Sandro Botticelli: Bildnis eines jungen Mannes (um 1480/85); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Der junge Mann steht uns nahezu frontal
gegenüber („en face“) und blickt uns direkt an. Sandro Botticellis Porträt,
entstanden um 1480/85, zeigt ihn als Bruststück, d. h., wir sehen seinen Kopf mit
einem Großteil des Oberkörpers, den Schultern und Armabschnitten. Der Unbekannte
trägt ein braunes, mit Pelz verbrämtes Wams und eine rote Mütze über langem
gewelltem Haar. Botticelli hat ihn in leichter Untersicht und vor einem schwarzem
Hintergrund dargestellt. Der dunkle Fond und
die realistische Wiedergabe von Kopf und Gesichtszügen verweisen auf den
Einfluss niederländischer Vorbilder. Zahlreiche Dokumente belegen, dass
flämische Porträts, besonders jene von Hans Memling, im Florenz des 15.
Jahrhunderts sehr geschätzt waren (siehe meinen Post „Die Porträtkunst des Hans Memling“): Sie wurden häufig von italienischen Kaufleuten, die in Brügge Handel
trieben, in Auftrag gegeben. Obwohl Memlings große Neuerung das Bildnis vor
Landschaftshintergrund war, orientiert sich Botticelli bei seiner Londoner
Darstellung an Memlings Porträts mit monochrom dunklem Hintergrund, die
ebenfalls in Florenz belegt sind.
Hans Memling: Bildnis eines Mannes mit Nelke (um 1480/85); New York, Pierpont Morgan Library (für die Großansicht einfach anklicken) |
Aber Botticelli kopiert nicht einfach das Schema
von Memling, er fügt ein neues Element hinzu: die Frontalansicht. Kurz zuvor
hatte Botticelli bereits die
Profildarstellung der traditionellen italienischen Porträtmalerei zugunsten des
flämischen Dreiviertelansicht aufgegeben. Nun geht er noch einen Schritt weiter
und dreht den ganzen Körper des Modells zum Betrachter, nicht nur seinen Blick
wie bei den meisten zeitgenössischen Bildnissen, z. B. den Porträts von
Antonello da Messina.
Antonello da Messina: Bildnis eines Mannes (1475/76); London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Dabei hat Botticelli den Kopf des jungen Mannes
allerdings etwas aus der Mitte gerückt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren
Frontaldarstellungen in ganz Europa vor allem mit dem Antlitz Christi verknüpft,
das sich der Legende nach wundersam auf dem Schweißtuch der Veronika auf dem
Weg nach Golgatha abgebildet hatte.
Antonello da Messina: Salvator mundi (1465); London, National Gallery |
Der Gesichtstypus des Porträtierten – heller
Teint, hohe Stirn, volle Lippen und lange kastanienbraune Locken – ist bei
vielen Figuren Botticellis anzutreffen, die seine Fresken und Tafelbilder
bevölkern. Offenbar handelt es sich um sein Ideal männlicher Schönheit. Der
junge Mann erinnert besonders an den schlafenden Kriegsgott auf Botticellis
Gemälde Venus und Mars in der
Londoner National Gallery, das auf 1485 datiert wird.
Aus den 1480er Jahren ist noch ein weiteres Porträt Botticellis erhalten; es zeigt ebenfalls einen jungen Mann vor dunklem Hintergrund, der wie auf dem Londoner Bildnis eine rote Kappe sowie mit Pelz verbrämte Kleidung trägt. Allerdings hat der Jüngling die linke Hand an die Brust gelegt und den Kopf nach links geneigt – was bislang nicht überzeugend gedeutet werden konnte.
Sandro Botticelli: Venus und Mars (1485); London National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Sandro Botticelli: Porträt eines jungen Mannes (um 14899/90); Washington D.C., National Gallery of Art |
Literaturhinweise
Campbell, Lorne u.a. (Hrsg.): Die Porträtkunst
der Renaissance. Van Dyck, Dürer, Tizian ... Chr. Belser AG, Stuttgart 2009, S.
106;
Rehm, Ulrich: Botticelli. Der Maler und die Medici.
Eine Biographie. Philipp Reclam jun., Stuttgart 2009, S. 148-149.(zuletzt bearbeitet am 21. Oktober 2020)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen