altarwerk. Die Summe entsprach zwei der Jahresgehälter, die Kaiser Maximilian Dürer seit 1515 auf Lebenszeit zukommen ließ. Zum Vergleich: Dreißig Gulden Jahresgehalt bot der Rat der Stadt Basel 1532 Hans Holbein d.J., wenn er aus England zurückkommen würde.
Albrecht Dürer: Albrecht von Brandenburg („Großer Kardinal“, 1523); Kupferstich
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Vier Jahre später entstand eine weitere Fassung des Kupferstichs. Sie war gegenüber der ersten zunächst einmal erheblich größer: 174 x 120 statt 148 x 97 mm. Zur Unterscheidung bezeichnet man das zweite Bildnis deshalb als den „Großen Kardinal“. Auch sonst nahm Dürer zwei wesentliche Veränderungen vor: Er wählte einen anderen Bildausschnitt, trat näher an den Porträtierten heran und konnte ihn so größer darstellen. Außerdem dreht er ihn nach rechts; der „Große Kardinal“ ist im strengen Profil wiedergegeben. Die Vorzeichnungen für die beiden Kupferstich-Porträts entstanden bei Treffen auf dem Augsburger (1518) und auf dem Nürnberger Reichstag (1522/23). Dürer hat außerdem auf den Vorhang verzichtet und einen monochromen Hintergrund gewählt, der durch Parallelschraffuren unterschiedlicher Helligkeit gestaltet ist. Rechts oben ist Albrechts vereinfachtes Wappen angebracht.
Die beiden Inschriften sind vertauscht: Über dem Bildnis ist eine Leiste mit der Datierung 1523 und dem Satz „So zeigte jener Augen, Wangen und Antlitz in seinem 32. Lebensjahr“ platziert. Unter dem Porträtierten befindet sich eine zweite Leiste, auf der die Inschrift mit Name und Ämtern steht. Es ist die gleiche wie beim „Kleinen Kardinal“; es fehlt jedoch ein Hinweis auf das Amt eines Kardinals von St. Petri in Vincoli, das Albrecht seit 1521 bekleidete. Die untere Inschrift hat Dürer als dreidimensional geformte Platte gestaltet, mit einem schmalen, vorspringenden Rand und einer räumlich tiefer liegenden Schriftfläche. Wie der Hintergrund erinnert auch diese Platte an Stein als Material.
Thomas Schauerte erkennt einige künstlerische Schwächen in diesem Kupferstich Dürers, von dem der Künstler seinem Auftraggeber 500 Abdrucke übersandte. So weiche etwa dort, wo man auf dem Profilbildnis die linke Schulter erwarte, der Stoff des Gewandes konkav zurück. „Wenig befriedigend schwebt auch das Vollwappen, dessen Symmetrie durch den rechten Bildrand beschnitten wird, in drangvoller Enge vor der Nase des Kardinals“ (Schauerte 2003, S. 95).
Lucas Cranach: Martin Luther als Augustinermönch (1520); Kupferstich
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Für die päpstliche Genehmigung, zwei Bistümern zugleich vorstehen zu dürfen, hatte Albrecht von Brandenburg eine hohe Bestechungssumme bezahlen müssen. Den Kredit, den er dafür aufgenommen hatte, tilgte er durch den Handel mit Ablassbriefen, also kirchlichen Bescheinigungen, die den Gläubigen gegen Geld eine Verkürzung des Fegefeuers oder die Vergebung der Sünden versprachen. Gegen diesen Ablasshandel formulierte Martin Luther seine Thesen von 1517, von denen die Reformation ihren Ausgang nahm. Die Auseinandersetzung zwischen Luther und Kardinal Albrecht war giftig und polemisch. Dabei wurden neben dem gedruckten Wort idealisierte Porträts zur Mobilisierung der jeweiligen Anhängerschaft wichtig. Mit zwei von Lucas Cranach (14721553) gestochenen Luther-Bildnissen – zuerst 1520 als asketisch-bedürfnisloser Augustinermönch, dann im Jahr darauf als gelehrter Doktor – lagen Ikonen der reformatorischen Bewegung vor. Vor allem das Profilporträt Luthers von 1521 mit seiner lateinischen Unterschrift („Dieses Bildnis der sterblichen Gestalt Luthers ist des Lucas Werk, das Ewige seines Geistes prägt er selbst“) peilte als Zielgruppe die Humanisten an. Es war Ziel des Reformators, möglichst viele von ihnen zur neuen Lehre zu bekehren. Kardinal Albrechts Profilbildnis von 1523 kann als Antwort auf Cranachs Luther-Porträt verstanden werden.
