Moretto da Brescia: Bildnis des Fortunato Martinengo Cesaresco (um 1540), London, National Gallery (für die Großansicht einfach anklicken) |
Sich auf zwei rosaseidene Kissen stützend, sitzt
ein bärtiger junger Mann in Melancholie-Pose vor einem Vorhang aus rotem und
goldenem Brokat; rechts hinter ihm lässt sich eine Marmorwand erkennen. Sein Stuhl mit den geschwungenen Armlehnen ist nah an den
diagonal stehenden Tisch herangerückt, auf dem verschiedene Gegenstände liegen:
Neben den beiden Kissen finden sich am vorderen Tischrand ein Paar abgelegter
Lederhandschuhe, mehrere antike Münzen mit dazu passenden Aufbewahrungsetuis (aus
Elfenbein, Horn oder Holz) und eine Bronzelampe in Form eines sandalierten
Fußes.
Dunkle, bläuliche Grüntöne bestimmen die
erlesene Bekleidung des Porträtierten: ein goldbesticktes Obergewand mit einer
langen Reihe goldener, rosettenförmiger Zierknöpfe und aus Seidensatin
gesteppten Ärmeln sowie vom unteren Bildrand angeschnittene Beinkleider. Darüber
trägt er einen knielangen, mit Luchspelz gefütterten Mantel aus schwarzem Samt,
der mit kurzen gebauschten Ärmeln versehen ist und dessen ausladender Kragen
bis über die Schultern fällt. Darunter blitzt der metallene Griff eines Degens
auf. Eine weiche schwarze Samtkappe mit breiter Krempe und Federschmuck
vervollständigt die elegante Erscheinung. Ein goldenes Täfelchen mit
griechischen Majuskeln schmückt die Hutkrempe; zu übersetzen wäre der Text etwa
mit „Ach, ich sehne mich so sehr“ oder „Ach, ich begehre so vieles“.
Der Dargestellte, Fortunato Martinengo
Cesaresco, dürfte Mitte bis Ende zwanzig sein. Sein Kopf, der schräg in der
Hand des aufgestützten rechten Armes ruht, ist ins Dreiviertelprofil gedreht. Fortunato
blickt zwar nahezu frontal aus dem Bildraum, doch scheint er seine Umgebung
nicht wahrzunehmen. Sein leicht nach oben gerichteter Blick wirkt abwesend und
geht am Betrachter vorbei. „Das rechte Auge ist wesentlich stärker nach innen
gerichtet als das linke, so dass sich die Blickachsen noch vor dem Betrachter
kreuzen müssten. Da das linke Auge aber erheblich höher blickt, treffen sich
die Achsen in keinem Punkt, so dass auch keine Fixierung erreicht wird. Für den
Betrachter ist das Ergebnis irritierend: Meint man gerade, den Blick des
Dargestellten aufgefangen zu haben, so blickt das jeweils andere Auge doch an
einem vorbei“ (Brühl 2011, S. 80/81).
Morettos Porträt (um 1540 entstanden)
prunkt mit luxuriösen Stoffen – Brokat, Pelz, Feder, Samt und Seide –, doch
gleichzeitig steht die Materialopulenz wohl auch in direkter Verbindung mit dem
Eindruck von Überdruss, den der junge Mann ausstrahlt. Die edle Raumausstattung
und das kostbare Kostüm lassen wenig Zweifel daran, dass wir es mit einem
jungen Adligen zu tun haben. Die große Wirklichkeitsnähe der dargestellten
Gegenstände und Textilien erinnert in ihrer Detailtreue an nordalpine Maler,
etwa den zeitgleich tätigen Hans Holbein d.J. (siehe meinen Post „Protegés und Protektoren“). Die antiken Münzen und die
Inschrift in altgriechischer Sprache sind typische Bestandteile eines
Gelehrtenporträts. Moretto schließt hier eng an entsprechende Bildnisse Lorenzo Lottos (1480–1557) an, wie z. B. sein berühmtes Porträt des Andrea Odoni von 1527. Gleichzeitig greift er bei der Haltung des Dargestellten auf einen Bildnis-Typus zurück, den Giorgione (1478–1510) Anfang des 16. Jahrhunderts mit seinem Doppelporträt (1502 entstanden) geprägt hatte.
Hans Holbein d.J.: Bildnis des William Warham (1527); Paris Musée du Louvre |
Lorenzo Lotto: Porträt des Andrea Odoni (1527); London, Hampton Court Palace |
Giorgione: Doppelporträt (1502); Rom, Palazzo Venezia |
Literaturhinweise
Bayer, Andrea (Hrsg.): Painters of Reality. The Legacy of Leonardo and Caravaggio in Lombardy. Yale University Press, New Haven and London 2004, S. 124;Brühl, Anna: Moretto da Brescia: Bildnisse. Studien zu Form, Wirkung und Funktion des Porträts in der italienischen Renaissance. Didymos-Verlag, Korb 2011
(zuletzt bearbeitet am 29. Oktober 2018)
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