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Caravaggio: Dornenkrönung Christi (1602/03); Wien, Kunsthistorisches Museum |
Nach seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane
und dem Verhör vor dem Hohen Rat wird Christus dem römischen Statthalter
Pilatus ausgeliefert – damit der den unliebsamen jüdischen Rabbi verurteilt und
hinrichten lässt. Obwohl Pilatus keine Schuld an Jesus finden kann, gibt er
schließlich dem Drängen der Menge nach und befiehlt, Christus zu geißeln und zu
kreuzigen. In den Evangelien (Matthäus 27,27-31; Markus 15,16-20; Johannes
19,1-7) wird die Geißelung nur kurz erwähnt, auf die folgende
Verspottung Jesu als König der Juden gehen die Texte genauer ein. Dazu gehört auch die
Dornenkrönung Christi, die Caravaggio (1577–1610) in seinem Gemälde aus dem
Kunsthistorischen Museum in Wien dargestellt hat.
Auf engstem Raum zusammengedrängt und dicht an den Vordergrund herangerückt, ragen vier Figuren vor dem Betrachter auf. Im Zentrum des Bildes sitzt die nackte, von
einem leuchtend roten Mantel umhüllte Gestalt Christi. Zwei Schergen, der eine
unmittelbar hinter ihm, der andere rechts von ihm stehend, drücken ihm mit
Hilfe von Rohrstöcken die Dornenkrone aufs Haupt. Der Gewalt seiner Peiniger
nachgebend, beugt Christus Kopf und Oberkörper nach vorne, sein langes Haar fällt herab, Blut rinnt ihm über
Stirn und Wange. Jesu Hände liegen gefesselt aufeinander und halten das Schilfrohr-Zepter, das ihn verhöhnen soll. Auf der linken Seite beobachtet ein bildeinwärts stehender Soldat in Rüstung die
Misshandlung Jesu. Sie erfolgt ohne Zweifel auf sein Geheiß, denn durch seinen
Federhut ist er als Offizier gekennzeichnet. Sein im Dunkel aufscheinendes rechtes Auge und die scharf beleuchtete Ohrmuschel signalisieren, dass er die Schändung aufmerksam, aber regungslos verfolgt. Die rechte Hand stützt er auf eine Holzschranke, mit der Caravaggio die Bildgrenze markiert. Die vom Licht getroffenen, kalt schimmernden Rüstungsteile und die weißen Federn des Offiziers bilden einen scharfen Kontrast zu den entblößten Oberkörpern der anderen drei Figuren. Wie in der Gefangennahme Christi (siehe meinen Post „Malerei mit dem Scheinwerfer“) demonstriert der Barock-Maler hier seine Meisterschaft, Lichtreflexe auf
einem Harnisch wiederzugeben.
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Caravaggio: Gefangennahme Christi (1602); Dublin, National Gallery of Ireland |
Das für Caravaggio typische „Scheinwerferlicht“
modelliert die Figuren in kräftigem Helldunkel. Die Komposition wird von Diagonalen
bestimmt, die sich in der Gestalt Christi kreuzen. Die abgestumpft wirkenden
Folterknechte, „deren physische Anstrengung in der komplexen Torsion ihrer
Körper zum Ausdruck kommt, und die teilnahmslose Präsenz des Offiziers
kontrastieren wirkungsvoll mit dem in sich ruhenden, sich still in sein
Schicksal fügenden Christus“ (Schütze 2009, S. 157). Zu dieser Ausstrahlung Christi trägt wesentlich bei, dass sein gepeinigter Körper an keiner Stelle von den anderen Figuren überschnitten und daher „unberührt“ präsentiert wird – „wie ein in sich geschlossenes Andachtsbild“ (Swoboda 2019, S. 169).
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Abgestumpfte Folterknechte, die nicht wissen, was sie da tun |
Dass Jesus von den drei Männern so bedrängend nah umstanden, ja regelrecht umzingelt wird, verstärkt den beklemmenden Charakter der Szene. Der Schriftsteller Navid Kermani bezeichnet in
seinem Buch Ungläubiges Staunen die Gleichgültigkeit der Handlanger,
denen Pilatus Christus überantwortet hatte, als die tiefste Erniedrigung Jesu:
„Allein aus Zweigen eine Krone zu flechten und mit Stöcken so fest in den
Schädel zu drehen, daß sich die Dornen in die Schädeldecke bohren, Blut auf die
Wangen und den Rücken spritzt und die Krone bei heftigem Kopfschütteln dennoch
feststeckt – das geht nicht in ein paar Minuten, das ist ein ausgedehntes,
handwerklich übrigens auch kunstvolles Spektakel, dem die Schar der
Kriegsknechte grölend, applaudierend, anfeuernd zuschaut, eine Stunde
vielleicht oder noch länger. Und Jesus hat mit ihnen nichts zu tun, das ist das
Schlimmste, ist ihnen so fremd, so gleichgültig wie ein Gegenstand, den sie auf
der Straße auflesen, ein zufällig gefundenes oder vielmehr zugeworfenes
Spielzeug“ (Kermani 2015, S. 41/42). Kermanis Text ist eine Abbildung von
Caravaggios Dornenkrönung Christi
beigefügt – die seine Beschreibung allerdings konterkariert. Denn die
Einsamkeit und Demütigung Jesu bleibt keineswegs unbeobachtet, sie ist nicht
abgrundtief – wir als Betrachter des Bildes schauen zu, und wir sind dabei
alles andere als teilnahmslos. Caravaggios Gemälde ist eine deutliche
Aufforderung zur compassio, zum
einfühlenden Mit-Leiden.