Lucas Cranach: Martin Luther mit Doktorhut (1520); Kupferstich
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1524, also ein Jahr später, fertigt Dürer ein drittes Kupferstich-Bildnis an, und zwar von Kurfürst Friedrich dem Weisen (14631525), Dürers erstem hochstehenden Gönner und wichtigsten Förderer. Das Blatt ist etwas größer als der „Große Kardinal“ (188 x 122 mm) und präsentiert den etwas über 60-jährigen, für seine Leibesfülle bekannten sächsischen Landesherrn im Dreiviertelprofil nach links blickend. Er trägt eine voluminöse Kopfbedeckung, eine pelzverbrämte Schaube und darunter ein plissiertes Hemd. Dürer hat sehr viel Mühe darauf verwandt, die unterschiedlichen Materialien, aber auch die Haut, die Haare und den charakteristisch zweigeteilt gekräuselten Vollbart seines Auftraggebers herauszuarbeiten. Er ist dabei noch etwas näher an den Porträtierten herangetreten, dessen massige Büste fast das ganze Bildfeld ausfüllt. Der Hintergrund ist wiederum als monochrome, recht dunkle Steinplatte charakerisiert. Am oberen Rand sind die beiden sächsischen Wappen zu sehen. Attribute der weltlichen Herrschermacht Friedrichs des Weisen fehlen. Die Inschriftenplatte unter dem Bildnis ist eindeutig vor dem Kurfürsten angebracht und das gesamte Blatt außerdem von einer schmalen Leiste umgeben; der Dargestellte befindet sich in einem dreidimensionalen Raum zwischen der Inschriftenplatte und der Rückwand.
Albrecht Dürer: Friedrich der Weise (1524); Kupferstich
Die Inschrift beginnt mit einer Invocatio: „Christus geweiht!“ Es folgt in kleinerer Schrift ein Lob auf den zutiefst religiösen Kurfürsten, ein in römischer Capitalis geschriebenes Distichon, das sich wohl auf seine Rolle beim Kampf um die Einführung der Reformation und der Bibelübersetzung Martin Luthers bezieht: „Er förderte das Wort Gottes in großer Frömmigkeit und ist daher würdig, in aller Zukunft verehrt zu werden.“ Anfangs ein Anhänger des Reliquienkults, fand Friedrich der Weise über Martin Luther und Philipp Melanchthon zur neuen evangelischen Bewegung, deren Schirmherr er wurde. Für den Reichstag in Worms 1521 erwirkte er als kluger Vermittler, dass man Martin Luther freies Geleit gewährte; anschließend brachte er den Reformator auf der Wartburg in Sicherheit.
Des Weiteren nennen größere und dann kleinere Buchstaben schließlich den Empfänger und Absender der Inschrift: „Dem Herrn Friedrich, Herzog von Sachsen, des Heiligen Römischen Reiches Erzmarschall, Kurfürst, schuf es Albrecht Dürer aus Nürnberg.“ Dass es sich bei diesem Kupferstich nicht um einen Auftrag des Fürsten handelt, zeigt der Dativ, mit dem Dürer Friedrich das Bildnis – als einziges seiner Porträts überhaupt – widmet. Das Kürzel BMFVV lässt sich B[ENE] M[ERENTI] F[ECIT] V[IVUS] V[IVO] auflösen („Dem Hochverdienten schuf er es als Lebender dem Lebenden“). Die Jahreszahl 1524 bildet den Abschluss. Dass Dürer die Darstellung sowohl mit Monogramm als auch mit Namen und der Nürnberger Herkunft signierte, ist sicherlich als Zeugnis der Wertschätzung gegenüber einem seiner wichtigsten Auftraggeber zu verstehen.
