Rogier van der Weyden: Grablegung Christi (1450); Florenz, Uffizien (für die Großansicht einfach anklicken) |
Fra Angelico: Grablegung Christi (1438/40); München, Alte Pinakothek |
Das gilt auch für den Pflanzenteppich vor der Grabhöhle oder
eine besondere Baumart, deren Äste sich von einem Punkt aus fächerartig
ausbreiten. „Dieser fremdländische Baum, der zweimal in Rogiers Uffizienbild
vorkommt und mit keiner bekannten Spezies identifiziert werden kann, ist dem
botanischen Vokaluar Rogiers und anderer Flamen so fremd, wie er für Fra
Angelico typisch ist“ (Panofsky 2001, S. 267). Das Kloster San Marco wurde von
Cosimo de’ Medici (1389–1464) patroniert – höchstwahrscheinlich ist die Tafel von
ihm in Auftrag gegeben worden.
Rogier übernimmt von
Fra Angelico das nördlich der Alpen damals noch unbekannte Motiv der „Beweinung
vor dem offenen Grab“. Er behält die kreuzförmige Darbietung des toten Christus
bei, ebenso die Rahmung durch seine blau gewandete Mutter und den rot
gekleideten Jünger Johannes. Hinzu kommen allerdings zwei weitere Figuren, vor
allem aber bereichert Rogier die Landschaft mit vielen Details. Der Leichnam
wird vor der Graböffnung zur Schau gestellt und so – „gleich der Hostie in
einer Monstranz oder beim Erheben während der Konsekration – zum Gegenstand
mitfühlender Anschauung, Anbetung und Meditation“ (De Vos 1999, S. 330).
Rogier van der Weyden: Kreuzabnahme (um 1435–1440); Madrid, Prado (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der bereits in das
Leichentuch gehüllte Körper Jesu wird bei Rogier neben Nikodemus zusätzlich von
Joseph von Armithäa gestützt: Er ist die Greisenfigur mit roten Strümpfen, die
der Maler immer wieder aus seiner Madrider Kreuzabnahme entnommen hat (siehe
meinen Post „Die Schönheit der Trauer“). Nikodemus sieht den Betrachter
eindringlich und schmerzvoll an, als fordere er uns dazu auf, den toten
Christus gemeinsam mit ihm zu beweinen. Kunsthistoriker vermuten, dass die
Figur des Nikodemus als Porträt des Auftraggebers Cosimo de’ Medici gestaltet
ist. Michelangelo wird die Figur des Nikodemus in seiner um 1550 begonnnenen,
aber unvollendet gebliebenen Pietà-Gruppe (heute im Dom-Museum von Florenz) als
Rollenselbstporträt neu interpretieren.
Michelangelo: Pietà Bandini, unvollendet; Florenz, Dom-Museum |
Die zweite
zusätzliche Gestalt ist die Rückenansicht dargestellte Maria Magdalena. Sie
ist als Identifikationsfigur für den Betrachter gemeint; kniend ahmt sie die
Armhaltung des Gekreuzigten nach. Wie allen anderen Figuren rollen auch ihr die
Tränen über das Gesicht. Auf der schräg gestellten Grabplatte ist Johannes
herangetreten; auf ihr ruhen auch die Füße Jesu. Sie liegt mit der vorderen Ecke auf einem Stock, damit man sie leichter hochheben kann. Die grau geäderte
Grabplatte spielt kompositorisch „eine wichtige Rolle als Element der
Dynamisierung und der tiefenräumlichen Gestaltung des Gemäldes“ (Thürlemann
2006, S. 107); sie war ursprünglich nicht geplant und ist von Rogier erst im
letzten Stadium eingefügt worden. Die Grabplatte wird manchmal als Stein der
Salbung Christi interpretiert; das Gefäß direkt davor auf der rechten Seite
könnte dies nahelegen. Auf der gleichen Höhe liegt links der Hut des Joseph von
Arimathäa, „wodurch die Symmetrie des Bildes bis in die Ecken fortgesetzt wird“
(De Vos 1999, S. 330). Links im Hintergrund sind zwei Frauen auf einem Pfad zu sehen, der bis vor das Grab führt – sie werden es,
so berichtet das Matthäus-Evangelium, nach der Auferstehung Jesu leer vorfinden (Matthäus 28,1).
Literaturhinweise
De Vos, Dirk: Rogier van der Weyden. Das Gesamtwerk. Hirmer
Verlag, München1999, S. 330-334;
Panofsky, Erwin: Die altniederländische Malerei. Ihr Ursprung und
ihr Wesen. Band 1. DuMont Buchverlag, Köln 2001 (urspr. 1953), S. 266-268;
Suckale, Robert: Rogier van der Weyden und die Kunst Italiens. In:
Städel-Jahrbuch 18 (2002), 37-58:
Thürlemann, Felix:
Rogier van der Weyden. Leben und Werk. Verlag C.H. Beck. München 2006.
(zuletzt bearbeitet am 29. Juni 2022)
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