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Auch wenn sonst keiner zuschaut – wir sehen, was er leidet |
Sybille Ebert-Schifferer verweist noch auf die vom einfallenden Licht betonte Nackenlinie Christi – sie sieht in ihr eine „Chiffre
für Verletzlichkeit und Ergebenheit“ (Ebert-Schifferer 2009, S. 167). Jesus
sollte durch den Purpurmantel, die Dornenkrone und das Zepter aus Schilfrohr als
König der Juden verspottet werden und dominiert doch durch seine Würde das
Geschehen. Sein gesenkter Blick scheint ganz nach innen gerichtet, fast so, als
würde er gar nicht wahrnehmen, was um ihn herum geschieht, sondern vielmehr
über seine bereits im Alten Testament angekündigte Passion (Jesaja 53) und die Bedeutung des göttlichen Heilsplanes nachsinnen. Michael Fried hat an einem Detail des Bildes deutlich gemacht, dass Christus das ihm auferlegte Leiden bewusst annimmt und erträgt: Dem Sohn Gottes wird das Schilfrohr-Zepter zwar von den Folterknechten zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand gedrückt – aber er hält es ebenso willentlich wie zeichenhaft fest, denn seine Passion und sein Kreuzestod werden die Menschheit erlösen.
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Bartolomeo Manfredi: Dornenkrönung Christi (1605/10); München, Schloss Schleißheim |
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Orazio Gentileschi: Dornenkrönung Christi (1613/15); Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum |
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Dirck van Baburen: Dornenkrönung Christi (1622-1624); Utrecht, Museum Catherijneconvent |
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Valentin de Boulogne: Dornenkrönung Christi (1627/28); München, Alte Pinakothek |
Die Soldatenfigur und die Konfrontation des
wehrlosen Jesus mit den Schergen inspirierten zahlreiche Nachfolger, die
„Caravaggisten“, zu Varianten, in denen oft die Bedeutung der Nackenlinie
aufgegriffen wurde – so z. B. von Bartolomeo Manfredi (1582–1622) auf seiner Dornenkrönung Christi im Münchner Schloss Schleißheim, von Orazio Gentileschi (1563–1639), Dirck van Baburen (1595–1624) oder Valentin de Boulogne (1591–1632), deren Versionen in Utrecht, Braunschweig und der Münchner Alten Pinakothek zu sehen sind.
Literaturhinweise
Eclercy, Bastian:
Erfahrungshorizont Rom. Die Musikantenbilder Caravaggios und der italienischen
Caravaggisten. In: Jochen Sander u.a. (Hrsg.), Caravaggio in Holland. Musik und
Genre bei Caravaggio und den Utrechter Caravaggisten. Hirmer Verlag, München
2009, S. 19-35;
Ebert, Bernd/Helmus, Liesbeth M. (Hrsg.), Utrecht, Caravaggio und Europa. Hirmer Verlag, München 2018, S. 190-197;
Ebert-Schifferer, Sybille: Caravaggio. Sehen – Staunen – Glauben. Der
Maler und sein Werk. Verlag C.H. Beck, München 2009;
Fried, Michael: The Moment of Caravaggio. Princeton University Press,
Princeton and Oxford 2010, S. 86-96;
Kermani, Navid: Ungläubiges Staunen. Über das
Christentum. Verlag C.H. Beck, München 2015, S. 38-43;
Schütze, Sebastian: Caravaggio.
Das vollständige Werk. Taschen Verlag, Köln 2009;
Squarzina, Silvia Danesi: Caravaggio
in Preußen. Die Sammlung Giustiniani und die Berliner Gemäldegalerie. Electa;
Mailand 2001, S. 288-292;
Swoboda, Gudrun: Michelangelo
Merisi da Caravaggio, Dornenkrönung Christi. In: Gudrun Swoboda/Stefan
Weppelmann, Caravaggio & Bernini. Entdeckung der Gefühle. Hannibal
Publishing, Veurne 2019, S. 169.
(zuletzt bearbeitet am 29. Juli 2024)
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