Auf die beiden Angehörigen des Hochadels folgen nun drei Humanisten, die Größe der Blätter nimmt zunächst einmal erheblich ab, auf Wappen und aufwendige Titulaturen wird verzichtet. „Lassen die drei Inschriften eine hoheitsvolle Distanz erkennen, wird jetzt freundschaftliche Nähe zwischen Dürer und den Dargestellten zum Ausdruck gebracht“ (Schmid 1999, S. 230). Zudem rückt Dürers Monogramm von der Rückwand auf die Inschriftentafel vor und wird hier zum festen Bestandteil des Textes.
Albrecht Dürer: Willbald Pirckheimer (1524); Kupferstich
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Das erste dieser drei Porträts zeigt den Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer (1470–1530). 1523 gab der Nürnberger Patrizier und Humanist seine öffentlichen Ämter auf und zog sich ins Privatleben zurück, um sich allein seinen Studien und seiner Übersetzer- bzw. Herausgebertätigkeit zu widmen. Ab 1496 (mit Ausnahme der Jahre 1502 bis 1505) hatte er dem Inneren Rat angehört und Nürnberg in wechselnden Funktionen gedient – als Jurist, Feldhauptmann und Gesandter. Seit 1500, unter Maximilian I. wie seinem Nachfolger Karl V., war er kaiserlicher Rat.
Das Blatt hat die Maße 182 x 114 mm; der Aufbau entspricht dem Bildnis Friedrichs des Weisen, es fehlen lediglich die Wappen. Pirckheimer, von Kindheit an ein enger Freund Dürers, wird also im gleichen Medium porträtiert wie zuvor zwei Kurfürsten. „Der sendungsbewußte Humanist wird durch die Art seiner Darstellung so weit aufgewertet, daß er einem Angehörigen des Hochadels gleichgestellt scheint“ (Schmid 1999, S. 230). Sogar Pirckheimers Kleidung ähnelt der des Sachsenherzogs: Er trägt eine pelzbesetzte Schaube und ein Hemd. Pirckheimer wird im Dreiviertelporträt gezeigt, er blickt nach links aus dem Bild heraus. Plastisch sind das Doppelkinn, die vollen Lippen und die wulstige Stirn herausgearbeitet.
Die Inschrift, ebenfalls in römischer Capitalis auf einer fiktiven Steinplatte eingemeißelt, teilt uns mit, dass es sich um das Bildnis des 53-jährigen Pirckheimer handelt. Dann folgt ein Zitat aus einer antiken Gedichtsammlung, der „Appendix Vergiliana“: „Durch seinen Geist wird er leben, das Übrige wird sterben.“ In den Augen Pirckheimers spiegeln sich Fensterkreuze (wie auch bei den Bildnisstichen von Friedrich dem Weisen und Philipp Melanchthon) – symbolträchtiger Verweis auf das Auge als Spiegel der christlichen Seele. Dieses Detail soll den Porträtierten als von Gottesliebe und Gottesfurcht geprägten Mann charakterisieren.
