Pontormo: Heimsuchung (1528/29); Carmignano, San Michele (für die Großansicht einfach anklicken) |
Michelangelo: Persische Sibylle (um 1509); Rom, Sixtinische Kapelle (für die Großansicht einfach anklicken) |
Pontormos Gemälde zeigt vier Frauengestalten;
neben der eigentlichen Begrüßung zwischen Elisabeth und Maria sind es vor allem
der bewegte Faltenwurf und die leuchtenden Farben der Gewänder, die die
Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich ziehen. Beides geht ohne Frage auf
Michelangelos Fresken in der Sixtina zurück. Die Vierergruppe scheint „von geheimer
Kraft vom Boden gehoben und wie Montgolfieren mit geblähten Gewändern zu
schweben“ (Polaczek 1994). Umgeben sind die Figuren von einer Architektur, die
wie Kulissen für einen Film wirkt. Leicht zu übersehen sind zwei weit
entfernte, winzig kleine männliche Gestalten am linken Bildrand, die vor einem
rundbogigen Portal sitzen. Über ihre Bedeutung rätseln die Kunsthistoriker bis
heute. Die Stufen rechts führen zu einem nahe gelegenen Eingang, der wohl zum Haus
des Zacharias gehören dürfte; links dagegen fluchtet ein mehrstöckiges,
palastähnliches Gebäude jäh in die Tiefe.
Maria und Elisabeth berühren einander sacht, auf
Rippenhöhe und an der Schulter. Es ist, als wollten die beiden zu einem Reigen
ansetzen. Denn so ernst sie sich in die Augen schauen, so gelöst sind ihre
Bewegungen – Elisabeth scheint mit ihrem linken Fuß geradezu zu tänzeln. Diese
Leichtigkeit überrascht auch deshalb, weil Marias Cousine die 50 überschritten
haben dürfte: Pontormo übergeht keine Falte in ihrem Gesicht und zeigt auch die
erschlaffende Haut am Doppelkinn; er kontrastiert sehr bewusst die junge,
idealschöne mit der älteren, realistisch gesehenen Frau.
Pontormo hat Maria und Elisabeth in Seiten-, die
zwei Begleiterinnen hinter ihnen in Vorderansicht wiedergegeben. Diese beiden
Frauenfiguren sind rätselhaft, denn sie werden im biblischen Bericht (Lukas
1,39-45) nicht erwähnt und kommen auch sonst in der Ikonografie dieser Szenen
nicht vor. Auch sie scheinen, wie Elisabeth, auf den Zehenspitzen fast zu
schweben. Möglicherweise handelt es sich um eine kunstvolle Verdopplung der Hauptpersonen,
um eine Simultandarstellung derselben Figuren in einem Bild.
Albrecht Dürer: Vier nackte Frauen (1497); Kupferstich (für die Großansicht einfach anklicken) |
Die drei Grazien (römische Marmorkopie eines hellenistischen Originals); Paris, Louvre |
Pontormo ließ sich in den Jahren nach 1520
zunehmend von der Grafik Albrecht Dürers beeinflussen. So geht die Anregung zur
Gruppierung der vier Frauengestalten auf Dürers Radierung Vier nackte Frauen zurück (siehe meinen Post „Dürers nackte Frauen“),
die ebenfalls von unterschiedlichen Seiten zu sehen sind. Sowohl Dürers als
auch Pontormos Darstellungen varriieren das antike Thema der Drei Grazien, mit dem Pontormo sich zuvor auch in Zeichnungen
beschäftigt hatte. Das Motiv der einander umarmenden Frauen wiederum ist vom
Holzschnitt der Heimsuchung aus
Dürers „Marienleben“ übernommen.
Albrecht Dürer: Heimsuchung (um 1503/04); Holzschnitt |
Literaturhinweise
Falciani, Carlo/Natali, Antonio (Hrsg.): Pontormo and Rosso Fiorentino. Diverging Paths of Manierism. Mandragora, Florenz 2014, S. 288;
Krystof, Doris: Jacopo Carrucci, genannt Pontormo. Könemann Verlagsgesellschaft, Köln 1998;
Krystof, Doris: Jacopo Carrucci, genannt Pontormo. Könemann Verlagsgesellschaft, Köln 1998;
Nigro, Salvatore S.: Pontormo. Il Libro
mio/Zeichungen/Fresken/Gemälde. Schirmer/Mosel, München 1996;
Polaczek, Dietmar: Ungezähmt und bodenlos. Zwei
toskanische Rebellen: Rosso Fiorentino und Pontormo. In: F.A.Z. vom 28. Oktober
1994;
Schneider, Norbert: Die
antiklassische Kunst. Malerei des Manierismus in Italien. LIT Verlag,
Berlin/Münster 2012, S. 94;LUT = Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
(zuletzt bearbeitet am 20. August 2018)
Bei der Suche nach mehr Information zu diesem Bild, bei dem ich nur die handgeschriebene Unterschrift Pontormo, 1515, fand, stieß ich auf diesen Blog - und möchte hier nur meine Begeisterung mitteilen. Diese und auch die anderen Kunstbeschreibungen sind wunderbar! Danke!
AntwortenLöschenPontormo is one of the finest drawing masters who ever lived! Bravo
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