Albrecht Dürer: Philipp Melanchthon (1526); Kupferstich
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1526 entsteht das Bildnis des Philipp Melanchthon (1497–1560); es ist etwas niedriger und breiter als das von Pirckheimer (175 x 128 mm). Dürer hat den 30-jährigen, an der von Friedrich dem Weisen gegründeten Universität Wittenberg tätigen Philologen und Theologen 1525/26 in Nürnberg porträtiert, wo dieser die Gründung einer Lateinschule vorbereitete. Dürer lässt Melanchthon nach rechts blicken, fast im strengen Profil, und zeigt ihn als asketischen Gelehrten mit hoher Stirn, markanter Hakennase und hervortretenden Wangenknochen. Der Kopf ist leicht geneigt, der Blick des Reformators schweift aus übergroßen Pupillen fast träumerisch unbestimmt in die Ferne. Mit großer Sorgfalt hat Dürer die Oberfläche der Haut – Adern an der Stirn, Muskeln am Hals – herausgearbeitet; nicht weniger aufwendig ist die Behandlung der genialisch zerzausten, sich früh lichtenden Haare und des einfachen Rocks. Gegenüber dem Bildnis Friedrichs des Weisen ist der Hintergrund heller geworden, parallele Schraffuren lassen eher an eine Wand als an den Himmel denken. Das Distichon spielt erneut auf den platonischen Gegensatz von Körper und Geist an: „Des lebenden Philipp Gesicht konnte Dürer zeichnen, seine kunstfertige Hand vermochte aber nicht, seinen Geist wiederzugeben.“
Albrecht Dürer: Erasmus von Rotterdam (1526); Kupferstich
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Der Kupferstich des Erasmus von Rotterdam (1466–1536) ist der mit Abstand größte, er misst 249 x 193 mm. Der berühmteste Humanist der Dürerzeit ist wesentlich repräsentativer dargestellt als Pirckheimer und Melanchthon, nämlich als stehende Halbfigur bei der Arbeit. Dürer hat die obligatorische Inschriftenplatte nach hinten geschoben; sie ist quadratisch angelegt, besitzt einen innen und außen profilierten Rahmen und misst annähernd die halbe Höhe des Blattes. Vier Botschaften teilt sie mit: Erstens handelt es sich um das „Bild (imago) des Erasmus von Rotterdam, von Albrecht Dürer zu einer wie lebenden Gestalt (effigies) gezeichnet.“ Dann folgt eine griechische Inschrift: „Das bessere zeigen seine Schriften; man muss ergänzen: „Das bessere [Bild] zeigen seine Schriften“. Darunter sind die Jahreszahl 1526 und das Dürermonogramm angebracht (siehe auch meinen Post „,Das bessere Bild zeigen seine Schriften). Dieses Zitat aus antiker Überlieferung ist nicht nur ein Bescheidenheitstopos des Künstlers; es spielt auch auf die Vergänglichkeit der physischen Erscheinung an, dergegenüber die geistige Leistung von weit größerer Dauer bleibt.
Erasmus steht an seinem Schreibpult; er trägt einen weiten Talar und einen Doktorhut, die ihn als Angehörigen der Universität kenntlich machen. Der Gelehrte nimmt keinen Blickkontakt zum Betrachter auf, die Augenlider sind gesenkt, der Mund verrät keine Gemütsbewegung – Erasmus konzentriert sich ganz auf seine Schreibarbeit. Die Hände bilden den Schnittpunkt der Diagonalen und damit auch den kompositorischen Mittelpunkt des Bildes. Erasmus hält eine Feder und ein Tintenfass in den Händen und schreibt auf ein Blatt Papier, wohl eine Antwort auf einen der beiden Briefe, die neben seinem Schreibpult liegen. Auffallend ist die übergroß wiedergegebene Nase. Sie galt in den physiognomischen Theorien des Humanismus als Ausweis von Spottlust, Spitzfindigkeit und Kritik. „In dieser Hinsicht traf Dürer den Rotterdamer vorzüglich“ (Mende 2000, S. 244).
An die Stelle, an der sich bei den anderen Kupferstichen die untere Inschriftenleiste befindet, ist bildparallel ein Regal gerückt, auf dem aufgeschlagene und geschlossene, stehende und liegende, große und kleine Bücher angeordnet sind. Dürer stellt den großen Humanisten als neuen „Hieronymus im Gehäus“ dar, denn Erasmus betrachtete den Kirchenvater und Bibelübersetzer als Vorbild für den christlichen Gelehrten. Der Nürnberger Meister hatte Erasmus auf seiner Niederländischen Reise 1520 in Brüssel gezeichnet. Offenbar wünschte sich Erasmus ein richtiges Bildnis, gemalt oder gestochen, was Dürer auch versprach, aber erst 1526 lieferte. Erasmus schätzte Dürers graphisches Werk außerordentlich; am 30. Juli 1526 schrieb er allerdings an Pirckheimer, sein von Dürer gestochenes Porträt entspräche seinem jetzigen Aussehen nicht mehr ganz, da er nicht mehr derselbe sei wie vor fünf Jahren (als Dürer ihn zeichnete). Umstritten ist die Frage, ob sich aus Erasmus’ Feststellung, er sei älter geworden seit dem Zusammentreffen mit Dürer, ableiten lässt, dessen Porträtstich habe Erasmus missfallen.
Die Inschriften und die Botschaften, die sie dem Betrachter mitteilen, unterscheiden Dürers Porträt-Kupferstiche von seinen gemalten Bildnissen, die in der Regel ohne sie auskommen mussten. Die Tatsache, dass sie in lateinischer bzw. griechischer Sprache abgefasst sind, verweist darauf, für wen sie gedacht waren: nämlich die über ganz Europa verstreute, aber durch Briefe untereinander in Kontakt stehende Humanistengemeinde. „Ihr hat Dürer ein Denkmal gesetzt in seinem Porträt des Erasmus, der den Brief eines Freundes empfangen hat und ihn sogleich beantwortet“ (Schmid 1999, S. 250). Die Humanisten standen nicht nur durch Briefe miteinander in Verbindung, sondern widmeten sich gegenseitig ihre Werke und tauschten ihre Bildnisse sowie Porträtmedaillen.
Grabstele des Caius Aiacius; Köln, Römisch-Germanisches Museum
Grabstein des Marcus Caelius; Bonn, LVR-LandesMuseum
Dürers Kupferstich-Bildnisse vereinen die führenden Köpfe der Reformationszeit: zwei Kurfürsten und drei Humanisten; Friedrich der Weise und Albrecht von Brandenburg zählten gemeinsam mit Kaiser Maximilian (von dem Dürer 1519 ein Holzschnitt-Porträt anfertigte) zu den wichtigsten Sammlern und Auftraggebern deutscher Künstler. Dürer entschied sich bei seinen Kupferstich-Porträts für einen Bildnistyp, der sich an antike Grabmäler anlehnte: Die denkmalhafte Halbfigur, monochrome Hintergründe, Inschriftentafeln, wohlformulierte Lobreden und eine klassische Capitalis erwecken beim Betrachter den Eindruck, dass es sich bei den Dargestellten um antike Autoren handelt. „Die entscheidende Klammer vom römischen Kastengrabstein zum Bildepitaph der Renaissance war der Humanismus“ (Schmid 1999, S. 244) – Dürers Kunden stellten sich bewusst in die Tradition der Antike und ihrer Autoren. Auf den ersten Blick mag es ein Widerspruch sein, dass die Dargestellten allesamt noch lebten, während ihr Porträt die Form eines Grabmals annahm. Er löst sich jedoch auf, wenn die Bildnisse von den nachfolgenden Generationen betrachtet werden – für die Nachwelt vor allem soll das Aussehen dieser Männer erhalten bleiben.

Literaturhinweise
Haag, Sabine u.a. (Hrsg.): Dürer – Cranach – Holbein. Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Porträt um 1500. Hirmer Verlag, München 2011;
Mende, Matthias u.a. (Hrsg.): Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk. Band I: Kupferstiche und Eisenradierungen. Prestel Verlag, München 2000, S. 221-223, 233-239, 241-246;
Preimesberger, Rudolf: Albrecht Dürer: Das Dilemma des Porträts, epigrammatisch (1526). In: Rudolf Preimesberger u.a. (Hrsg.), Porträt. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1999, S. 220-227;
Schauerte, Thomas: Albrecht Dürer – Das große Glück. Kunst im Zeichen des geistigen Aufbruchs. Rasch Verlag, Bramsche 2003, S. 90-98;
Schauerte, Thomas: Dürer. Das ferne Genie. Eine Biographie. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2012, S. 222-233;
Schmid, Wolfgang: Denkmäler auf Papier. Zu Dürers Kupferstichporträts der Jahre 1519-1526. In: Klaus Arnold u.a. (Hrsg.), Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Verlag Dr. Dieter Winkler, Bochum 1999, S. 223-259;
Schröder, Klaus Albrecht/Sternath, Maria Luise (Hrsg.): Albrecht Dürer. Zur Ausstellung in der Albertina Wien. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, S. 74-75, 525-529;
Sonnabend, Martin (Hrsg.): Albrecht Dürer. Die Druckgraphiken im Städel Museum. Städel Museum, Frankfurt am Main 2007, S. 210, 228, 234, 236.

(zuletzt bearbeitet am 11. April 2020)

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